Eichen statt Plattenbauten

Dessau verliert massiv Einwohner und baut gegen die drohende Verödung einen Grünzug auf. Sieht so die Zukunft der schrumpfenden Städte aus?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Statt 100.000 Menschen wie Anfang der 90er Jahre leben 2010 vorrausichtlich nur noch 65.000 Einwohner in der Bauhaus-Stadt. Viele Wohnungen stehen jetzt schon leer. Gebäude verfallen und muten gespenstisch an. Im Zuge des Stadtumbaus Ost werden viele davon abgerissen. Um also nicht zur Geisterstadt zu degenerieren, muss die Stadt handeln. Nach der Devise "Pflanzt Eichen und lasst Natur sprießen, wo einst Beton den Boden bedeckte" soll Dessau grüner werden. Da darf dann auch Unkraut wachsen.

Dabei mangelt es Dessau auf den ersten Blick nicht an Grünflächen. An die Stadt grenzt das Wörlitzer Gartenreich, das zum Weltkulturerbe zählt. Ein weitläufiger Stadtpark im Zentrum oder der Tierpark sind gut zu erreichen. Aber in einigen Wohngebieten droht Verödung. Dort verblasst das karge Grün vor grauem Beton. Wenige gelbe Farbkleckse mit Forsythien und Osterglocken fallen kaum auf vor den Plattenbauten. Nun schafft hier der Abrissbagger Platz für neue Grünflächen. Wer hinter die Häuser blickt, trifft auf neu gepflanzte Eichengruppen, wo einst ein grauer Wohnklotz stand. Die jungen Bäume markieren den Beginn einer neuen Grün-Ära in Dessau.

Und das ist erst der Anfang. Durch die ganze Stadt soll sich in den kommenden Jahren ein grünes Band ziehen bis hinein in das umliegende Gartenreich Wörlitz. Geplant und ausgeführt wird das Ganze im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2010 (IBA) in Sachsen-Anhalt. Deren Aufgabe ist es, gemeinsam mit 16 weiteren Städten in Sachsen-Anhalt Lösungen für den Stadtumbau Ost zu finden. Den haben Bund und Länder auf den Plan gerufen, um wirtschaftliche und soziale Folgen des Leerstands, insgesamt 1 Million Wohnungen in den neuen Bundesländern, zu beherrschen.

Die Dessauer bewahren die Mittel des Programms vor einer neuen Unwirtlichkeit ihrer Stadt. Und wie könnten die Stadtplaner dem besser begegnen als mit mehr Grün. Dabei verabschiedet sich die Anhaltinische Metropole vom traditionellen Stadtparkkonzept. In der Landschaftszone werden nicht mehr Blumenbeete die Gehwege begleiten. Und das nicht nur, weil sich Dessau pflegeintensive Pflanzenareale gar nicht mehr leisten könnte. Der gestalterische Kniff besteht vielmehr darin, dass sich der Grünbereich auf das umliegende Gartenreich Dessau-Wörlitz bezieht.

Der im 18. Jahrhundert entstandene Landschaftsgarten, bei dessen Anlage sich Fürst Leopold III. von Anhalt-Dessau an philosophischen Prinzipien der Aufklärung orientierte, war nie als geschlossener Park geplant. Die Übergänge zwischen der gestalteten Kulturlandschaft zu annähernd naturbelassenen Flächen sind ebenso fließend wie zu Obstplantagen und landwirtschaftlich genutzten Feldern. Dieses Arrangement lebt in dem grünen Band als "Pflegestreifen" wieder auf.

„Mit einer kultivierenden Pflege werden dazu schon vorhandene Landschaftsqualitäten herausgeschält und in Wert gesetzt“, erläutert die Landschaftsarchitektin Heike Brückner vom IBA-Büro den Ansatz, die den Grünplan mit entworfen hat. Wo letztes Jahr ein Haus abgerissen wurde, sprießt jetzt schon Spontanvegetation, wie es im Fachjargon heißt. Das ist das Neue an dieser Landschaft, wo anders als im Stadtpark Pflanzen gedeihen können, denen sonst als Unkraut der Gar ausgemacht würde. Wildkräuter und manches andere Gesträuch werden nicht weggepflegt, sondern in das Grünareal einbezogen. Über eine Länge von drei Kilometern auf einer Grundfläche von 90 Hektar erstreckt sich der Grünzug. Ein Motiv aus dem Gartenreich verbindet und strukturiert den Raum. Immer wiederkehrend trifft der Spaziergänger auf ein Eichen-Quincum, einer Fünfergruppe von Bäumen, das eine Verbindung schlägt über die Stadtgrenzen hinweg in die Wörlitzer Gärten.

Für Dessau arbeitet eine Planungswerkstatt das Vorhaben aus und entwickelt einzelne Elemente des Grünzuges. Neben den Vertretern der Stadtverwaltung (das Amt für Umwelt und Grünplanung) und der Wohnungswirtschaft, diskutiert in dieser Runde die lokale Agenda 21 mit. Damit soll es gelingen, „den Umbauprozess jenseits partikularer und rein wirtschaftlicher Interessen zu steuern“, so Brückner.

Dabei ist das Engagement einzelner gefragt, die den Grünzug pflegen und vor allem bewirtschaften wollen. Hobbygärtnern steht es frei ein Stück Land zu beackern. Zwar muss das Vorhaben mit der Planungswerksatt abgesprochen werden. Die gärtnerische Kreativität soll aber nicht durch strenge Normen eingeschränkt werden. So entsteht anders als im Stadtpark eine landschaftliche Vielfalt mit einem anarchistischen Charme. Dabei spielen natürlich auch ökonomische Erwägungen eine Rolle. „Denn die billigste Landschaft ist eine durch Nutzung kultivierte Landschaft“, erläutert Brückner die Idee für mehr gärtnerische Freiheit in der Stadtlandschaft. Und die Kommune spart das Geld für die Pflege, das sie ohne hin nicht hat.

In Dessau begreift man die Schrumpfung als Chance, der Stadt nicht nur ein neues Gesicht zu geben. Vielmehr deutet sich hier an, das da wo Häuser weichen müssen statt der Leere mit Eichen, Büschen und Rasen auch eine neue Lebensqualität entstehen kann. Hier könnte für viele Städter ein Wunsch in Erfüllung zu gehen, in der Stadt mitten im Grünen wohnen und arbeiten zu können.