Echelon in Holland

Niederländischer Geheimdienst erhält Genehmigung zum Abhören von Satellitenkommunikation.

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Der niederländische Geheimdienst BVD erhält neue Vollmachten. Unter anderem werden die Abhörbefugnisse erweitert. Wenn es nach dem Willen der Regierung geht, wird der Dienst wahllos Satellitenkommunikation abhören und das Internet nach Schlüsselwörtern durchsuchen können. Der BVD erhält auch eine neue nachrichtendienstliche Aufgabe: das Sammeln wirtschaftlicher Informationen. Wie es scheint, bekommt auch Holland sein Echelon.

Das neue "Gesetz über Nachrichten- und Sicherheitsdienste" (WIV), das derzeit im niederländischen Parlament debattiert wird, gibt den Befugnissen des BVD eine neue gesetzliche Basis. Konkret bedeutet das eine Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse. Mit jedem Zusatz zum Originalentwurf werden neue Befugnisse verliehen. Im ersten Entwurf des neuen Gesetzes zum Beispiel stand, dass der BVD Telekommunikation abhören, aufzeichnen und belauschen darf. Im neuesten Zusatz von Anfang dieses Jahres wurde die Erlaubnis des "Empfangens" hinzugefügt. Das bedeutet, dass der BVD nun ermächtigt ist, Telekommunikation direkt anzuzapfen, zum Beispiel den gesamten GSM-Traffic im Äther. Damit ist der BVD nicht mehr auf die Willigkeit von Telekom-Unternehmen zum Abhören angewiesen, sondern kann sein eigenes Netzwerk von Empfangsstationen aufbauen, um den gesamten GSM-Traffic abzuhören. Damit ist auch die Möglichkeit ausgeschlossen, dass Provider etwas über die feine Tätigkeit des BVD nach außen durchsickern lassen.

Die größte Erweiterung aber ist der neu hinzugefügte Artikel 25a. Mit diesem Artikel wird der BVD ermächtigt, jegliche internationale Telekommunikation, die nicht über Kabel läuft, flächendeckend abzufangen und nach verschiedenen Dingen von Interesse zu durchforsten (Personen, Gruppen, Schlüsselworte). Laut den zusätzlichen Erläuterungen zu diesem Gesetzesentwurf ist diese Form flächendeckenden Abhörens nötig, um festzustellen, ob irgendwelche interessanten Botschaften Teil der internationalen Kommunikation sind.

Die Regierung gibt nonchalant zu verstehen, dass es nicht verhindert werden könne, dass der BVD so Kenntnis von den Inhalten der übermittelten Botschaften bekomme, obwohl das, so die niederländische Regierung, nicht der Hauptzweck des ziellosen Abhörens sei.

"Die Suche ist in erster Linie ein Werkzeug der Aufklärung über die Kommunikation, um die Art der Unterhaltung oder die Identität der Person oder Gruppe feststellen zu können. Dass die Agentur damit teilweise Kenntnis vom Inhalt der Kommunikation erhält, ist unvermeidbar, wenn man herausfinden will, wer kommuniziert und ob diese Person oder Gruppe von Interesse für die Agentur ist. Dennoch geht es bei der Suche nicht eigentlich darum, den gesamten Inhalt der Kommunikation zu erfahren. In gewisser Weise ist diese Aktivität mit dem Hineinhören in ein Telefongespräch vergleichbar, um herauszufinden, ob die Verbindung in Ordnung ist".

Das klingt nach einer sehr kreativen Art zu sagen, dass Abhören nicht wirklich Abhören ist, sondern nur ein technischer Test der Verbindung. Und dafür ist kein eigener Durchsuchungsbefehl vonnöten...

Schlüsselworte

Da große Teile internationaler Telekommunikation über Satelliten und Funkstrecken übertragen werden, ist es klar, dass Artikel 25a den niederländischen BVD ermächtigt, alle diese Verbindungen abzuhören. Das heißt also es wird eine unkontrollierbare Befugnis verliehen, alle diese Kommunikationsformen abzuhören, die nicht an Kabel gebunden sind. Das kann auch von großen Konsequenzen für den Internetverkehr sein. Da Botschaften im Internet die günstigste Verbindung wählen und das Herz des Internet in den USA schlägt, gibt es eine gute Chance, dass Emails, die von einem Punkt in den Niederlanden zu einem anderen Punkt in den Niederlanden eine Route über die USA wählen. In der Zukunft könnte das auch bei Telefongesprächen der Fall sein. Alle diese Botschaften könen abgefangen und durchsucht werden. Bereits jetzt werden die Telefongespräche zwischen zwei großen Städten in Holland, zwischen Amsterdam und Rotterdam über Funkwege übertragen.

Im ersten Entwurf des WIV musste der Innenminister noch die Erlaubnis für die Schlüsselwörter erteilen, mit denen der Nachrichtendienst die abgehörte Telekommunikation durchsucht. Nach den letzten Veränderungen erhält der Innenminister nur noch einmal im Jahr eine Liste der verwendeten Schlüsselwörter zur Kenntnisnahme, während der BVD ermächtigt wurde, neue Schlüsselwörter nach eigenem Gutdünken hinzuzufügen.

Abgesehen davon erhält der BVD nun auch die Befugnis, abgehörte Kommunikation aufzuzeichnen. Während die erste Fassung des WIV noch verlangte, dass der BVD alle abgehörte Kommunikation, die für ihn nicht von Interesse ist, sofort zu löschen, erhält er nun das Recht, diese für ein Jahr zu speichern.

Auf diese Art schafft die niederländische Regierung ihr eigenes Mini-Echelon. Der BVD benutzt für seine Abhörmaßnahmen das technische Informationsverarbeitungszentrum (TIVC) des Marine-Geheimdienstes. Dieses auf dem Marine-Stützpunkt Kattenberg bei Amsterdam gelegene Zentrum verarbeitet Satellitenkommunikation, die von verschiedenen Bodenstationen aufgefangen wird. Das TIVC arbeitet auf dieselbe Art und Weise wie sein großer Bruder, die NSA, wie durch die Publikation interner Dokumente in der niederländischen Tageszeitung De Haagse Courant 1985 gezeigt wurde. Satellitenkommunikation wurde abgehört, aufgezeichnet und nach Schlüsselwörtern zur weiteren Analyse durchkämmt. Die daraus gewonnenen Informationen schickte das TIVC an den Auslandsnachrichtendienst (IDB), bevor dieser 1994 nach einer Serie von Skandalen geschlossen wurde. Seither befindet sich die gesamte Signal Intelligence in den Händen der Marine-Aufklärung.

Laut einer Studie der zweier niederländischer Geheimdienstexperten (Bob de Graaff and Cees Wiebes, Villa Maarheeze, 1998), ist das TIVC Teil eines größeren internationalen Netzwerks und arbeitet eng mit anderen westlichen Diensten zusammen. So berichtete TIVC zum Beispiel 1972 dem israelischen Geheimdienst Mossad, dass Ägypten und Lybien eine Unterwasserverbindung für Telefongespräche und Telexe aufgebaut hatten. Israelische Sondereinheiten zerstörten diese Leitung, so dass Ägypten und Lybie wieder auf Satellitenkommunikation zurückgreifen mussten, ein leichtes Ziel für das Abhören. Nach Aussagen der Autoren protestierte die amerikanische CIA 1992 heftig gegen die bevorstehende Auflösung des IDB, da sie fürchteten, dass dadurch niederländische Sigint-Kapazitäten vermindert werden würden.

Vitale ökonomische Interessen

Die neuen Befugnisse zum flächendeckenden und ziellosen Abhören von Satellitenkommunikation werden zweifellos auch zur Wirtschaftsspionage benutzt werden. Schon in der Vergangenheit wurden Sigint-Kapazitäten für wirtschaftliche Zwecke benutzt. Die Autoren des oben erwähnten Berichts sprechen von "inzestuösen Beziehungen" zwischen niederländischen Nachrichtendiensten und der Industrie und nennen dafür einige Beispiele. Führende Persönlichkeiten holländischer Unternehmen mit großem Auslandsengagement arbeiteten zugleich für den IDB. Zum Ausgleich bekamen sie wirtschaftsbezogenes Geheimdienstmaterial vom IDB. Der holländische multinationale Konzern Philips hat laut dieser Studie enge Beziehungen mit heimischen Nachrichtendiensten. Das Unternehmen baute angeblich Abhör-Einrichtungen in Telefonschaltanlagen ein, die an ausländische Unternehmen und Regierungen verkauft wurden.

Mit dem neuen Gesetz für Geheimdienste erhält der BVD offiziell die Aufgabe zur Wirtschaftsspionage. Der BVD muss "vitale ökonimische Interessen schützen", was als Teil der nationalen Sicherheit gesehen wird.

"Die niederländische Wirtschaft ist äußerst abhängig von ökonomischen Entwicklungen überall auf der Welt. Diese Entwicklungen sind von zunehmender Internationalisierung und Globalisierung gekennzeichnet. Anderswo getroffene Entscheidungen können von tiefem Einfluss auf die niederländische Wirtschaft sein. Es ist möglich, Informationen über diese Entwicklungen auf verschiedene Arten zu erhalten, zum Beispiel durch Zusammenarbeit mit Geheimdiensten anderer Länder. Diese Dienste werden allerdings zuerst ihre eigenen Interessen berücksichtigen. Um nicht von Informationen von Dritten abhängig zu sein, denkt die Regierung, dass es notwendig ist, die Position der eigenen Information auszubauen und zu stärken".

Was genau die "vitalen ökonomischen Interessen" sind, bleibt jedoch von einer Wolke des Geheimnisses verdeckt.

"Deshalb möchten wir mit der Bemerkung schließen, dass mit der Erklärung der "vitalen ökonomischen Interessen" in Bezug zur Arbeit des BVD auch die Möglichkeit geschaffen wird - wenn es angemessen erscheint - Ermittlungen in diesem Bereich zu führen, auch wenn die nationale Sicherheit direkt nicht betroffen ist oder das schwierig zu argumentieren wäre".

Verschlüsselung

Die neuen Befugnisse des BVD sind auch hinsichtlich mehrerer Paragraphen interessant, die Verschlüsselung und Informationstechnologie betreffen. Der BVD darf in Wohnungen und Büros einbrechen, um Wanzen in Computer-Keyboards einzubauen. Darüberhinaus darf der BVD auch in Computer eindringen, um Informationen, die auf diesem Computer gespeichert sind, zu stehlen, zu verändern oder zu löschen. Mit anderen Worten, der BVD erhält die Erlaubnis zum Hacking. Der Nachrichtendienst kann damit Daten von Rechnern stehlen, Software manipulieren, Passwörter korrumpieren oder trojanische Pferde installieren, so dass der Zugang sichergestellt und Kryptographie umgangen werden kann.

Kryptographie ist ein Thema von besonderem Interesse für den BVD. Im Gesetzesentwurf werden die Befugnisse zur Entschlüsselung erweitert. Im ersten Entwurf wurde dem BVD zugestanden, verschlüsselte Kommunikation und Daten mit "technischen Mitteln" zu entschlüsseln. In der letzten Fassung wurde das dahingehend erweitert, dass Entschlüsselung "mit allen möglichen Mitteln" zugelassen ist. Laut den erklärenden Zusätzen "hat die Praxis gezeigt, dass Entschlüsselung auch mit anderen als technischen Mitteln möglich ist".

Diese kryptische Beschreibung scheint auf Infiltratoren hinzuweisen, die anderen Passwörter entlocken, oder ihnen über die Schulter spähen, wenn Botschaften verschlüsselt werden, oder auf Agententeams, die in Wohnungen und Büros einbrechen, auf der Suche nach dem Stück Papier auf dem das Passwort notiert ist.

Auch die Artikel über das Abhören von Telekommunikation enthalten Abschnitte über Kryptographie. Verschlüsselte Botschaften dürfen solange aufbewahrt werden, wie der BVD zur Entschlüsselung braucht. In den Erklärungen heißt es:

"Was Telekommunikation angeht, die nicht entschlüsselt wurde und wobei allein die Tatsache, dass Kryptographie benutzt wurde, diese Kommunikation für den Dienst interessant macht, so ist es wünschenswert, dass diese Kommunikation so lange gespeichert wird, bis die Kapazität zur Entschlüsselung vorhanden ist oder entwickelt wurde".

Die Benutzung einer ganz normalen Technik zum Schutz der Privatsphäre, von Handelsgeheimnissen oder sensibler politischer Information ist in den Augen der niederländischen Regierung also bereits ein höchst verdächtiger Akt. Der Entwurf macht es auch zur Verpflichtung für jeden, von dem die Behörden annehmen, dass er Zugang zu den Schlüsseln hat, mit dem Geheimdienst bei der Entschlüsselung zu kooperieren. Die Weigerung kann mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Das Parlament hat die Regierung bereits gefragt, ob das auch bedeutet, dass Verdächtige gezwungen sind, Schlüssel zu übergeben.

Bis jetzt gab es dazu noch keine Antwort. Falls die Regierung aber bestätigt, dass diese Verpflichtung auch für Verdächtige gilt, dann wäre das eine deutliche Verletzung grundlegender Menschenrechte, so wie zum Beispiel im Vertrag über den Schutz der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten festgelegt. Es würde bedeuten, zur eigenen Verurteilung beitragen zu müssen und wäre auch eine Umkehrung der Beweislast.

Übersetzung: Armin Medosch