EU: Streit über Migration aus Afghanistan
Luxemburgs Asselborn fordert 40.000 bis 50.000 Resettlement-Plätze für afghanische Flüchtlinge, Österreichs Kurz will keinen mehr aufnehmen und Ungarn behandelt die "Kameraden" aus Kabul wie illegale Einwanderer
In Brüssel tagen heute die EU-Innenminister, um einerseits über Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan zu sprechen und anderseits darüber, wie man über Drittländer, Nachbarländer Afghanistans und wichtige Regionalstaaten, verhindern kann, dass es zu einer Wiederholung der Situation von 2015 kommt.
Letzteres werde ihn einem Entwurfs-Papier zum Treffen indirekt angesprochen, berichtet die Tagesschau. Dort sei zu lesen, dass die EU "auf der Grundlage von Lehren der Vergangenheit" gemeinsam eine "koordinierte und geordnete Reaktion" auf mögliche Migrationsbewegungen vorbereiten müsse.
Aus der UN kommen große Zahlen: Nach der Machtübernahme der Taliban könnte man mit bis zu einer halben Million weiter Geflüchteten rechnen. In Brüssel werden sofort die bekannten unterschiedlichen Lager kenntlich.
Die EU-Kommission setzt auf sichere Wege und rief die Mitgliedsstaaten vor der heutigen Dringlichkeitssitzung dazu auf, mehr Schutzsuchende aus Afghanistan über das Umsiedlungsprogramm (Resettlement) des UN-Flüchtlingshilfswerks aufzunehmen. Wie zuvor schon machte Luxemburgs Einwanderungsminister Jean Asselborn den Anwalt für eine solche Lösung:
Die Europäische Union sollte bereit sein, 40.000 bis 50.000 Resettlement-Plätze für afghanische Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen.
Jean Asselborn
Und wie so oft war der österreichische Kanzler Sebastian Kurz Protagonist der Gegenseite. Diesmal unterstützt vom Janez Jansa, dem Ministerpräsidenten Sloweniens, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Kurz hatte sich vor ein paar Tagen strikt gegen die Aufnahme weiterer afghanischer Flüchtlinge ausgesprochen, "Österreich habe bereits sehr viel geholfen und es gebe Integrationsprobleme" (Der Standard). Jansa machte deutlich, dass nur Menschen aufgenommen werden sollen, "die uns während der Nato-Operation geholfen haben".
In Ungarn hält man sich an diese Vorgaben und hat "96 Afghanen, die das westliche Militärbündnis am Hindukusch als Ortskräfte unterstützt hatten, in einem Auffanglager untergebracht". Budapest würde jene Afghanen, die für das ungarische Militärkontingent in Afghanistan tätig waren, als "Kameraden" betrachten, die nun in Ungarn schutzberechtigt seien, heißt es in dem dpa-Bericht vom 23. August.
Die Zeitung Népszava präzisierte die kameradschaftliche Behandlung dann in einem Bericht vom gestrigen Montag: "Viele waren überrascht, dass die geretteten Personen nicht einem Asylverfahren, sondern einem Ausländerverfahren unterworfen wurden." Das heißt, dass ihre Situation unsicherer ist als die eines Asylbewerbers. Kritiker sehen in der Behandlung der afghanischen Kameraden aus Kabul durch das ungarische Innenministerium keinen Unterschied zur Behandlung illegaler Migranten.
Die Kluft zwischen Behauptungen und Wirklichkeit zeigt sich auch an anderen Stellen. So steht zum einen die Zahl von einer halben Million Flüchtlingen im Raum, mit der die UN bis zum Jahresende rechnet - und entsprechende Sorgen der EU -, auf der anderen Seite deuten Zahlen aus der Wirklichkeit bislang auf andere Dimensionen.
So berichtet die taz heute, dass zwar mehr als 40.000 Menschen in Afghanistan eine Aufnahmezusage der Bundesregierung bekommen haben, aber keinen Platz in einem Evakuierungsflug aus Kabul:
Der Zählerstand der deutschen Rettungsbemühungen bleibt somit zunächst bei 4.587 stehen. So viele Menschen sind nach Angaben des Innenministeriums im Rahmen der Evakuierungsaktion der vergangenen beiden Wochen nach Deutschland gekommen. 403 der Personen seien deutsche Staatsbürger:innen und 634 ehemalige Ortskräfte beziehungsweise deren Familienmitglieder.taz
Für die in Afghanistan verbliebenen 35.000, die eine Aufnahmezusage der Bundesregierung bekommen haben, Mitarbeiter deutscher Stellen, Gefährdete und enge Familienangehörige, lote Außenminister Maas gerade künftige Wege zur Ausreise aus, so die Zeitung aus Berlin. Darüber hinaus gehe es dem Minister, der gerade in Pakistan zu Besuch ist und danach auch in Katar verhandeln will, auch um die Aufnahme Schutzsuchender in der Region.
Erste Berichte vom Besuch Maas in Islamabad lassen nicht erkennen, welchen Verhandlungserfolg der deutsche Außenminister erreichen könnte.
Als Erfolg bei den Verhandlungen der EU-Innenministerrunde gilt, würden einheitliche Regeln für die Bearbeitung von Asylanträgen afghanischer Flüchtlinge gesehen, wird Ales Hojs, der slowenischer Innenminister und Leiter das Krisentreffen zitiert. Ziel sei die Verständigung auf ein Maßnahmenpaket:
Das wird allen Mitgliedstaaten helfen, gemeinsam den richtigen Kurs zu finden. Und dafür brauchen wir eine offene Debatte, bei der alles auf den Tisch kommt. Vor allem auch die Sorge, dass Afghanistan erneut für einen massiven Migrationsdruck sorgen könnte.
Ales Hojs