EU-Parlament: Informelle Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalmacronisten steht
Die drei Fraktionen haben den italienischen PD-Abgeordneten David-Maria Sassoli zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt
Heute Mittag hat das EU-Parlament den italienischen Partido-Democratico-Abgeordneten David-Maria Sassoli zu seinem neuen Präsidenten gewählt. Der 63-Jährige Fernsehjournalist war (anders als Manfred Weber das sein sollte, wenn Frans Timmermans als EU-Kommissionspräsident nominiert worden wäre) nicht Teil des gestern Abend vom Rat geschnürten Personalpakets (vgl. Europäischer Rat einigt sich auf Ursula von der Leyen als neue Kommissionspräsidentin), sondern wurde erst in der Nacht von der sozialdemokratischen S&D-Fraktion ausgesucht.
Allerdings hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk "vorgeschlagen", dass das EU-Parlament erst einen Sozialdemokraten als Präsidenten wählt, der die erste Hälfte der Legislaturperiode amtieren soll, und anschließend einen Christdemokraten. Letztere verzichteten darauf hin ebenso auf die Aufstellung eines eigenen Kandidaten wie die Liberalmacronisten, die ebenfalls Teil der neuen informellen Koalition sind. Manfred Weber, der Fraktionschef der EVP, hatte bereits vorher erklärt, nicht antreten zu wollen. Zumindest nicht für die ersten zweieinhalb Jahre.
Spitzenkandidaten zeigten nur nationalen Faktor
Die Wahl verlief deshalb erwartungsgemäß wenig überraschend: Christdemokraten und Liberalmacronisten verhalfen dem Sozialdemokraten im zweiten Wahlgang mit 345 Stimmen zur nötigen Mehrheit von mindestens 332 Stimmen. Im ersten Wahlgang hatte er mit 325 Stimmen nur sieben zu wenig bekommen. Auf Platz 2 landete in diesem ersten Wahlgang der Tscheche Jan Zahradil, der mit 162 Stimmen hundert mehr bekam, als seine konservative EKR Abgeordnete hat.
Diese zusätzlichen Stimmen kamen vor allem den Reihen von Matteo Salvinis 73 Köpfe starker neuer Fraktion Identität und Demokratie (ID) und der 56 Fraktionslosen (von denen 29 zur Brexit Party gehören). Im zweiten Wahlgang kam der ODS-Politiker dann auf 160 Stimmen. 133 Abgeordnete votierten im ersten und 119 im zweiten Wahlgang für die Deutsche Franziska Keller, deren Grünen-Fraktion über 75 Abgeordnete verfügt. Die Spanierin Sira Rego konnte dagegen nur einen Abgeordneten außerhalb ihrer zweiundvierzigköpfigen Linksfraktionen von sich überzeugen.
Dass die informelle Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalmacronisten auch Ursula von der Leyen und Josep Borrell bestätigt, ist angesichts dieser Einigkeit wahrscheinlich, auch wenn sich gestern einige Sozialdemokraten kritisch über die deutsche Verteidigungsministerin äußern durften, die nicht zu den Spitzenkandidaten gehörte, welche die Parteiverbände vor der Wahl aufgestellt hatten. Dass man mit Manfred Weber und Frans Timmermanns auf europaweit wirkende Zugpferde verzichten würde, ist allerdings ohnehin nicht der Fall: Die Christdemokraten verloren mit Weber 34 Sitze auf jetzt 182, die Sozialdemokraten mit Timmermanns 30 auf jetzt nur mehr 154.
Gegen den Europatrend um 8,7 Punkte auf 18,1 Prozent zulegen konnten sie lediglich in der niederländischen Heimat ihres Spitzenkandidaten. Dieser nationale Faktor (der Vorstellungen einer zunehmenden Europäisierung eher widerspricht) hatte sich auch 2014 schon gezeigt, als die Sozialdemokraten ebenfalls herbe Verluste eingefahren hatten - außer in Deutschland, wo die SPD mit dem Slogan warb: "Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden". Bei Weber griff nicht einmal dieser Effekt: Die CDU verlor mit ihm auch in Deutschland deutlich, lediglich in Bayern blieb das Ergebnis seiner CSU etwa gleich.
Italien und der Haushaltskommissar
Timmermans will nun EU-Kommissar bleiben. Ob der gelernte Experte für französische Literatur dabei weiterhin für "bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechtecharta" zuständig ist, oder ein anderes Ressort zugewiesen (oder zugeschnitten) bekommt, wird sich zeigen. Bei der Dänin Margrete Vestager, die Quasi-Spitzenkandidatin der Liberalmacronisten und ebenfalls als EU-Kommissionspräsidentin im Gespräch war, zeichnet sich dagegen jetzt schon ab, dass sie ihren Posten als Wettbewerbskommissarin behalten wird.
Interessant wird, ob der Lette Valdis Dombrovskis und der Franzose Pierre Moscovici Finanzstabilitätskommissar und Währungskommissar bleiben, und wer dem deutschen Günther Oettinger den Haushaltskommissarposten abnimmt. Hier könnte es sein, dass sich der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte für seine Zustimmung zu von der Leyen noch etwas mehr zusichern ließ, als nur die Zentralbankpräsidentschaft für Christine Lagarde (die wegen fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Geldern verurteilt wurde und von der erwartet wird, dass sie Mario Draghis sehr lockere Geldpolitik fortsetzt).
Offiziell will die italienische Regierung das von Oettinger angedrohte Defizitverfahren erst einmal durch ein am 1. Juli verkündetes Einfrieren von veranschlagten, aber noch nicht angefallenen 7,6 Milliarden Euro für die Grundsicherung und die Rücknahme der Rentenreform abwenden. Die Populärität von Matteo Salvinis Lega stieg trotzdem weiter auf jetzt erstmals 38 Prozent, was auch damit zu tun haben könnte, dass er den Deutschen in anderen Bereichen die Stirn bietet.
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