EU: Neuer Pakt zur Asyl- und Migrationspolitik
Fresh Start? EU-Mitgliedsländer, die keine Schutzsuchenden aufnehmen wollen, sollen sich dafür an Rückführungen beteiligen
Wie würde beispielsweise Ungarn bei der Rückführung von Flüchtlingen helfen? Mit Geld? Mit zusätzlichem Personal für Frontex? Was ist mit "Sponsorships", mit sogenannten "Abschiebe-Patenschaften", gemeint, die die Rückkehr von Migranten unterstützen sollen?
Heute stellte die EU-Kommission ihren neuen Pakt zur gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik vor. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte in ihrer Rede die beiden Schlüsselworte für den "frischen Start": Solidarität und Verantwortung.
Der griechische Vize-Kommissionspräsident Margaritis Schinas, verantwortlich für den European Way of Life sowie für Migration, Sicherheit, soziale Rechte und Gesundheit, und die schwedische EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, erläuterten heute Mittag auf ihrer Pressekonferenz Ansatz und Plan zur neuen EU-Migrationspolitik. Sie gaben sich Mühe, das Neue hervorzuheben. Dass sich die erste Frage der Pressevertreter genau darauf richtete, was nun denn neu sei, und die Antwort von Margaritis Schinas darauf gewunden ausfiel, um mit der Beschwörung eines doch bitte optimistischeren Geistes zu enden, ist bezeichnend für die Lage.
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Der Pakt zur gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik sieht neue Verpflichtungen vor. Die EU-Planer haben es aufgegeben, Länder, die sich nicht davon überzeugen lassen, dass sie bei der Umverteilung von Flüchtlingen und Migranten mitmachen sollen, mit Druck dazu zu bringen. Diese Zerreißprobe ist zu riskant geworden.
Also versuchen die Pakt-Entwickler einen anderen verpflichtenden Solidaritätsbeitrag. Die nicht aufnahmebereiten Länder sollen bei der Rückführung von Migranten und Flüchtlingen helfen, deren Schutzgesuche abgelehnt werden. Wie dieser Solidaritätsbeitrag - sponsoring returns - konkret aussehen soll, dazu wurden allerdings noch keine Einzelheiten genannt.
Der neue Pakt hat noch längere Laufwege, Verhandlungen und Entscheidungen vor sich. So muss er noch vor den EU-Ministerrat und vor das EU-Parlament, bei diesen Abstimmungen bekommen Einzelheiten eine andere Tragweite. Heute ging es um ein Konzept, das an die europäische Öffentlichkeit gerichtet war.
"Human und effektiv, berechenbar"
Im Vordergrund stand die Überzeugungsarbeit, einen Kompromiss als Erfolg darzustellen - vor dem Hintergrund, dass sämtliche Argumente zur Asyl- und Migrationspolitik ausgetauscht und die Positionen festgeschraubt sind.
Das Drama von Moria führte die politischen Beschränkungen vor Augen. Nicht einmal eine an den Einzelfall ausgerichtete, tatsächlich großzügige Nothilfe-Aktion war politisch möglich. Bedenken über die Folgen einer solchen Geste bestimmten die Enge der Handlungsfähigkeit. Die Linie der Abschreckungspolitik blieb maßgeblich. Mitgefühl am Elend der Lagerinsassen wurde als naiv und fehl am Platz beschrieben oder kommentiert.
Es erhöhte sich der Druck auf die EU-Kommission, endlich ein Lösungskonzept vorzustellen und nicht weiter hinauszuschieben, um der ad-hoc-Lösungspolitik, die den Eindruck der Hilflosigkeit verstärkt, etwas grundsätzlich Besseres entgegenzustellen. "Human und effektiv, berechenbar", lauten die Stichworte aus der EU-Kommission zum Pakt sowie: "praktisch, pragmatisch, nachhaltig, verlässlich und verantwortlich".
Die EU braucht Migration, sagte Ylva Johansson. Sie betonte den Wert der legalen Migration für die Gemeinschaft und schloss daran an, wie man künftig effizienter mit dem Problem der irregulären Migration zurechtkommen will. Erstens soll die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern verbessert werden, damit die wirtschaftliche Situation dort verbessert wird - und nicht zuletzt die Rückführungsabkommen. In diesem Zusammenhang tauchte öfter der Begriff "win-win" auf.
Zweitens soll das Prozedere an den Außengrenzen effizienter, übersichtlicher, schneller und geordneter ablaufen. Die Rolle von Frontex wird ausgebaut, der Screening-Prozess der Flüchtlinge und Migranten soll in kurzer Zeit die Identität abklären, Sicherheits-Checks durchführen, herausfinden, ob schon einmal ein Asylantrag gestellt wurde, wie es um die Aussicht auf Bewilligung eines Schutzstatus steht sowie in welches Land die überprüften Personen kommen sollen. Binnen 5 Tage nach Ankunft soll das geschehen, so Ylva Johansson.
Bei den Migranten und Flüchtlingen, bei denen die Aussichten auf einen Schutzstatus wahrscheinlich schlecht sind, müsse dies genauer geklärt und parallel dazu bereits abgeklärt werden, wie es um eine freiwillige Rückkehr steht bzw. die Rückführung in ihr Herkunftsland. Auch dies soll schnell geschehen, für diese Prozedur gibt die EU-Kommissarin aber einen Zeitraum von mehreren Wochen an.
(Ergänzung: Die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken sieht darin ein Hotspot-System, das quer zu grundlegenden Rechten steht:
"Meine Befürchtungen, dass Moria als Blaupause für die Reform der EU-Migrations- und Asylpolitik herhalten soll, haben sich damit bestätigt. Eine Verstetigung des Hotspot-Konzepts wäre absolut fatal. Menschenrechte werden in den Lagern an den EU-Außengrenzen seit Jahren systematisch mit Füßen getreten. Schutzsuchende haben ein Recht auf rechtsstaatliche Asylverfahren in der EU, auch wenn dieses durch die Abschottungspolitik bereits faktisch stark eingeschränkt wird.
Das Recht auf Einzelfallprüfungen darf durch die angekündigte Reform nicht noch weiter eingeschränkt werden. Vorprüfungen und geschlossene Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen kämen einer endgültigen Entrechtung von Geflüchteten gleich. Europäische Solidarität darf sich nicht daran messen lassen, wer sich verstärkt an gemeinsamen Abschiebungen beteiligt.")
Neuanfang auf Lesbos
Neu ist die bereits erwähnte Einführung eines verpflichtenden Solidaritätsmechanismus in kritischen Zeiten, wenn der Migrationsdruck außergewöhnlich wird. Eine verpflichtende Beteiligung an der relocation von Flüchtlingen mit anerkannten Schutzstatus bzw. mit einer guten Aussicht darauf ist nicht mehr im Forderungskatalog. Dafür aber sollen die EU-Mitgliedsländer, die sich an der Aufnahme nicht beteiligen, in der Pflicht bei der Versorgung und Rückführung der nicht akzeptierten Schutzsuchenden beteiligen.
Den Anfang einer neuen EU-Migrationspolitik kann man in Lesbos verfolgen, wo eine EU-Task Force für eine bessere Situation im neuen Empfangslager für Flüchtlinge sorgen soll und für ein neues, humanes und effektives Verfahren zur Klärung des Status der Migranten und dem weiteren Verlauf ihres Weges.
Nicht angesprochen wurden politische Unwägbarkeiten, wie sie zum Beispiel der türkische Präsident Erdogan schon öfter in der Flüchtlingsfrage beigesteuert hat. Ob die EU durch den neuen Asyl- und Migrationspakt weniger anfällig für dessen politische Erpressungsversuche wird? Oder versucht sich die EU mit einer Wiederauflage des Abkommens mit der Türkei abzusichern? Es gibt eine Reihe von offenen Fragen.