EU-Spitze wegen Treffen mit Erdogan in der Kritik
Annäherung erfolgt demokratiepolitisch zur Unzeit: Deutsche Oppositionspolitiker sprechen von "falschem Signal" und von "Schande"
Die Treffen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Michel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan stößt bei Oppositionspolitikern im Bundestag wie im Europaparlament auf Kritik.
Der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff, hält es für ein "falsches Signal" und den Zeitpunkt für unpassend, um die "Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan mit PR-kräftigen Bildern zu belohnen", kurz nachdem die Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen ausgetreten ist. Auch die Arbeit von Presse und Opposition werde dort massiv behindert, erinnerte Lambsdorff am Dienstag.
Michel hatte kurz zuvor ein Bild von sich, Erdogan und von der Leyen via Twitter geteilt und dazu erklärt, man sei nun bereit, Erdogan die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei zu besprechen. "Um eine konstruktivere Agenda aufzubauen, ist eine dauerhafte Deeskalation erforderlich", so der EU-Ratspräsident.
Hintergrund des Gesprächs sind Beschlüsse des EU-Gipfels vor eineinhalb Wochen, als sich die Staats- und Regierungschefs darauf verständigt hatten, die Beziehungen zur Türkei schrittweise wieder auszubauen. In Vorbereitung sind nun beispielsweise Verhandlungen über eine Ausweitung der Zollunion.
Lambsdorff forderte dagegen am Dienstag ein Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei. Sevim Dagdelen, Obfrau der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, nennt es "eine Schande, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel bei ihrer Reise zu dem türkischen Autokraten jede konkrete Solidarität mit der verfolgten Opposition vermissen lassen". Wer in diesen Tagen zu politischen Gesprächen in die Türkei reise, solle die unzähligen politischen Gefangenen dort besuchen, statt allein Erdogan die Aufwartung zu machen, erklärte Dagdelen.
Als Beispiele nannte sie die früheren Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, die seit längerem inhaftiert sind, sowie den gerade verhafteten Menschenrechtspolitiker Ömer Faruk Gergerlioglu.
Was für Spannungen sorgt und was nicht
Die kurdische Nachrichtenagentur ANF zitierte ausführlich aus einem Schreiben, in dem Abgeordnete mehrerer Fraktionen im Europaparlament von der Leyen und Michel aufgefordert hatten, beim Treffen mit Erdogan Klartext über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu reden. "Erdoğans neue Türkei ist ein zunehmend autokratisches Land, das wir nur schwer als legitimen Partner anerkennen können", heißt es darin unter anderem.
Seit der türkischen Invasion im nordsyrischen Kanton Afrin 2018 seien nach Angaben regionaler Menschenrechtgruppen 303 Kinder und 213 Frauen durch Angriffe der türkischen Armee oder mit ihr verbündeter bewaffneter Gruppen verletzt worden.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags hatten die türkische "Operation Olivenzweig" in Afrin völkerrechtlich als problematisch eingestuft: "Angesichts der bestehenden Zweifel am Vorliegen einer Selbstverteidigungslage nach Art. 51 VN-Charta sowie am verhältnismäßigen Vorgehen der türkischen Streitkräfte in Nordsyrien steht die Berufung der Türkei auf das Selbstverteidigungsrecht auf ausgesprochen 'tönernen' Füßen", heißt es in dem Gutachten.
All das war jedoch nicht der Grund, warum die Beziehungen zwischen EU und Türkei zwischenzeitlich angespannt waren. Im Dezember hatte die EU der Türkei wegen des Konflikts mit Griechenland und Zypern um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer Sanktionen angedroht. Daraufhin hatte das Nato-Land die Erdgaserkundungen beendet und Gesprächsbereitschaft signalisiert.
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