Ein anderer Blick auf den Krieg

Die Geschichte der Meme, die sich nicht mögen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jeder Krieg oder jede politische Auseinandersetzung läuft nach einem trivialen Grundmuster ab: Das Böse in der Welt muss bekämpft werden. Böse ist immer der Andere, und weil er böse ist, muss er bekämpft werden. Böse ist er deswegen, weil er uns zerstören will. Der Andere will uns zerstören, weil wir ihn für böse halten und ihn deswegen zerstören und ihn damit einen Schaden zufügen könnten. Dialektisch gesehen stehen sich immer zwei Parteien gegenüber, die vom Anderen strukturell die selbe Meinung haben. Politisch gesehen entsteht dieser Zustand auch aus der Tendenz, immer einem Anderen die Schuld für die eigene Misere zu geben, um nicht selber die Verantwortung dafür tragen zu müssen. Um das plausibel zu kommunizieren, bedarf es einer geschickten Argumentation oder, anders formuliert, einer feststehenden Ideologie.

Kollektive Auseinandersetzungen entstehen an den Grenzen unterschiedlicher Überzeugungen. Das ist zwar nicht neu, aber bisher hat es keiner nachhaltig verhindern können. Heute ist es die Grenze zwischen dem Islam und der westlichen Welt, die Konflikte produziert. Europa erlebte wegen der Spaltung des Christentums in die evangelische und katholische Seite über lange Zeit hinweg eine gewisse Grundkonflikt. Angefangen mit dem 30jährigen Krieg bis hin zu aktuellen Auseinandersetzungen in Nordirland. Bei jedem Konflikt gibt es zwei Parteien: Kommunisten und Kapitalisten, Kapitalisten und Arbeiterklasse, Schiiten und Sunniten, Serben und Kroaten, Fußballfans von der einen Mannschaft und Fußballfans von der anderen Mannschaft, Griechen und Türken oder Kölner und Düsseldorfer.

So lächerlich sich das auch immer oft aus der Perspektive eines Externen darstellt, um so dramatischer ist es aus Sicht der Beteiligten. Die Überzeugung, die man innehat, treibt einen zu dieser Ansicht. Wer sich das Spiel hingegen von außen ansieht, wundert sich und fragt nach dem Nutzen der Streiterei, denn die Beteiligten sind auf beiden Seiten nichts anderes als normale Menschen mit gleichen Interessen. Normalerweise leben sie schon seit Jahrhunderten friedlich nebeneinander, keiner würde auf die Idee kommen, auf den netten Kontakt zum Nachbarn zu verzichten. Bis das Mem kommt, bis die Idee den Einen befällt, dass der Nachbar ein schlechter Mensch ist, nur weil er als Muslim, Jude, Protestant, Schwarzer oder irgendwie anderes bezeichnet wird.

Die Fantasie der Meme ist da grenzenlos, es gibt genug Gründe einem Anderen das Etikett "böse" aufzukleben, die meisten sind noch nicht einmal entdeckt worden. Es wird die Zeit kommen, in der Pizzabäcker, Zeitungsleser, Langhaarige, Teetrinker und Spaziergänger zum Opfer von Ausgrenzung und Diskriminierung werden. Das erscheint uns als absurd, aber vor eineigen hundert Jahren konnte sich noch keiner einen Krieg zwischen Kommunisten und Kapitalisten vorstellen.

Der Krieg ist eine memetische Konstante

Zum Krieg kommt es also erst dann, wenn zwei differierende Überzeugungen sich kreuzen. Vorher waren die Menschen gute Freunde, jetzt schlagen sie sich die Köpfe ein. Das Gegenteil davon passiert bei jeder Tarifverhandlung. In der Sitzung dreschen Arbeitnehmervertreter verbal auf Arbeitgebervertreter ein, abends ist die Sache vergessen und man trinkt friedlich ein Bier zusammen. Der Krieg funktioniert nur, so lange es persönliche Distanzen gibt. Treten feindliche Soldaten durch ungeplante Situationen in Kontakt, kann das im Krieg Unerwünschte passieren; indem sich Verständnis und Sympathie unter ihnen breit machen.

Der Krieg ist also keine menschliche, sondern eine memetische Konstante. Obwohl der Krieg immer da auftaucht, wo es Menschen gibt, muss er nicht immer da stattfinden. Menschen können auch in Frieden leben. Kollektive Auseinandersetzungen gibt es erst, seit dem es Kommunikation gibt. Auch Tiere haben Aggressionen in ihrem Instinktrepertoire, allerdings spielt sich dies auf der Ebene individueller Auseinandersetzungen ab.

Meme sind egoistisch, und diese Eigenschaft brauchen sie, um zu überleben. Ein Mem, das sich nicht gegenüber anderen Memen durchsetzen kann, hat verloren. Es wird von der Vielfalt anderer Überzeugungen überrollt und verschwindet damit anteilig von der Bildfläche. Jede Kultur ist in Bezug auf ihre Verbreitungsstrategie eine Kriegskultur, friedliche Kulturen haben in einer solchen Welt keinen Platz oder besser gesagt, ihnen wird kein Platz gelassen.

Das Mem überlebt nur, wenn es andere Meme als schlecht bezeichnet. Beschäftigt sich der Mensch noch mit einer anderen Überzeugung, bleiben dem ursprüngliche Mem relativ weniger Denk- und Kommunikationsressourcen. Das Mem büßt an Lebensraum ein, das Ausbreitungspotenzial ist damit nicht optimiert und deshalb tendiert die Evolution der Meme dahin, möglichst aggressive Varianten hervorzubringen.

Das Christentum behauptet ganz einfach, dass der Gläubige keine anderen Götter neben sich haben darf, andere Religionen werden ähnliche Absprachen mit ihren Anhängern haben. Da verschiedene Glaubenssysteme an verschiedenen Orten entstehen, haben sie erst einmal keine Probleme, sich zu verbreiten. Der Kampf kommt erst dann auf, wenn Verbreitungsgebiete aufeinandertreffen, wenn es darum geht, mehr Anhänger zu finden, also neue Gehirne zu besetzen, und andere Meme an ihrer Verbreitung zu behindern. Diverse Kriegsschauplätze könnten friedlichste Landschaften sein, so lange sich hier keine feindlichen Meme durch gleiche Menschen treffen.

Die Memwelt schafft für jeden ihrer Menschen einen eigenen logischen Kosmos, in dem alles konsistent erklärt ist, solange man es nicht genau hinterfragt. Aber auch dagegen hat das Mem oft ein Verbot der Reflexion entwickelt. Wir glauben von uns, dass die unsrige Sicht der Dinge die richtige ist. Wir haben Wissenschaft, Technologie und Geld, Gründe genug, daran zu glauben, auf der richtigen Seite zu stehen. Alles andere ist unterentwickelt und falsch.

Was ist aber mit den Menschen, die auf der anderen Seite stehen? Auch sie glauben das, was wir glauben, nur mit einer anderen Logik und mit anderen Axiomen. Ihre Welt ist aus anderen Gründen besser. Vielleicht, weil sie keine grausame Ausbeutung durch den Kapitalismus oder keine umweltverschmutzende Technologie hat, die immer gieriger nach dem Geld ist, was die armen Menschen in der Welt für sie verdienen müssen. Möglicherweise sind archaische Lebensformen, wie es sie früher gab oder wie sie in anderen Teilen der Welt gepflegt werden, viel besser, um ein glückliches Leben zu führen? Keiner fragt nach dem Nutzen von Verschleierung und Patriarchat, es ist schon politisch inkorrekt die Frage zu denken. Überanstrengen wir uns in der Moderne nicht damit, Liebe und Ehe unter einen Hut zu bringen? Oder scheitern diese Lebensformen an hohen Scheidungsraten psychosomatischen Krankheiten oder endlosen Psychotherapien? Genau hinterfragen tun auch wir es nicht, obwohl wir genau das von anderen Kulturen immer verlangen.

Vermehrung der Meme, nicht der einzelnen Menschen als Wirte ist das Ziel

Zurück zu den Memen, sie sind egoistisch, ihr Ziel ist es sich zu vermehren und was mit den Menschen passiert ist ihnen erst einmal egal. In welchem Menschen sie leben, macht in ihrem Kalkül auch keinen Unterschied. Stirbt eines von ihnen, kann der Rest immer noch in anderen Hirnen weiterleben. Zur Not lässt ein Mem seinen Träger vor versammelter Mannschaft von einem Hochhaus springen oder mit einem Flugzeug da hineinfliegen. Manche, die zusehen, werden hinterher schon wissen, worum es geht - und darin liegt der Vermehrungserfolg des Mems. Für das eine Gehirn, das jetzt zermatscht an der Bausubstanz klebt, haben Tausende von anderen Menschen dieses Mem in ihrem Kopf.

Regierungen schicken ihre Bürger in den Krieg, damit sich ihr System oder die Idee über das Funktionieren ihrer Politik weltweit durchsetzen soll. Die "freiheitliche Demokratie" will sich in der Welt genauso vermehren, wie eine Staatsform "nach dem Willen Gottes" oder der "Macht des Proletariats". Staaten versuchen sich durchzusetzen und dem Bauern ist es in der Regel egal, auf welchem Hoheitsgebiet er seine Kartoffeln anbaut, der Boden bleibt, so lange sich nur die Grenze bewegt sowieso der selbe. Dem Bürger ist es in der Regel vollkommen egal, von welchem Staat er die Steuern abgenommen bekommt, das Geld ist in beiden Fällen weg. Das einzige, was ihn stören könnte, ist die memetische Diskrepanz, der andere Staat könnte eine Überzeugung vertreten, die ihm nicht passt.

Ideale, die dem Menschen Nutzen bringen sollen, gibt es ohnehin nur in Ausnahmefällen, Meme wandeln sich mit der Zeit ab, um sich besser vermehren zu können. Was bleibt, ist das schillernde Etikett. Eine Demokratie, wie sie sein soll, gibt es nur in der Schweiz und schon gar nicht in den USA oder in Deutschland. Glückseeligkeit durch den Glauben gibt es nur in kleinen Bereichen des Neuen Testaments, die Kirche zwingt ihre Mitglieder allerdings zu Lebensformen, die viel grausamer sind als das Leben ohne Glauben. Diese Meme haben sich nur ausbreiten können, weil sie diese Erkenntnis über sich geschickt verschleiern konnten. Der Zustand, wie er ist, quält zwar die Menschen, trägt dafür aber um so mehr zum Wachstum der Mempopulation bei.

Der Krieg funktioniert auch nach dem selben Muster. Er setzt die Menschen einem tödlichem Risiko aus, um andere zu töten und damit verführerische Ideen von "Freiheit", "Gleichheit" und anderen schillernden Inhalten gewaltsam in andere Köpfe zu exportieren. Der Leidtragende dabei ist der Mensch, ohne die Ideen gäbe es diese Form der kollektive Gewalt nicht. Die Idee ist eine parasitäre Einheit, die in dem Fall für ihr Überleben auf menschliche Opfer angewiesen ist.