Ein Tor für Deutschland
Sönke Wortmann wagt mit "Das Wunder von Bern" den ultimativen Fußballfilm
Nach dem Film ist vor dem Film, herbergerisch gesprochen. In diesem Falle darf man's sogar umdrehen. Wie's ausgeht, ist bekannt. 3:2 gegen Ungarn. Und wie brauchbar der Film so sein würde, war vorher nicht so schwer zu erraten. Man muss nur die Zutaten betrachten: Ein nostalgisches Thema, eine aufwändige Produktion, ein braver Regisseur und der Herstellungsort Deutschland, das seine Vergangenheit allmählich nur mehr in appetitlichen Häppchen zweitverdauen will.
Florian Illies, Guido Knopp, Joseph Vilsmaier und andere Vulgär-Historiker sind schon über die Nerven der Deutschen hinweg gebrettert, und die Vergangenheit wird sich davon nicht so schnell erholen. Gerne sieht sich das Land grade den alten Osten, oder die westlichen Achtziger an. Der 9. November ist, wie an "Herr Lehmann" und "Liegen lernen" zu sehen, hübsche Folklore geworden, und Margarethe von Trotta erlaubte sich mit "Rosenstrasse" einer seltenen tröstlichen Episode aus der Nazi-Zeit noch das Schauer-Kapitel "Sex mit Goebbels" hinzuzudichten, damit auch wirklich ein pfundiger Mythos draus wird. Nur das Wirtschaftswunder ist schon lang nicht mehr verklärt worden.
Die Story vom deutschen WM-Sieg'54 in Bern ist dazu ideal. Das Spiel gilt schon lange als Wendepunkt der Nachkriegsgeschichte, denn die schuldbeladenen Deutschen verliebten sich in den Gedanken, ein einziges Tor von Helmut Rahn würde ausreichen, um etliche Millionen Tote und die Verwüstung Europas vergessen zu lassen. Der Stoff gereichte nun wenigstens nicht dem Polter-Nostalgiker Vilsmaier zu einer weiteren Themaverfehlung, sondern geriet in die Hände des bescheidenen Sönke Wortmann, der sich selbst als Handwerker und in dieser neuesten Arbeit seinen künstlerischen Höhepunkt sieht. Nach gediegenem Mittelmaß ("Der bewegte Mann", "Der Campus") und lukrativem Schrott ("Das Superweib") wagt er damit den ultimativen Fußballfilm, ein Genre, das bisher kaum erfolgreich genützt wurde.
Als Spieler hat Wortmann mal mit der SpVgg Erkenschwick den Aufstieg in die zweite Liga geschafft, als Regisseur weiß er heute um die Argus-Augen aller Fußballfans. Seine Film-Mannschaft ist mit glaubwürdig kickenden Schauspielern besetzt, Adi Dassler präsentiert die ersten Schraubstollen und der alte Lederball sieht richtig schön schwer aus, wenn er durch das Wankdorf-Stadion rollt.
Trotzdem kommt der Fußball in "Das Wunder von Bern" reichlich kurz. Mannschaftskapitän Fritz Walter, eine interessante Gestalt des Turniers, muss am Rande bleiben, Bundestrainer Sepp Herberger ist nicht viel mehr als der erste große Phrasendrescher des deutschen Fußballs, nur der störrische Torschütze Rahn wird halbwegs zur Sagengestalt erhoben. Erst im Finale kommt echtes Fußballfieber auf, wenn Wortmann erfreulich frech wird und endlich das "wahre" Wunder aufklärt.
Ansonsten haben der Regisseur und sein Co-Autor Rochus Hahn der WM'54 eine Familiengeschichte im Ruhrpott hinzugedichtet, in der Helmut Rahns kleiner Taschenträger Matthias unter seinem gerade aus der Gefangenschaft heimgekehrten Vater leidet. Ein prototypisches Nachkriegsdrama ist es also geworden, sorgsam ausgestattet, edel photographiert. In manchen Bildern hat der Film die knalligen Farben alter Peter-Alexander-Komödien. Und inhaltlich könnte man sich durchaus an Erich Kästner erinnert fühlen: Da ist der missverstandene Bub, der ungerechte Vater, der später alles einsieht, die patente Mama und diverse skurrile Erwachsene: Das schlampige Genie Rahn; der Zuchtmeister Herberger mit martialischem Vokabular und dem Herz am rechten Fleck; ein junger Sportjournalist samt erst fußballfeindlicher, dann besserwisserischer Ehefrau.
Angelegt ist dieses Personal allerdings in der Possierlichkeit des möglichst amerikanischen Familienfilms, bei dem der Soundtrack mit seiner allzeit behaupteten Pfiffigkeit kaum mal eine Sekunde die Klappe hält. Hauptmakel dieses Berner Filmwunders ist jedoch der Dialog, der nichts von Kästners flapsiger Präzision hat, sondern wirkt, als sei er direkt aus dem Schneider-Buch geklaut. Dadurch leidet der Film an akuter Übererklärerei. Rechtzeitige Schnitte hätten vieles angenehm verkürzt, stattdessen dreht manches Motiv eine Ehrenrunde.
So wird etwa das Heimkehrerschicksal von mehreren Figuren leitartikelartig zusammengefasst, von der Mutter, vom Pfarrer und schließlich vom Vater selbst. Doch all dies unaufhörliche Benennen von wunden Punkten dient hier offenbar nur dazu, damit wir Zuschauer auch ja kapieren, wie spitze, prima und tiptop alles am Ende wieder geworden ist, für den kleinen Matthias, für den Kriegsheimkehrer, für die Kumpels unter Tage und in der kleinen Kneipe, sowie für alle Deutschen und überhaupt für das ganze Land.
Das Wunder von Bern" gibt es auch auf einer Doppel-CD im Hörverlag, die den Original-Kommentar zum Endspiel 1954 enthält. Fünf Minuten mit dem Sprecher Herbert Zimmermann ersetzen leicht zwei Stunden Kino.