Eigentum an Haus und Grund ist kapitalistische Ideologie
Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert gibt den Anstoß, die Ideologie von Eigentum an Haus und Grund systematisch zu diskutieren
"Konsequent zu Ende gedacht sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt", sagt Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert in der heute erscheinenden "Zeit". Das vorab online erschienene Interview sorgte erwartbar für viel Kritik, vor allem Spott.
Wie immer beim Umgang mit Zitaten, zumal skandalisierten, lohnt es sich, sie im Kontext zu betrachten und nicht nur als Twitter-Schnipsel. Das mit Kevin Kühnert, seit November 2017 Bundesvorsitzender der Jusos, geführte Interview betitelt Zeit.de: "Was heißt Sozialismus für Sie, Kevin Kühnert?"
Um diese Frage kreisen alle Fragen von Jochen Bittner, Politik-Redakteur, und Tina Hildebrandt, Ressortleiterin in der Hauptstadtredaktion, die zunächst nicht davon überzeugt waren, "dass Sie [Kühnert] ein richtiger Sozialist sind". Das ist alleine schon ein interessanter Ansatz, da doch die Abkürzung "Jusos" für nichts anders steht als "Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD". Nach der alten "Mann beißt Hund"-Regel des Journalismus sollte die Befragung der "Zeit" also nur dann eine Meldung wert sein, wenn Kühnert nicht als Sozialist herüberkommt.
Zum Immobilieneigentum äußerte sich Kühnert nach folgender Frage: "Beim Sozialismuskongressder Jusos in Berlin vor einigen Wochen haben Sie gesagt: 'Warum sollte jemand mehr als 20 Wohnungen in seinem Besitz haben?' Sagen Sie es uns. Warum nicht?"
Kühnerts Antwort: "Weil Wohnen ein Grundbedürfnis ist. Jeder muss wohnen. Besonders in Städten steigen durch Profitstreben die Mieten stark an. Damit ist das Recht auf Wohnen noch nicht für alle in Frage gestellt, aber für immer mehr Menschen eben doch. Da ist doch die sehr moderate Frage berechtigt, warum eigentlich Leute Rendite erwirtschaften müssen mit etwas, das andere zum Leben brauchen? Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Konsequent zu Ende gedacht sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt."
An dieser Stelle haken Bittner und Hildebrandt leider nicht ein, obwohl hier die wirklich spannende Auseinandersetzung hätte beginnen können. Stattdessen beenden sie das Thema:
Zeit: Das Ziel wäre, dass es gar keine privaten Vermietungen mehr gibt?
Kühnert: Das wäre der Optimalfall, natürlich.
Zeit: Ok. So langsam glauben wir Ihnen, dass Sie Sozialist sind.
Der Wert von Boden und darauf befindlichen Gebäuden hängt nicht von der Leistung des Eigentümers ab
Unwidersprochen steht da also Kühnerts Feststellung: Die Mieten in Städten und Ballungsräumen, über die seit langem täglich in den Medien berichtet wird, "steigen durch Profitstreben". Natürlich, warum auch sonst. Schließlich gibt es keine neue Immobiliensteuer (die im Übrigen vom Eigentümer auf die Nebenkosten, nicht die Miete verteilt würde), keine sonstigen plötzlich aus dem Boden geschossenen Kosten. Es gibt nur wachsende Nachfrage, was dem Kapitalismus eben zur Profitsteigerung gereicht.
Es gibt vermutlich nur zwei Gründe, eine Wohnung zu vermieten: Entweder, die Wohnung (oder ein Teil davon) ist gerade frei geworden und steht ansonsten leer, z.B. weil Familienmitglieder ausgezogen sind. Oder jemand baut oder kauft Wohnungen mit dem Ziel, über Vermietung (oder Verkauf) Profit zu machen. Alles, was unter diesen zweiten Fall fällt, ist mithin Spekulation, so sehr sich Wohnungsbaugesellschaften, Kapitalgeber und Kleinzocker vor diesem negativen Begriff verwahren. Es geht darum, Menschen mehr Geld für Wohnraum zahlen zu lassen, als dies zur Kostendeckung nötig wäre.
Auf die verschiedenen Spielarten dazu soll hier gar nicht weiter eingegangen werden, denn entscheidend ist, was Kühnert vermutlich mit seinem lapidaren "das wäre der Optimalfall" (nämlich: keine privaten Vermietungen mehr) meint, was man hier zumindest intensiv hätte diskutieren müssen: Nämlich die völlig fiktive Idee vom Eigentum an Grund und Boden und dem, was darauf gebaut wird, ohne dass dies an eine Notwendigkeit für den Eigenbedarf oder eine Leistung für die Gesellschaft gekoppelt wäre.
Eigentum sei ein Grundrecht, wird stets jedem entgegengehalten, der Immobilien "kollektivieren" möchte. Sogar die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen enthalte die Eigentumsgarantie. Dabei werden jedoch zwei Dinge übersehen: Erstens verbieten beide Grundlagen gerade nicht die Nutzung von bisherigem Eigentum zugunsten der Allgemeinheit - Enteignung darf nur nicht willkürlich erfolgen und muss entschädigt werden (Art. 14 GG). Dabei ist das Willkürverbot natürlich ohnehin Grundsatz in jeder Demokratie.
Zweitens aber ist damit überhaupt nicht gesagt, ob man Eigentum an Grund und Boden haben kann und was dessen Besitz ggf. bedeutet. Dass "Eigentum verpflichtet" und sein Gebrauch "zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" soll, halten ja immer noch viele für DDR-Propaganda, obwohl es seit 1949 in der bundesrepublikanischen Verfassung steht.
Kann man Eigentum an Menschen erwerben? Nein, selbst dann nicht, wenn man sie selbst gemacht hat, um den Reproduktionsvorgang einmal kapitalistisch zu beschreiben. Kann man Eigentum an der Luft erwerben, die uns umgibt? Nein, weil da niemand ist, der dieses Eigentumsrecht verkaufen könnte. Das alles sind aber keine Naturgesetze, sondern Konventionen.
Land zu beanspruchen weit über den persönlichen Bedarf hinaus, ist freilich keine neue Idee, sondern Kern und Geißel der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Und es funktioniert nur aufgrund eines Herrschaftsverhältnisses, das aufgebaut wird, indem einerseits eine notwendige Zahl an Populationsmitgliedern am Profit dieser Herrschaft beteiligt wird und weil andererseits der große Rest der Bevölkerung zurecht daran glaubt, bei Missachtung der Eigentumsbehauptung ganz gewaltig Ärger zu bekommen.
Ob der selbstproklamierte Eigentümer zur Verteidigung seiner Beute nun Sklaven oder Söldner einsetzt, ist fast einerlei - bis auf die nicht ganz unkomische Tatsache, dass in modernen Gesellschaften vor allem die Menschen, die auch gerne Grundeigentum hätten, denen aber aufgrund der bestehenden Verteilung keines mehr zur Verfügung steht, für den Schutz genau dieses fremdbeanspruchten Eigentums zahlen müssen - man nennt es heute euphemistisch "Rechtsordnung".
Ungeachtet politischer Grundhaltungen dürfte unbestreitbar sein, dass der Wert von Boden und darauf befindlichen oder noch zu errichtenden Gebäuden überwiegend nicht von der Leistung des Eigentümers abhängt. In Berlin-Mitte sind mit der Wiedervereinigung und spätestens der Entscheidung für den Regierungsumzug Milliarden Euro aus dem Nichts entstanden. Boden, auf dem zuvor nur ein paar Punks in Wohnwagen gesiedelt hatten, wurde mit einem Schlag zur Goldgrube. Wohl dem, der sich Eigentümer nennen durfte.
Auch Politik steigert den Bodenwert
Mit der Entscheidung, irgendwo eine Vorrangfläche für Windkraftanlagen auszuweisen, wird aus einer lausigen Wiese, für die es bisher noch Subventionen gab, damit sie überhaupt mal gemäht oder beweidet wird, Geld im Überfluss. Schließlich will der Windrad-Betreiber dort selbst viel Geld scheffeln, also versilbert oder vergoldet er den Boden dem, der behauptet, ihm gehöre dieser. Reich wird ohne jedes Zutun, durch wessen Acker gerade die Nord-Stream-2-Gasleitung gegraben wird. Wo die Gentrifizierung voranschreitet, kann die Änderungsschneiderei oder der Kiosk den Mietpreissprung nicht mehr bezahlen, obwohl sich am Gebäude überhaupt nichts verändert hat. Der Eigentümer hat nicht mehr Kosten, er kann nur mehr Gewinn fordern nach dem simplen Prinzip: Angebot und Nachfrage. Gegenleistung? Keine.
Für die Attraktivität eines Gebiets sorgt ggf. die Politik mit ihren Investitionen oder auch nur Bebauungsplänen. Entsprechend läuft die Spekulation mit Boden: Ob man nun an eine künftige Bebauung glaubt oder darauf setzt, dass der Mensch für seine Ernährung und ggf. die benötigte sonstige Energie noch Acker brauchen wird - wer zu viel Geld hat, kauft Land.
Aber die Besitz-Lobbyisten vertrauen nicht nur auf den Markt. Sie haben sich sehr erfolgreich von Politikern jede Menge Gewinnsteigerung in Gesetze gießen lassen. So müssen Mieter die Modernisierung ihrer Wohnungen selbst bezahlen, auch wenn sie diese gar nicht haben wollen. Noch bleibt der Mietaufschlag (der entgegen landläufiger Meinungen hierbei kaum begrenzt ist) erhalten, nachdem die Investition vollständig bezahlt ist - die Rendite der Eigentümer springt entsprechend in die Höhe.
Ist es verwegen zu meinen, das Land, auf dem wir leben, müsste uns allen gemeinsam gehören? Oder anders und medienkritisch gefragt: Kann man den lautstark artikulierten Protest gegen ein "Gedankenspiel" zur Vergesellschaftung von Grundeigentum ernsthaft für repräsentativ halten? Zwar liegt die Wohneigentumsquote in Deutschland derzeit wohl knapp über 50 Prozent, doch nur ein kleiner Teil ist auch selbst Vermieter, besitzt also mehr, als er für sich selbst benötigt.
Wer Mieter ist, kann gegen eine Problematisierung des Immobilieneigentums nichts haben, schließlich ist damit ja noch nichts über die vielen möglichen anderen Organisationsformen gesagt. Doch darüber wird bisher kaum diskutiert, obwohl einzelne Beispiele zeigen, dass niemand zum Bewohnen einer Wohnung einen kapitalistischen Eigentümer bräuchte, ganz nach dem alten Lehnsherren-Modell. Natürlich würde mit der Freiheit möglicherweise und vermutlich auch die Eigenverantwortung wachsen. Denn der Dualismus entfiele: Hier der arme Mieter, dort der böse Vermieter (der dann auch für jedes Ärgernis verantwortlich gemacht wird).
Jeder Mensch muss irgendwie wohnen, da hat Kevin Kühnert unbestreitbar recht. Aber zu ergänzen ist: Niemand kann dies in Deutschland, ohne Eigentümer oder Mieter zu sein, also so oder so irgendwem, der eine Eigentums-Behauptung aufstellt, viel Geld zu zahlen. Wir können uns noch nicht einmal nomadisch in den Wald zurückziehen, weil auch für diesen jemand das Eigentum beansprucht und die Politik das selbstbestimmte Campieren verboten hat. Wer hier geboren wird, wird in eine Schuldknechtschaft geboren, denn selbst für das kleinste Eigenheim fallen Steuern und jede Menge Abgaben an, völlig unabhängig vom eigenen Bedürfnis. Niemand kann irgendwo wohnen, ohne dafür zu zahlen.
Vermieter sollten mit ihrer Eigentumsbehauptung kein Geld mehr verdienen dürfen
Enteignung, wie sie derzeit diskutiert wird und wie sie vom Grundgesetz ermöglicht wird, ist offenbar für viele Menschen mit Unsicherheit verbunden - weil sie schlicht nichts anderes kennen, als dass alles irgendjemandem gehört: Betreten verboten, spielen verboten, liegen verboten - wir stellen all diese Postulate kaum infrage.
Mein eigener, wenig origineller Vorschlag war dazu kürzlich, Vermieter sollten schlicht mit ihrer Eigentumsbehauptung kein Geld mehr verdienen dürfen. Der darauf folgende Shitstorm hat mich doch etwas überrascht - und hat mich als alten Schulkritiker dazu geläutert, die Einführung eines Schulfachs "Verstehen" zu unterstützen. Denn fast alles, was ich um die Ohren und Augen geworfen bekam, war auf mangelnde Hör- bzw. Lesekompetenz zurückzuführen - sehr ähnlich wie derzeit bei den Angriffen auf Kevin Kühnert (wobei einem Großteil der Kritiker mit ihren Vornamenswitzen wohl auch mit mehr Schulbildung nicht zu helfen wäre). Warum denn dann ein Vermieter noch Geld in den Unterhalt eines Hauses stecken sollte, war so die zentrale, rhetorische Frage.
Natürlich müssen die Kosten des Wohnens irgendwie finanziert werden, normalerweise von den Nutznießern, also den Mietern. Das geschieht überwiegend über die Nebenkostenabrechnung: Da darf kein Gewinn aufgeschlagen werden, es werden nur Kosten weitergereicht, deren Richtigkeit die Mieter auch prüfen dürfen. Das Mietgeld hingegen soll dem Erhalt der Substanz dienen - und dem Profit. Wie hoch der Profit ist, weiß bisher nur das Finanzamt, das für diesen Steuern verlangt, ja das deshalb sogar Profit fordert, damit es Steuern kassieren kann.
Grund und Boden zu besitzen, ist keine Leistung. Niemand soll sein Häuschen verlieren oder die Wohnung, die man für die Kinder gekauft hat. Aber es ist völlig absurd, mit diesem privilegierten Besitz noch weiteren Besitz anzuhäufen, schlicht, weil andere nichts haben und auf dessen Nutzung angewiesen sind - ob man das nun Sozialismus nennt oder Menschenverstand.