Eichmann, der BND und die Expertenkommission
Wie der Geheimdienst und das Bundeskanzleramt mit einem von der Autorin erwirkten Urteil zur Herausgabe von Akten umgehen
Man hatte ihn abkommandiert, zu seinem ersten "Fronteinsatz": Bodo Hechelhammer, Leiter der Forschungsgruppe Geschichte des Bundesnachrichtendienstes, promovierter Historiker mit Spezialgebiet Kreuzzüge. Das erste Mal, dass er in der Öffentlichkeit sein Gesicht zeigt, gestand er. Am vergangenen Montag saß er im Berliner Institut für Medien und Kommunikationspolitik auf dem Podium und musste, da der eingeladene Kanzleramtschef Ronald Pofalla gekniffen hatte, den versammelten Journalisten und Historikern Rede und Antwort zum "Fall Adolf Eichmann und die Bundesregierung" stehen. Und natürlich ging es um die gerade gegründete BND-Historikerkommission - die Antwort der in die Defensive geratenen Bundesregierung unter dem Motto: die beste Methode, einen Skandal zu verdecken, ist die Gründung einer Expertenkommission. Denn nachdem Angela Merkel vergeblich das Thema aussitzen wollte, muss am Ende und nach heftigem Widerstand nun doch auch der BND seine braunen Wurzeln aufarbeiten.
Als "Experten" wurden vier Historiker handverlesen: Jost Dülffer (Köln), Wolfgang Krieger (Marburg), Klaus-Dietmar Henke (Dresden) und Rolf-Dieter Müller (Potsdam). Henke wollte darin gleich einen "Kulturwandel" im Kanzleramt sehen. Worin der genau besteht, ist bisher nicht klar. Auch der BND-Kenner Erich Schmidt-Eenboom, der über die Organisation Gehlen promoviert, sieht keine grundlegende Kursänderung sondern "eher eine Nebelkerze".
Nicht einer der angeblichen Experten hat sich durch Werke über die Zeit des Nationalsozialismus hervorgetan. "Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr hat als Gutachter bei der Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter in mindestens zwei Fällen gelogen", behauptete Jan Korte (MbB Die Linke), "und ausgerechnet so einer soll die Nazi-Vergangenheit des BND erhellen"? Hechelhammer, der Kreuzzugsexperte, schwieg dazu.
Im Prinzip, sagt der BND, sollen die vier Historiker alles sehen dürfen. Ob und wann dieses Material auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden wird? Ja, das sei noch unklar. Wahrscheinlich werden die zitierten Unterlagen irgendwann im Bundesarchiv landen, hieß es. Und die nicht-zitierten Dokumente und die Papiere, gegen deren Veröffentlichung der Dienst sein Veto einlegen kann? Hmmm. Und ob sich an der bisherigen Auskunftsunwilligkeit etwas ändert? "An der Praxis ändert sich an dem bisherigen Verfahren erst mal nichts durch die Kommission", so der Kreuzzügler, "es gibt weiter die Möglichkeit, zu Sachthemen und Personen, Akteneinsicht zu beantragen, und über die wird dann entsprechend entschieden. Positiv oder negativ".
Gegründet wurde der BND an einem Ersten April 1956, hervorgegangen aus der Organisation Gehlen, einer CIA-Gründung unter dem Kommando des Nazi-Generals Reinhard Gehlen. Er rekrutierte seine alten Kameraden für den Kalten Krieg, dort zählte nur der Antikommunismus. Ob jemand sein Handwerk bei der SS oder der Gestapo gelernt hatte, interessierte nicht. Auch nach dem Ende des Kalten Kriegs änderte sich in Pullach wenig. Während nordamerikanische Geheimdienste seit den siebziger Jahren - meist nach Gerichtsurteilen - ihre Unterlagen herausgeben müssen, wurde in der Bundesrepublik erst 2005 das Informationsfreiheitsgesetz verabschiedet, das die Geheimdienste ausdrücklich ausnimmt. Sie wähnten sich in der Sicherheit, daß ihnen niemals jemand in die Karten beziehungsweise ins Archiv gucken würde! Böse Zungen behaupten übrigens, das Archiv des BND sei ein Saustall, in dem nicht einmal die eigenen Leute etwas finden. Das Koblenzer Bundesarchiv stellt deshalb seit Jahren - um schlimmeres für die Zukunft zu vermeiden - eine eigene Beamtin ab.
Über Jahrzehnte gab Pullach überhaupt nichts preis, nicht einmal den Parlamentariern. Der Bundesrechnungshof darf bis heute operative Vorgänge nicht einsehen, etwa beurteilen, ob die Ausgaben in einem akzeptablen Verhältnis zu den Ergebnissen stehen. Der Geheimschutz verhindert eine Qualitätskontrolle, und das Ergebnis ist unvermeidbar: Erfolge hat der Dienst nicht vorzuweisen, die Ausgaben sind astronomisch. Kritiker werden als "Verschwörungstheoretiker" abgetan und das Material wird vorenthalten. Und das ging viele Jahre gut. Freiwillig gab man so gut wie nichts heraus: peinlich unbedeutende Wochen- und Tagesmeldungen, die im Bundesarchiv lagern, dann einige Aufklärungsergebnisse über die militärische und wirtschaftliche Situation in der DDR. Das, was kritische Geister wissen wollten, wird zurückgehalten - die Politik spielt ja mit, und die Öffentlichkeit hat sich dran gewöhnt.
Da war die Überraschung groß, als Ende April 2010 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig meiner Klage auf Herausgabe der BND-Akten zu Adolf Eichmann stattgab. Die Richter erklärten die Sperrerklärung des Bundeskanzleramtes für rechtswidrig. Nach 30 Jahren, so besagt es das Bundesarchivgesetz, seien amtliche Unterlagen grundsätzlich offen. Daß sie irgendwann einmal als "Geheim" gestempelt worden seien, reiche alleine nicht aus. Doch statt das Urteil zu respektieren und die Akten nunmehr komplett vorzulegen, schaltete das Bundeskanzleramt auf stur und präsentierte erneut eine Sperrerklärung. Sie benutzt dieselben, vom Gericht für rechtswidrig erklärten Argumenten, um diese Papiere aus den fünfziger Jahren bis 1961 weiterhin der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Soviel zum Thema "Kulturwandel".
Die Klage auf Herausgabe der kompletten Akten ist anhängig, womit sich der BND-Historiker Hechelhammer am Montag für sein Schweigen entschuldigte.
(Noch) kein Verfahren ist anhängig wegen der verweigerten Auskunft zur Colonia Dignidad - jener deutschen Siedlung in Südchile, in der über Jahrzehnte gefoltert wurde und in der man Kinder sexuell missbrauchte. Der BND-Waffenhändler Gerhard Mertins von der Firma Merex AG leitete den "Freundeskreis der Colonia Dignidad" in Deutschland. Zu diesem Thema verweigert der BND komplett die Auskunft. Zunächst verschanzte er sich hinter der generellen Geheimhaltung, dann bat er um Aussetzung des Auskunftsverfahrens bis zur Entscheidung in Leipzip über die Eichmann-Akten, und jetzt hat Pullach dem Bundesarchiv statt Akten ein Dokument über eine "Notvernichtungshandlung" vorgelegt. Warum die Akten vernichtet worden seien? Schweigen von Hechelhammer. Das Bundeskanzleramt wird demnächst auf eine parlamentarische Anfrage antworten müssen, warum sie nicht nur den barmherzigen Mantel der Geheimhaltung über einen nationalsozialistischen Massenmörder legen will sondern auch über die deutschen Päderasten in Chile.
Auf ihre Partei und den Koalititonspartner kann sich Frau Merkel verlassen. Bei einer aktuellen Debatte im Bundestag zum Thema Eichmann meinte am Mittwoch der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Manfred Grund, "ein Nachrichtendienst wäre kein Nachrichtendienst, wenn er alle seine Unterlagen auf den Marktplätzen der Welt ausbreiten würde". Die Redner der FDP beschränkten sich darauf, über die Stasi-Vergangenheit der Linkspartei herzuziehen. Die SPD hüllte sich in schöne Worte und legte sich, wie immer, nicht fest. Bei wem es sich um den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann eigentlich gehandelt hatte - darüber ging es im Bundestag ebensowenig wie um seine Opfer. Seit 65 Jahre entweicht aus den Schornsteinen der NS-Vernichtungsmaschinerie kein Rauch mehr, und die heutigen, sich "demokratisch" nennenden Politiker nehmen sich das Recht heraus, Akten über die Täter geheim zu halten und uns die Wahrheit zu verschweigen. Sie verkünden es und gehen zur Tagesordnung über. Das ist unerträglich.
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