Ein Gorillaweibchen oder der älteste Verwandte des Menschen
Deutungen, so falsch wie der Vergleich eines afrikanischen Dreschflegels mit einem Samuraischwert?
Er war die paläoanthropologische Sensation des Sommers: Sahelanthropus tchadensis, von seinem Entdecker Michel Brunet von der Universität Poitiers Toumai oder die Hoffnung des Lebens genannt. Er wurde als einer der wichtigsten Fossilfunde überhaupt gefeiert (siehe Nature Vol. 418 vom 11. Juli 2002) und gilt als der bislang älteste Vorfahre des Menschen.
Mit einem Alter von etwa 6 bis 7 Millionen Jahren könnte er aus der Zeit der Trennung von Mensch und Affe stammen und damit das lange gesuchte Bindeglied zwischen beiden sein. Der Fundort, die Djurab-Wüste im nördlichen Tschad, zog außerdem die bisherige Ansicht, Ost- und Südafrika seien die Wiege des Menschen gewesen, in Zweifel.
Doch in der aktuellen Nature meldet sich fundamentale Kritik an Brunets Ergebnissen. Milford Wolpoff und sein Team vom Paleoanthropology Laboratory der Universität von Michigan in Ann Arbor, halten den Sahelanthropus nicht für einen frühen Hominiden, sondern vielmehr für ein Ur-Gorillaweibchen.
"Wir glauben, dass Sahelanthropus ein Affe war, der in einer Umgebung lebte, die später von Australopithecinen bewohnt wurde und wie diese mit einem mächtigen Kauapparat ausgestattet war", so Wolpoff in Nature.
Weder Gebiss noch Schädelform noch Schädelbasis, heißt es, ließen den Schluss auf einen zweibeinigen Vorfahren des Menschen zu. Eine Interpretation, die Brunet für sein Team in seiner Antwort als "schnodderig" und als durch bislang publiziertes Datenmaterial nicht belegbar zurückweist:
Die Autoren deuten nicht nur die Morphologie des Fundes falsch, es gelingt ihnen auch nicht, auch nur ein einziges Charakteristikum zu anzuführen, das ihre Behauptung, Toumai sei ein Gorilla und kein menschlicher Vorfahre, stützen könnte.
Überhaupt hätten Wolpoff und sein Team den Schädel falsch vermessen, weil sie sich dabei auf ein Foto stützten. Ihre Deutung des Zahnschmelzes sei so falsch wie der Vergleich eines afrikanischen Dreschflegels mit einem Samuraischwert.
Das wissenschaftliche Säbelkreuzen konzentriert sich im Wesentlichen auf zwei Charakteristika des Schädels des Sahelanthropus. Auf eine Stelle am Hinterkopf, dem Ansatz der Nackenmuskulatur, die Wolpoff und sein Team als "spitzen Winkel" interpretieren und damit als deutlichen Hinweis auf ein vierbeiniges Tier. Brunet und sein Team wiederum halten dagegen, dass der Schädel leicht deformiert sei, der Muskulaturansatz im Originalzustand jedoch auf einen aufrechten Gang schließen lasse. Ein zweiter Punkt sind die Zähne, die in der Deutung von Wolpoff für einen frühen Menschenaffen sprechen, nach Brunet aber eindeutig für einen Hominiden.
Wer hat hier Recht, wer liegt falsch? Das Bezeichnende an dem Disput ist, dass Brunet und Wolpoff offenbar für den identischen Sachverhalt völlig konträre Interpretationen finden. Doch womöglich spielt hier auch wissenschaftliche Eifersucht eine Rolle. Als zweitältestes Fossil nach dem Sahelanthropus gilt nämlich der rund 6 Millionen Jahre alte Orrorin tugensis, der im vergangenen Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, und zwar von Milford Wolpoff, der für seinen Fund ebenfalls den Status des ältesten Vorfahren des Menschen reklamiert.
Wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel dieser Auseinandersetzung soll nun eine Rekonstruktion der ursprünglichen Schädelform von Toumai bringen. Doch ob nun Vorfahre des Menschen oder nur Menschenaffe. Wichtig ist der Fund aus dem Tschad allemal. Denn Fossilien aus dieser Zeit sind rar, die meisten Überreste sind weniger als drei Millionen Jahre alt.