Ein Kandidat und viel Geschacher
Die europäischen Konservativen glauben einen geeigneten Nachfolger für Romano Prodi gefunden zu haben
Nach der Wahl des Europäischen Parlamentes versuchen die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten einen Nachfolger für Romano Prodi zu finden. Prodi geht als Herausforderer von Medienzar Silvio Berlusconi nach Rom zurück, ohne dass die mit seinem Namen verbundenen Hoffnungen erfüllt worden wären. Das wochenlange Tauziehen um seinen Nachfolger zeigte einmal mehr die Schwerfälligkeit und Komplexität der europäischen Institutionen. Als offizieller Nachfolgekandidat gilt nunmehr der bisherige portugiesische Ministerpräsident José Durão Barroso.
Wichtige Entscheidungen bis nach den Wahlen aufzuschieben, ist in der großen Politik Alltag. Es gibt kaum Politiker, die ihren Wählern kritische und unangenehme Positionen vor dem Wahltag servieren. Doch was sich noch schlechter macht als unangenehme Nachrichten, sind öffentliche Streitereien. Neben dem Gezerre um den Verfassungsentwurf für die Europäische Union rückte in den zwei Wochen nach der Europawahl vor allem die Nachfolge des Kommissionspräsidenten auf die Tagesordnung. Viele Namen, wenig Greifbares. Und die Wunschkandidaten kamen aus verschiedenen Gründen alle nicht in Frage.
Der EU-Kommissionspräsident ist ein zumindest theoretisch mächtiger Mann. Er steht dem mächtigsten Wirtschaftsraum der Welt vor, ist oberster Verwalter - nicht nur der legendären Bananenverordnungen - zwischen Belfast, Helsinki und Porto. Jedes Mitgliedsland entsendet einen Vertreter in die vorübergehend 25 Köpfe große EU-Kommission. Zum Vergleich: Im Kabinett der Regierung Schröder sitzen 14 Minister.
Eigentlich ist der Job ein sicheres Pflaster. Schalten und Walten im großen Stil ohne allzuviel Öffentlichkeit fürchten zu müssen. Wenn die Kommissare mitspielen, wie der zwischen 1994 und 1999 das Amt bekleidende Luxemburger Jacques Santer feststellen musste. Mit einem taktischen Fehlgriff brachte er sich mitsamt seiner Kommissarsriege 1999 durch die im EU-Parlament gestellte Vertrauensfrage um sein Amt. Ein Korruptionsskandal, ins Rollen gebracht vom damaligen Verwaltungsangestellten und heutigen niederländischen Europaabgeordneten Paul van Buitenen, erschütterte nicht nur das Vertrauen der Bürger in die Eurokratie, sondern auch das der Parlamentarier in die Kommission.
Romano Prodi sollte als Nachfolger Santers frischen Wind nach Brüssel bringen, Europa ein freundliches Gesicht verleihen. In den fünf Jahren, die seitdem verstrichen sind, ist wenig von dem eingetreten, was man sich von Prodis Präsidentschaft erhoffte. Keine großen Würfe, und die kleinen werden nicht Prodi, sondern den halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaften, dem EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen und dem Verfassungskonventspräsidenten Valéry Giscard D'Estaing zugeschrieben. Das Haus Europa ist auch 2004 eine Großbaustelle, für die die Staats- und Regierungschefs einen Vorarbeiter suchen.
Erste Wahl ist der Portugiese José Durão Barroso nicht. Zahlreiche Namen wurden vorher gehandelt, viele abgelehnt. Der Wunschkandidat Jean-Claude Juncker ist in Luxemburg gerade frisch im Amt als Ministerpräsident bestätigt worden - und steht nicht zur Verfügung. Der konservative britische Außenkommissar Chris Patten war politisch nicht durchzusetzen, der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (Österreichische Volkspartei) ebensowenig. Edmund Stoiber hatte keine Ambitionen, sich aus dem geliebten Bayern und damit der politischen Bühne der Bundesrepublik nach Brüssel wegloben zu lassen.
Als Problem erweist sich bei der Kandidatenkür die starke Fragmentierung des Europäischen Parlamentes: Die Mehrheit im EU-Ministerrat ist konservativ geprägt, die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament (732 Sitze) ebenfalls. Doch gegen den Willen der europäischen Sozialdemokraten/Sozialisten (199 Sitze) kann von der Europäischen Volkspartei (278 Sitze) kein Kommissionspräsident im Straßburger Abgeordnetenhaus ins Amt gehoben werden. Daher deutete lange Zeit viel auf die Kandidatur des für beide Seiten eher unproblematischen liberalen belgischen Premiers Guy Verhofstadt hin.
Wir haben eine schwierige Phase hinter uns, und andere, neue Probleme liegen ohne Zweifel vor uns. Wir werden diese gemeinsam angehen, und José Manuel Durão Barroso ist der ideale Mann, das verantwortungsvolle und viel Geschick erfordernde Amt auszufüllen.
Romano Prodi
Die Nominierung des 48jährigen Durão Barroso lässt sich als typisch Brüsseler Lösung bezeichnen: Portugals Regierungschef steht der eher konservativen "Sozialdemokratischen Partei Portugals" (PSD) vor, eine Besonderheit des portugiesischen Parteiensystems. Um den Proporz zu wahren, wird voraussichtlich der bisherige EU-Erweiterungskommissar und SPD-Politiker Günter Verheugen sein Stellvertreter und "Superkommissar". Er soll besondere Koordinierungskompetenzen zwischen den verschiedenen Bereichen der Wirtschafts- und Industriepolitik wahr- und damit eine äußerst exponierte Stellung innerhalb der Kommission einnehmen. Durão Barrosos holpriger Weg zur Nominierung wird die Kommissionspräsidentschaft sicherlich ebensowenig erleichtern wie der starke zweite Mann Verheugen.