EU-Parlament stimmt für "Terror-Content-Verordnung"
Verein Digitale Gesellschaft befürchtet "massive Gefahren für die Medienlandschaft und den Wettbewerb im Internet"
Heute Nachmittag hat das EU-Parlament für eine Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte gestimmt. Sie geht auf eine Initiative des deutschen Innenministers Horst Seehofer und seines ehemaligen französischen Amtskollegen Gérard Collomb zurück. Die beiden Politiker hatten die EU-Kommission vor einem Jahr dazu aufgefordert, durch harte Strafen dafür zu sorgen, dass "terroristische Inhalte" innerhalb einer Stunde von Plattformen im Internet verschwinden.
Die Kommission gehorchte und legte im September 2018 einen Entwurf für die jetzt verabschiedete Verordnung vor, der unter anderem eine Pflicht zum Einsatz von Uploadfiltern vorsah. Diese Pflicht schwächte der LIBE-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im EU-Parlament zu einer Möglichkeit ab, auffällig gewordene Plattformen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu "spezifischen Maßnahmen" wie dem Einstellen von zusätzlichem Personal zu verpflichten. Diese und andere von ihm vorgenommene Änderungen können jedoch in den nach der Europawahl folgenden Trilog-Verhandlungen wieder zurückgenommen werden.
Bloße "Informationen" reichen
Eine andere Änderung, die der LIBE-Ausschuss vornahm, ist die Herausnahme einer Rechtsgrundlage für Aufforderungen zum "freiwilligen Löschen". Kritiker hatten befürchtet, dass dies dazu dienen könnte, rechtmäßige (aber unbequeme) Inhalte löschen zu lassen. Das droht allerdings auch durch die verbliebene verbindliche Entfernungsanordnung nach Artikel 4 der Verordnung. Sie sieht vor, dass eine nach Artikel 17 von den jeweiligen Mitgliedsstaaten benannte Behörde einen Internetdienstleister unter Androhung eines Bußgeldes in Höhe von bis zu vier Prozent seines weltweiten Jahresumsatzes dazu auffordern kann, einen "terroristischen Inhalt" binnen einer Stunde zu löschen.
Dass der Dienstleister die Aufforderung inhaltlich prüft, ist dabei nicht vorgesehen. Das ist insofern problematisch, als Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung eine sehr unscharfe und weite Definition von "terroristischen Inhalten" enthält. Dieser Definition nach können nicht nur Aufrufe und Befürwortungen "terroristischen Straftaten", sondern auch "technische Anleitungen", "Darstellungen" und sogar bloße "Informationen" sein, "die terroristische Vereinigungen fördern".
Ausnahmen
Der LIBE-Ausschuss hat versucht, diese Problematik zu entschärfen, indem er in Artikel 1 der Verordnung Ausnahmen für die journalistische Berichterstattung über, die Dokumentation von und die Forschung zu Terrortaten einfügte. Darüber hinaus soll nach Artikel 2 Absatz 5 a bis c für das Vorliegen eines "terroristischen Inhalts" zusätzlich Voraussetzung sein, dass er "die Gefahr der Begehung einer terroristischen Tat verursacht". Bei so einer Tat kann es sich der hierfür definitionseinschlägigen EU-Richtlinie 2017/541 nach auch um "zivilen Ungehorsam" handeln.
Aus der von der Kommission gewollten Verpflichtung, dass jede benannte Behörde eines EU-Mitgliedslandes eine europaweite Sperre eines Inhalts veranlassen kann, machte der LIBE-Ausschuss eine Verpflichtung zu einer nur mehr landesweiten Sperre, die sich über Geoblocking leicht durchführen, aber über Browser wie Opera auch relativ leicht umgehen lässt. Vorher hatten Rechtswissenschaftler wie Daphne Keller vom Center for Internet and Society an der Stanford Law School vor einem "Export von Meinungsfreiheitsbeschränkungen" gewarnt. Soll europaweit gesperrt werden, muss die Behörde tätig werden, in der ein Dienstleister seinen europäischen Hauptsitz hat.
Wettbewerbsvorteil für etablierte Angebote
Auch wenn noch nicht klar ist, welche der LIBE-Änderungen im Trilog-Verfahren zurückgenommen werden (und welche nicht), befürchtet der Verein Digitale Gesellschaft, dass die "Terror-Content-Verordnung" "massive Gefahren für die Medienlandschaft und den Wettbewerb im Internet" mit sich bringen wird.
Woran das Europaparlament nicht gerüttelt hat, ist nämlich die extrem kurze Frist zum Sperren, die seiner Ansicht nach "für kleine und mittlere Angebote existenzbedrohend" wäre, weil sie "praktisch die Einrichtung eines 24-Stunden-Dienstes" fordert: "Damit wird ihnen der Marktzugang erheblich erschwert, was im Ergebnis den jetzt bereits etablierten großen Angeboten einen Wettbewerbsvorteil verschafft." Viele kleinere oder nichtkommerzielle Plattformen könnten außerdem "gezwungen [sein], ihre Angebote für benutzergenerierten Content einzustellen oder die Ausführung an größere Digitalkonzerne auszulagern".
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