ENFOPOL-Update

Telepolis veröffentlicht Tischvorlage für die EU-Ratssitzung am 3. und 4. Dezember

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Wenige Tage vor der EU-Ratssitzung am 3. und 4. Dezember ist die 14-seitige Tischvorlage aufgetaucht: "ENFOPOL 98 Rev 1". Sie ist das erste einer Reihe von Papieren, die den EU-Überwachungsplan in mundgerechte Ratsentschließungen gießen. Skizziert wurde der Telekommunikation und Internet umfassende Plan in dem Papier "ENFOPOL 98" vom 3. September. Kritiker fürchten den ENFOPOL-Plan jetzt als Schleichpfad zur Kryptoregulierung.

Am 3. und 4. Dezember trifft der EU-Ratsauschuß für Inneres und Justiz zusammen, um den ersten Teil des ENFOPOL-Überwachungsplans zu beraten. Die Tischvorlage für die Ratsentschließung will den "Zugriff auf den gesamten Fernmeldeverkehr, der von der Rufnummer oder sonstigen Kennung des überwachten Telekommunikationsdienstes, die die überwachte Person in Anspruch nimmt, übertragen wird bzw. dort ankommt". Unter Fernemeldeverkehr fällt dann nicht nur die herkömmliche Festnetz- und Mobiltelefonie, sondern auch die mobile satellitengestützte Telefonie sowie Internettelefonie. Zwar ist die Ratsentschließung für die Mitgliedstaaten nicht rechtsverbindlich, da Überwachungsmaßnahmen auch weiterhin eine nationale Angelegenheit bleiben. Doch sie bestimmt den Weg, den künftige bilaterale Verhandlungen in Sachen Rechtshilfeabkommen zu nehmen haben. Die für die Telekommunikation zuständigen Minister sollen daher die EU-Auffassung unterstützten und mit den Justiz- und Innenministern zusammenarbeiten, um eine europäische Standardisierung zu erreichen.

Seitens der alten Regierungsparteien und einzelner Ministerialbeamter heißt es, daß es bei der Beurteilung der ENFOPOL-Papiere letztendlich auf die Rechtsqualität des Papiers ankomme und eine Anpassung an die neuen Technologien nicht unwillkommen sei. Stellungnahmen sind daher auf längere Zeit hier nicht zu erwarten. Doch bei den alten Oppositionsparteien und Datenschützern klingeln schon allein aufgrund der verschwiegenen Vorgehensweise die Alarmglöckchen: So wurden die Vorgängerpapiere zwar zwischen den Ministerien und Strafverfolgungsbehörden - sogar das FBI stand auf der Verteilerliste - abgestimmt, die Abgeordneten erhielten das Papier jedoch von der Presse - von Telepolis.

UK-Bürgerrechtler Tony Bunyan, Statewatch, ist der Ansicht, daß der "EU-FBI-Plan zur Telekommunikationsüberwachung - Telefonanrufe, Emails, Faxe - insgeheim entwickelt wurde, ohne jeden Bezug zum europäischen Parlament bzw. den nationalen Parlamenten oder der bürgerlichen Gesellschaft. Die fehlende Kontrolle und Rechenschaft dieser Pläne ist, davon ist Bunyan überzeugt, eine "große Bedrohung der bürgerlichen Grundrechte".

Rechtsabhilfekommen als Vorboten einer Kryptoregulierung

Das Papier strebt eine europaweite Harmonisierung der Überwachungspraxis an sowie die Ausweitung auf die "neuen Technologien" wie Satelliten- und Internetkommunikation. Interessanterweise geht es jedoch nicht auf Einzelheiten in Bezug auf den Satellitenkommunikationsbetreiber Iridium oder Internetprovider ein, sondern verweist auf "spezielle Erläuterungen", die dem Papier folgen sollen. Allein die Formulierung, daß der Zugriff auf die Kommunikation binnen "weniger Sekunden" erfolgen soll, zeigt allerdings, daß die Umsetzung ohne bilaterale Rechtshilfeabkommen, die einen automatisierten Abruf ermöglichen, nicht möglich ist. Will beispielsweise die französische Polizei Telekommunikation in Deutschland abhören, so ist sie nicht mehr auf den Beschluß eines deutschen Richters angewiesen. Es genügt allein die Anordnung des französischen Richters.

Da die vermittelten Verbindungen jedoch "alle Arten von vermittelten Verbindungen einschließlich leitungsvermittelter und paketvermittelter Verbindungen" umfassen, stellt sich unweigerlich die Frage, wie verschlüsselte IP-Telefonie "innerhalb weniger Stunden" abgehört werden soll. So heißt es unter Punkt 9:

"Für die gesetzlich ermächtigten Behörden ist es erforderlich, daß Netzbetreiber/Diensteanbieter die Überwachungsmaßnahmen so rasch wie möglich durchführen (in dringenden Fällen innerhalb weniger Stunden oder Minuten)".

Ohne eine Kryptoregulierung ist dies jedoch bei verschlüsselter Kommunikation unmöglich.

Ähnliche Vereinbarungen sind derzeit auch in bilateralen Gesprächen mit den USA in Vorbereitung. US-Kryptobotschafter David Aaron strebt derartige Vereinbarungen ausdrücklich an. Um diese jedoch nicht durch die umstrittene Kryptoregelung zu gefährden, setzen die USA im Falle verschlüsselter Kommunikation zunächst auf den Austausch von Klartext. Doch die letztendlich angestrebte Vereinbarung impliziert auch eine Lösung der Kryptofrage. Aaron:

"Hoffentlich können wir diese Art von Zusammenarbeit auch noch zu einer Zeit durchführen, in der Telefongespräche nur noch verschlüsselt übertragen werden - und wir sie dann noch entschlüsseln können."

"Gefährlich und teuer"

Sowohl in den Reihen der SPD als auch der Bündnisgrünen regt sich langsam der Widerstandsgeist aus alten Oppositionstagen. Als "inakzeptabel, gefährlich und teuer" verurteilte der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss die Pläne der EU-Innenminister. Hier sei nicht nur "jegliches Maß für Verhältnismäßigkeit abhanden gekommen", ENFOPOL stelle auch "alle deutschen Bestimmungen zum Lauschangriff in den Schatten". Die deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 müssen daher ein "deutliches Signal setzen", um die "Bedrohung für Bürgerrechte, Wirtschaft und Wissenschaft" zu verhindern. Nicht zuletzt sei ENFOPOL schlichtweg nicht finanzierbar. Da die Pläne der deutschen Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) entsprechen, sei mit Kosten zu rechnen, die "alle jetzigen Militärausgaben in der EU übertreffen".

Auch der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, unter anderem zuständig für EUROPOL und Datenschutz, befürchtet "hohe Kosten" für Nutzer und Betreiber von Computer- und Telefonnetzen. Er fordert das deutsche Innen - und Justizministerium auf, in Brüssel auf die "erforderliche Denkpause und Überprüfung dieses gefährlichen, teueren und fragwürdigen Vorhabens" zu dringen. Die geplante Regelung dürfe in der vorgesehenen Form nicht verabschiedet werden.

Der österreichische Europaabgeordnete der Grünen, Johannes Voggenhuber, ist der Ansicht, dass sich die Brisanz des Vorhabens nur dann erschließe, wenn man die ganze Kette von Einzelmaßnahmen berücksichtigt. In der Öffentlichkeit würden Themen wie Echelon, Europol, Enfopol, nationale Sicherheitsgesetze und Überwachungsverordnungen nur "fein säuberlich getrennt" diskutiert. Das Kontrollsystem, das nun Schritt für Schritt errichtet wird, habe jedoch keinerlei Kontrollen für Mißbrauch oder flankierende Maßnahmen vorgesehen. Insgesamt sei seit Ende des Krieges ein "gefährlicher Einsatz von Geheimdienstressourcen" in polizeilichen Diensten zu beobachten, die in einem rechtsstaatlichen Graubereich agierten. Dazu gehöre auch das Überwachungssystem Echelon, über das offiziell so gut wie nichts bekannt ist. Es müsse daher hellhörig machen, wenn die technischen Voraussetzungen für die EU-Überwachungspläne erst auf Initiative des FBI erarbeitet und mit ihm abgestimmt wurden.

Iridium als Faustpfand für Kryptoregulierung?

Für die FIfF-Vorstandsmitglieder Ute Bernhardt und Ingo Ruhmann sind die Kosten nur ein Argument:

"Das Ergebnis ist einfach mehr Arbeit und mehr Kosten. Mehr Überwachungsarbeit für die Polizei und damit mehr Kosten für den Steuerzahler, mehr Arbeit für die Provider beim Vorhalten der Überwachungstechnik und damit mehr Kosten für ihre Kunden."

Sie vermuten hinter dem schrittweisen Vorgehen der EU, das sich zunächst auf Iridium konzentriert, einen Stufenplan: Da die Amerikaner es zulassen, daß das US-amerikanische Satellitenkommunikationssystem Iridium auch in Europa etabliert wird, müssen die Europäer im Gegenzug auf die Vorstellungen der US-amerikanischen Kryptopolitik eingehen. Iridium ermöglicht es Wirtschaftsvertretern europäischer Staaten auch in für Europa ökonomisch wichtigen, jedoch kommunikationstechnisch unterversorgten Ländern in Afrika zu agieren. Die Abhörmöglichkeiten von Iridium durch die EU können so zum Faustpfand der USA in den gemeinsamen Verhandlungen werden.