EU-Gipfel: Merkel setzt sich durch

Griechische und türkische Gebietsansprüche im Mittelmeer. Karte: TP

Keine EU-Sanktionen gegen die Türkei, aber gegen Weißrussland

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Heute früh verkündete der wallonische EU-Ratspräsident Charles Michel, dass sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsländer in der Frage von Sanktionen gegen die Türkei und Weißrussland auf eine "doppelte Strategie" geeinigt hätten. Danach sollen gegen 40 weißrussische Politikakteure in den nächsten Tagen Sanktionen in Kraft treten. Damit will man den weißrussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko zu einem Rücktritt oder einer Wahlwiederholung bewegen.

Kurz wirkt wie Seehofer

Gegen die türkische Staatsführung wird es dagegen vorerst keine Sanktionen geben. Mit ihr soll stattdessen ein "Dialog" geführt werden, um "die Provokationen und den Druck" auf die EU-Mitgliedsländer Zypern und Griechenland zu beenden, wie die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausführte. Erst "im Falle solcher erneuter Aktionen durch Ankara" kämen andere "Instrumente und Optionen" in Betracht. Darüber entschieden werde dann im Dezember.

Zypern wollte eigentlich sofortige Sanktionen gegen Ankara erwirken und hatte seine Zustimmung zu Maßnahmen gegen Weißrussland ursprünglich damit verknüpft. Das wäre auch der griechischen Staatsführung und dem österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz recht gewesen. Der ÖVP-Politiker hatte vor dem Sondergipfel verlautbart, es sei "notwendig", dass man "nicht wegsieht, sondern dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan "rote Linien" aufzeigt, indem man die Beitrittsverhandlungen seines Landes mit der EU auch offiziell abbricht und "mit Sanktionen agiert".

Heute früh wirkte Kurz dann ein wenig wie ein Horst Seehofer, als er erklärte, es sei ja ein Erfolg, dass Ankara nun deutlicher mit Sanktionen gedroht werde als es ein erster Beschlussentwurf vorsah. Gegen Türkei-Sanktionen hatte sich vor allem die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gesperrt. Sie verwies dabei unter anderem auf die NATO-Mitgliedschaft des Landes.

Gleichzeitig hatte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekannt gegeben, man habe Griechenland und die Türkei dazu überredet, die 2016 unterbrochenen bilateralen Gespräche wieder aufzunehmen. Außerdem hätten sich die Staatsführungen der beiden NATO-Länder bereit erklärt, eine "Hotline" einzurichten, mit der militärische Zusammenstöße verhindert werden sollen.

Erdogan zu türkischen Abgeordneten: "Jerusalem ist unsere Stadt"

Erdoğan macht währenddessen keinen sehr kompromissbereiten Eindruck: Er warf der EU vor, als "Geisel der Frechheiten Griechenlands und der griechischen Zyprer zu einem einflusslosen und oberflächlichen Gebilde ohne Weitblick verkommen" zu sein und erinnerte sie daran, dass "jede Krise, in die die Union interveniert hat, nur neue Ausmaße annahm und sich vergrößerte".

Bei der Eröffnung der neuen Sitzungsperiode des türkischen Parlament sagte er den Abgeordneten in Ankara außerdem, Jerusalem sei "unsere Stadt, eine Stadt von uns", der man unter Suleiman dem Prächtigen ihr architektonisches Gesicht gegeben habe und die man "während des Ersten Weltkriegs in Tränen verlassen musste".

Über die Vereinigten Arabischen Emirate meinte er, diese hätten - anders als die Türkei - gestern nicht existiert und würden wahrscheinlich morgen nicht mehr existieren. Hintergrund der Äußerung dürfte neben der Annäherung der Emirate an Israel sein, dass sich der Golfstaat auch Zypern annähert: Am 1. Oktober, dem Unabhängigkeitstag der Mittelmeerinsel, ließ die Föderation den Burj Khalifa, das höchste Gebäude der Welt, in den zyprischen Nationalfarben beleuchten und wünschte Nikosia öffentlich "Wachstum und Frieden". Vorher hatten sich auch die USA hinter Zypern gestellt, indem sie ein Waffenembargo teilweise aufhoben und Spekulationen Raum gaben, dass sie ihren Luftwaffenstützpunkt Incirlik dorthin oder nach Griechenland verlegen könnten.

Dass diese Länder ihren Abstand zur türkischen Staatsführung vergrößern, könnte auch mit der Unterstützung der Moslembrüder durch die türkischen Regierungspartei zu tun haben, die eine gerade erschienene britische Studie belegt. Sie dürfte auch den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron interessieren, der heute eine Rede über islamistische Aktivitäten in französischen Problemvierteln hält und die türkische Staatsführung auf dem EU-Gipfel öffentlich dazu aufgefordert hat, sich zum Vorwurf der Einschleusung von Dschihadisten aus Nordsyrien in den Südkaukasus zu erklären (vgl. Armenien vs. Aserbaidschan: Gestern Tschetschenen, heute Syrer?). Diesen Vorwurf, den der armenische Botschafter in Moskau erhob, hätten ihm inzwischen Geheimdienste bestätigt.

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