"Ein Wirtschaftssystem, das auf Wachstum und Profit ausgelegt ist, kann nicht nachhaltig sein"
Ein Telepolis-Interview mit Aktivisten der Plattform Change for Future, die als antikapitalistische Strömung innerhalb der Schülerbewegung Fridays for Future agiert
Klimaschutzaktivisten aus mehr als 30 Städten, die im Rahmen der Fridays for Future (FFF) aktiv sind, haben sich jüngst zu der bundesweiten Plattform Change for Future zusammengetan. Die Aktivisten eint die Überzeugung, dass Klimaschutz mit einer ernsthaften Kritik der kapitalistischen Gesellschaft einhergehen muss. Telepolis sprach mit Vertretern dieser antikapitalistischen Strömung innerhalb der FFF-Bewegung.
Ihre Plattform "Change for Future" plädiert innerhalb der FFF-Bewegung für einen radikalen gesellschaftlichen Wandel, um der eskalierenden Klimakrise zu begegnen. Wieso eigentlich? Reicht ihrer Ansicht nach eine ökologische Reformpolitik, wie sie etwa die Partei der Grünen propagiert, nicht aus? Wieso kann die Politik die Klimakrise nicht lösen?
Change for Future: Eine ökologische Reformpolitik, also Reformen, die am bestehenden System vorgenommen werden und Systemzwängen unterworfen sind, können nicht ausreichen, um die drastischen Ausmaße der kommenden weltweiten Klimakatastrophe einzudämmen. Eine Abwendung der schlimmsten Folgen für die gesamte Menschheit lässt sich nicht mit dem Kapitalismus vereinbaren.
Alle politischen Akteure, auch unsere Bundesregierung, sind immer den Zwängen des Systems unterworfen. Nichts anderes geben die vielen Regierungen dieser Welt immer wieder aufs Neue zu, wenn sie von Sachzwängen oder Hemmnissen sprechen. Auch an den wissenschaftlichen Studien ist zu sehen, dass das System bisher von sich aus immer wieder gegen den Klimaschutz gelaufen ist und momentan läuft. Es scheint keinen Ausweg aus der Klimakatastrophe zu geben, und falls dieser Ausweg kommen sollte, dann wahrscheinlich zu spät. Das erklärt sich daraus, dass unser Wirtschaftssystem auf Wachstum und Profit ausgelegt ist.
Ein Ausblick in der Geschichte soll das verdeutlichen. Bisher wich das System immer nur von seinen Zwängen ab, wenn es Gefahr lief, abgeschafft zu werden. So wurden Gewerkschaften erst erlaubt, als ein weiteres Verbot zum Sturz der Regierungen und zum Ende des vorherrschenden Systems hätte führen können. Auch die Sozialisten-Gesetze fanden erst ihre Aufhebung, als das System seine Abschaffung durch eine erstarkte Arbeiter*innenbewegung befürchten musste. Parallel dazu wurden Sozialgesetze geschaffen, um den Konflikt zu befrieden und die Systemfrage zum Verstummen zu bringen.
In aktuellerer Zeit haben wir das Beispiel der Anti-Atombewegung. Auch hier wurden erste Zugeständnisse möglich, als die Situation zu eskalieren drohte. Als die Menschen den Sturm auf die Zäune wagten und sich in der Nähe der WAA Häuser - in die Bäume - bauten, war die Notwendigkeit zur Veränderung gegeben.
In allen Fällen wurde mit Reformen nachgegeben, um den Widerstand abzubauen. Wie langlebig Reformen sind, können wir immer wieder beobachten. Sobald der Widerstand nachlässt, werden diese stetig wieder abgebaut. So wurden die Sozialgesetze mit Hartz IV komplett verfremdet und der Bau von Kernspaltungsanlagen ist auch wieder in der Diskussion.
Wie schätzen Sie nun Reformpolitik ein?
Change for Future: Was heißt das? Nun, einerseits kann festgestellt werden, dass Reformpolitik nichts ist, was an sich erstritten werden muss, sondern sie ist ein Versuch, die Besitzverhältnisse, sprich das Privateigentum an Produktionsmitteln, zu erhalten. Weiter bedeutet dieses, dass die Akzeptanz von Reformpolitik zum Rückgang von progressiver Politik führt. Größere Ziele werden nicht mehr verfolgt, sondern es wird sich mit Systemstabilisierung begnügt.
Kurz: Reformpolitik ist ineffizient, stellt sich bei fehlenden Konflikten selbst ein und untergräbt schließlich die langfristigen und progressiven Ziele der ursprünglichen Gegenbewegung. Sie ist also bloße Zeitverschwendung und Beruhigung. Warum sollten wir sie deshalb überhaupt betreiben?
"Die Produzenten sind die eigentlichen Verursacher der kommenden Klimakatastrophe"
Könnten nicht die Konsumenten die ökologische Krise abwenden? Was ist mit einem Wandel des Konsumverhaltens? Reicht es nicht, wenn wir alle anders oder weniger konsumieren? Es gibt ja schon erste Aufrufe zu einer Art ökologischer Austerität.
Change for Future: Natürlich braucht es einen Wandel im Konsumverhalten, aber das alleine wird nicht ausreichen. Wir müssen zwischen existentiellen und luxuriösen Bedürfnissen unterscheiden. Wir wollen damit nicht sagen, dass wir Wohlstand an sich abschaffen wollen, sondern lediglich, dass wir unsere Konsumhaltung hinterfragen müssen. Es gibt Bedürfnisse, die von sich aus umweltschädlich sind, z.B. der individuelle Personenkraftverkehr, sprich das Auto, gegenüber dem öffentlichen Nahverkehr in Form von Bus und Bahn.
Jedoch schreibt der Kapitalismus uns den Konsum als "Lifestyle" vor. Konsum ist, genauer gesagt, das Verlangen nach dem Verzerr von Waren. Für ein genaues Verständnis fehlt uns somit der Charakter der Ware. Durch den Charakter der Ware entsteht erst der Zwang zum Profitstreben, da Waren nur für den Handel hergestellt werden und nicht zur reinen Bedürfnisstillung unserer Gesellschaft gedacht sind. Indem Konsumkritik nur bei der bloßen Kritik dessen, was und wie viel konsumiert wird, stehen bleibt, verkennt sie, dass die Produktionsweise im Kapitalismus Überproduktion bewirkt.
Im Kapitalismus ist jene Überproduktion gewollt, da der Profit durch den Handel der Waren angestrebt wird. Wir als Konsumenten werden durch Werbung und soziale Zwänge zum Konsum angehalten, um diesen Profit zu ermöglichen. Unser Besitz, also die Aneignung von Waren, zeigt unseren sozialen Status. Wir zeigen unsere Zugehörigkeit oder unsere Abgrenzung zu anderen somit durch unseren Konsum. Wer z.B. einen Kaffee konsumiert und dabei mit Laptop im Starbucks sitzt, zeigt nicht nur seinen Status, er grenzt sich damit auch nach unten von allen ab, die das nicht können. Wir sind dazu genötigt, unseren Status zu erhalten, wenn nicht sogar zu verbessern. Durch die permanent präsente Werbung wird uns suggeriert, dass wir Produkte kaufen sollen, obwohl z.B. unser alter Laptop noch völlig ausreicht.
Wir werden mit dieser Konsumlogik schon als Kinder großgezogen, abhängig gemacht und indirekt zum Kauf von Waren gezwungen. Wir sollen uns bilden und bestenfalls studieren, nur um später möglichst viel besitzen zu können. Das führt unweigerlich dazu, dass wir anstatt solidarisch miteinander zu sein, eifersüchtig und egoistisch werden. Was wir lernen, ist somit nicht dem Streben nach einer besseren Zukunft unterworfen, sondern alleinig der Aufrechterhaltung des Systems.
Im Kapitalismus sind es die Systemzwänge, die in den Unternehmen über die Produktion und damit auch über die aus ihr folgenden Emissionen bestimmen. Der Fokus ihrer Produktion wird immer beim Zweck des höheren Gewinns, anstatt bei der Nachhaltigkeit liegen. Das Angebot orientiert sich nicht mehr an der Nachfrage, sondern an der Profittauglichkeit. Die Produzenten, sprich die Firmen, sind die eigentlichen Verursacher der kommenden Klimakatastrophe: Doppelt so viel Energie wird in der Produktion verbraucht, als in den privaten Haushalten. Nur wenn wir miteinander anstatt gegeneinander unseren Konsum und unsere Wirtschaft ausrichten, kann eine klimataugliche Ökonomie Realität werden.
Es darf nicht sein, dass wir weiterhin in dieser Wegwerfgesellschaft leben, während Menschen, nicht nur bei uns, von Hunger bedroht sind, sondern sogar, im globalen Süden millionenfach an Hunger sterben. Gerade umweltpolitisch darf es so nicht weitergehen. Den Unternehmen wird es gestattet, so viel wie möglich zu produzieren. Nein, noch schlimmer. Sie werden sogar zum Wachstum animiert und das auf Kosten der Länder um uns herum. Unser gutes Leben, sprich unser Konsum, ist der Grund dafür, warum wir von Billiglöhnern und Sklaven in der Dritten Welt abhängig sind. Wer gewährleistet denn unseren Transport von Waren auf den Autobahnen in ganz Europa? Es sind die Niedriglöhner in den osteuropäischen Ländern. Wer erntet unseren Kaffee, der bei Starbucks konsumiert wird?
Die Produzenten, sprich die Firmen, die uns immer wieder zum Konsum animieren und welche eine Überproduktion, gemäß dem Profit- und Wachstumsstreben im Kapitalismus, fördern, sind die eigentlichen Verursacher der kommenden Klimakatastrophe.
Wir sehen es als grundsätzlichen Fehler der Politik an, den für alle notwendigen Umweltschutz nur auf die Konsumenten, also vor allem auf die niedrigen Schichten unserer Gesellschaft, abzuwälzen. Wir müssen die Produktionsweise der Konzerne verändern - hin zur Notwendigkeit, sich an Nachhaltigkeit und Gemeinnützigkeit auszurichten. Und das bedeutet letztendlich, dass wir das Privateigentum an Produktionsmitteln kollektivieren müssen.
"Die vorherrschende Politik will die Bewältigung des Klimawandels auf die privaten Haushalte abwälzen"
Was ist der entscheidende Widerspruch des Kapitalismus, der Ökonomie und Ökologie unvereinbar macht?
Change for Future: Wie schon erwähnt, kann ein Wirtschaftssystem, das auf Wachstum und Profit ausgelegt ist, nicht nachhaltig sein. Die Wachstumsmaxime zwingt die Unternehmen ständig zu expandieren und sich auszuweiten, ohne Erbarmen gegenüber der Konkurrenz. Das ist die sog. Monopolisierung, die wir permanent erleben. "Friss oder stirb!"
Entsprechend bestehen die unternehmerischen Ziele darin, den eigenen Marktanteil zu vergrößern und die Produktion zu effektivieren. Um sich einen Wettbewerbsvorteil anzueignen, wird auch teils auf unfaire Methoden zurückgegriffen. Es werden dann billige Materialien und endliche Ressourcen rücksichtslos verwendet. Genauso schlimm ist aber die Einsparung von Lohn und Arbeiter*Innen. Niedrige Löhne und Arbeitslosigkeit sind die Folge. Sie gehören zum Kapitalismus und sind eine Zwangsläufigkeit des Wachstums. Nachhaltigkeit, egal in welcher Form, ist für die Unternehmer*Innen schlichtweg unökonomisch. Doch anstatt dass die Politik die Unternehmen kontrolliert, wird sie von diesen vereinnahmt.
Das erkennen wir auch an dem Agieren der Bundespolitik, die ihre schützende Hand über die Konzerne hält, damit die Wirtschaft und ihre Arbeitsplätze keinen Schaden nehmen. Entsprechende Beispiele waren die Verschiebung des Kohleausstiegs, die Rodungen im Hambacher Forst oder die zunehmende Privatisierung von Bus und Bahn. Die Konzerne haben eine für uns undurchsichtige Möglichkeit gefunden, auf die Politik Einfluss zu üben: Lobbyismus. Über diese Lobbys können sie ihre Interessen direkt an die Politik vermitteln, an denen sich diese dann orientiert.
Das Wahlsystem gibt uns lediglich die Möglichkeit zu entscheiden, welche fremdbestimmten Politiker*innen im Bundestag sind, aber im Endeffekt werden sie alle nicht gegen die Interessen der Unternehmer*innen vorgehen können. Folglich werden dem Zustand unserer Erde entsprechende Maßnahmen niemals von einer solchen Politik genehmigt werden.
Wir können das eindeutig an den "umweltpolitischen" Maßnahmen nachvollziehen, die bisher verabschiedet wurden: Fahrverbote, Strom- und Benzinpreiserhöhungen, sowie der Emissionssteuer der EU. Die vorherrschende Politik will die Bewältigung des Klimawandels auf die privaten Haushalte abwälzen, obwohl die Konzerne doppelt so viel Energie verbrauchen. Dieses Ungleichgewicht ist es, das eine wirkliche Bewältigung des Klimawandels im Kapitalismus ausschließt. Wir wollen eine Bewegung schaffen, die sich nicht an die Politiker*innen anbiedert, sondern sie dazu zwingt, unsere Umwelt zu erhalten.
"Unser Ziel ist, die Systemfrage mehr in den öffentlichen Diskurs zu bringen"
Kritiker können nun einwenden, dass der Anfang der 1990er Jahre dahingeschiedene real-existierende Sozialismus nicht viel besser mit den ökologischen Ressourcen der Welt umging, als es jetzt der im Wachstumswahn verfangene Spätkapitalismus tut. Wie sehen Sie dieses Problem? Welche Charakteristika müsste eine postkapitalistische Gesellschaft aufweisen, um tatsächlich der Lösung der Klimakrise näherzukommen?
Change for Future: Vorab: Die Überwindung des Kapitalismus ist eine notwendige Voraussetzung dafür, eine nachhaltige Wirtschaft zu erreichen - jedoch zweifelsohne keine Garantie. Fest steht jedoch, dass der Kapitalismus keine Lösung ist.
Einfach gesagt ist die kapitalistische Leistungsgesellschaft für uns nicht mehr tragbar, da sie ausbeuterisch und eindeutig nicht nachhaltig ist. Der Kapitalismus funktioniert nicht. Milliarden Menschen leiden an Hunger, während Nahrung für 12 Milliarden Menschen produziert wird. Wenn 1% der Weltbevölkerung mehr besitzt, als die restlichen 99%, läuft definitiv etwas schief - und das lässt sich nicht leugnen. Die kapitalistische Wirtschaftsweise führt dazu, dass unser Planet immer weiter ausgebeutet und somit systematisch zerstört wird.
Wir haben kein einheitliches Zukunftsszenario von einer postkapitalistischen Gesellschaft, da wir diese erst noch gemeinsam erarbeiten müssen. Wir sind uns jedoch einig, dass wir nur eine Zukunft haben, wenn nicht mehr der Kapitalismus, sondern wir als Gesellschaft die Produktion kontrollieren. Die gemeinsame Betroffenheit von der Zerstörung unser aller Lebensgrundlage muss zu gesellschaftlichen Entscheidungen führen, die diese Zerstörung abwenden. Solange diese Entscheidungen jedoch den Systemzwängen des Kapitalismus unterliegen, ist eine nachhaltige Ausrichtung der Wirtschaft ausgeschlossen.
Es braucht eine grundlegende Neuorientierung, um den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen zu sein. Wir streben eine Demokratisierung der gesamten Gesellschaft an. Eine Gesellschaft, in der die Produktionsmittel in den Händen der Mehrheit der Menschen ist, welche miteinander und nicht gegeneinander agieren. Eine Welt, in der die internationale Solidarität hoch geschrieben wird und Ausgrenzung und Ausbeutung Geschichte sind.
Wie gestaltet sich die Dynamik innerhalb der FFF-Bewegung, nachdem die antikapitalistische Plattform ins Leben gerufen wurde? Gibt es Konflikte? Besteht nicht die Gefahr einer Spaltung? Oder, stoßen Sie eher auf Zuspruch als auf Ablehnung?
Change for Future: Wir sind keine Spalter*Innen, sondern ein wichtiger Teil von Friday for Future. Wir waren von Anfang an eine bedeutende Kraft in der ganzen Bewegung und werden es auch zukünftig bleiben. Wir sind so wichtig wie jede einzelne Person, die an der Bewegung mitwirkt und diese trägt.
Unsere Plattform hat nur angefangen, sich systematischer und zielorientierter zu organisieren. Wir haben eine gemeinsame Plattform gefunden, die sowohl dazu dient, Antikapitalist*innen zu vernetzen, als auch um systemkritischen und revolutionären Input gezielter in die Bewegung zu tragen. Wir sind in unseren Ortsgruppen engagiert und unterstützen diese durch inhaltliche und organisatorische Beiträge wie zuvor auch.
Antikapitalistische Töne waren somit schon immer in Friday for Future zu finden - sie und konnten von den aufmerksamen Zuhörer*Innen in den Parolen und Redebeiträgen ausgemacht werden. Viele von uns haben schon lange begriffen, dass der Kapitalismus das Problem ist, und wir hoffen, dass es noch mehr werden. Dadurch entstehen keine neuen Konflikte. Diese waren und werden immer in einer Bewegung sein und sind ein wichtiger Teil davon. Nur durch einen gemeinsamen Diskurs lassen sich Zukunftsvisionen entwickeln. Ob wir Zuspruch oder Ablehnung erfahren ist für uns keine Kategorie, an der wir uns ausrichten. Für uns zählt nur eine bessere Zukunft.
Wir sehen es als unser Ziel an, die Systemfrage mehr in den öffentlichen Diskurs zu bringen, um zu zeigen, dass eine andere Welt möglich ist.
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