Ein bisschen Nato: Ist ein Schutzschirm neutral?

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (links) und Kanzler Karl Nehammer. Bild: Österreichisches Außenministerium / CC-BY-2.0

Per "Paukenschlag" verkündete Österreichs Bundeskanzler Nehammer den Beitritt des Landes zum Raketenabwehrschirm "Sky Shield". Neutralitätsprobleme sieht er nicht.

Drohnen und Friedenstauben vertragen sich offenkundig nicht sonderlich gut. Um den Luftraum über Österreich vor Drohnen und Raketen zu schützen, will die Alpenrepublik dem europäischen Luftraumverteidigungssystem beitreten, dem alle Nachbarn bis auf die Schweiz und Italien bereits angehören. Dies hat Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor wenigen Tagen verkündet und von einem "Paukenschlag" gesprochen.

Sein Parteifreund Alexander Schallenberg spricht als Außenminister von "Pooling and Sharing", also Austausch und gemeinsamen Ankäufen, an die keinerlei Beistandspflichten geknüpft sind. Die anderen Staaten sind allerdings Nato-Mitglieder. Wie sich Österreich genau mit schlankem Fuß aus Krisensituationen heraus argumentieren könnte, blieb ein wenig unklar.

Nicht gemeinsam schießen, nur gemeinsam shoppen

Man wolle ja nicht gemeinsam schießen, sondern nur gemeinsam shoppen. Vernebelungsversuche dieser Art können die Frage nicht ganz verdecken, ob der Eintritt unter den Schild nicht bereits eine Art Nato-Beitritt auf Raten sein könnte.

Was hingegen sehr klar ist, ist der nicht geringe Preis von zwei Milliarden Euro. Ein weiteres Indiz für die weltweite Aufrüstungswelle, die durch den Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine nochmals beschleunigt wurde. Die Angst vor Luftangriffen sitzt tief, die Bilder aus der nicht weit entfernten ukrainischen Städten tun ihre Wirkung.

Zugleich nutzt der österreichische Kanzler Nehammer das Schüren dieser Angst zur Schärfung des eigenen Profils. Die innenpolitische Situation ist zäh, der kleine, grüne Koalitionspartner wird immer aufmüpfiger und nennt eine ÖVP-Landeshauptfrau aufgrund ihrer rechten Rhetorik sogar "präfaschistoid". Wie passend für Nehammer, mit "Sky Shield" wieder auf den vermeintlichen Verkaufsschlager der Volkspartei setzen zu können: "Sicherung der Außengrenzen".

So kommt es, dass die österreichischen Konservativen, die sonst gerne jenen Cent mehrmals umdrehen, beim Ankauf von US-amerikanischer und israelischer Waffentechnik äußerst spendierfreudig agieren. Die Geldbörsen scheinen sich plötzlich ganz von allein zu öffnen. Die Militärs im Lande sind begeistert und halten das System für "revolutionär". Es sei zudem viel günstiger und praktikabler, den "Sky Shield" mit mehreren Ländern gemeinsam zu erwerben, als sich allein auf die Suche nach Verteidigungsanlagen zu begeben.

Neue Weltordnung

Der "Meilenstein", laut der österreichischem Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), hat allerdings gewisse Implikationen im Gepäck. Die Länder des "Sky Shields" schlängeln sich wie eine Perlenkette von Finnland über das Baltikum durch Mitteleuropa (alle ehemaligen "Warschauer Pakt"-Staaten sind dabei, mit Ausnahme Polens) und enden in Bulgarien am Schwarzen Meer.

Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, gegen wessen Raketen und Drohnen dieser Schild aufgestellt wird. Ohne Frage hat Russland einiges dafür getan, dass dieses Schutzbedürfnis heute besteht. Ein gewisser Widerspruch in Schutzmaßnahmen dieser Art ist aber seit langem bekannt und verweist zugleich auf einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik, der sich immer klarer vollzieht.

Vermutlich wird deshalb auch das kleine Österreich, das ohnehin nicht an "vorderster Front" steht, deshalb zu einem Umbau seiner früheren Neutralität gezwungen sein. Die Paradoxie von "Schutzschilden" und "Verteidigungswaffen" liegt in dem Gedanken, dass mit einer möglichst großen Abschreckung oder auch Neutralisierung der Angriffsmöglichkeiten des potenziellen Gegners, diesem die Lust auf Angriffe genommen wird.

Ein weiteres Großexperiment wird gerade im Chinesischen Meer durchgeführt, in dem das US-Militär dort eine eiserne Kette aus zahlreichen Militärbasen und neu stationierten Unterseebooten rund um China auslegt. Diese soll die Volksrepublik vor einem Überfall auf Taiwan abschrecken, das allein wegen seiner Weltmarktführerschaft in der Chipproduktion sehr wichtig ist.

Dies mag gelingen, wird aber in Peking gänzlich anders gelesen. Die chinesische Führung sieht sich eingeschlossen und interpretiert die Schutzkette als aggressiven und kriegerischen Akt, der zur Aufrüstung und Erweiterung der chinesischen Flotte führt. Was wiederum genau jenen Krieg heraufbeschwören könnte, der mit den Schutzmaßnahmen verhindert werden sollte.

Ein wenig so, als wäre der Kalte Krieg nie geendet, wurde eine ähnliche Strategie in den letzten Jahrzehnten gegen Russland angewandt. Die Stationierung von Raketenanlagen, die immer näher an die russische Grenze rückten, beförderten die mehr oder weniger berechtigte Paranoia im Kreml.

Hierbei ist es gar nicht so erheblich, inwieweit die wechselseitigen Aggressionsdrohungen und Bezichtigungen sachlich gerechtfertigt sind, denn was sich bei all dem eindeutig zeigt, ist der Verfall einer möglichen Weltfriedensordnung. Die müsste aus internationalen Organisationen bestehen, die Streit- und Konfliktfälle lösen könnten und Aggressoren als solche verurteilen und strafen.

Es macht derweil nicht den Eindruck, als würde in Moskau, Washington oder Peking noch irgendwer ernsthaft auf eine solche Ordnung setzen. Vielmehr scheinen Abschreckung und Aufrüstung und teilweise mörderischer Angriffskrieg das Gebot der Stunde zu sein.

Welchen Hebel hat die Neutralität?

Die österreichische Neutralität sah sich immer als ein mögliches Instrument einer Weltfriedensordnung, in dem das kleine Alpenland Kontakt zu beiden Blöcken behielt und zu vermitteln suchte.

Davon ist man heute weit entfernt, zu eindeutig ist die Verurteilung Russlands. Überhaupt scheint die Weltlage einer solchen Rolle kaum mehr Chancen zu geben. Wie verzweifelt die innenpolitische Situation für Neutralität und Friedensbemühungen ist, zeigt sich allein daran, dass die einzige Stimme, die sich gegen die milliardenteure Aufrüstung aussprach, jene von Herbert Kickl ist, des Vorsitzenden der teilweise als rechtsextremistisch einzustufenden FPÖ.

Die Liebe der FPÖ zu Russland und Putin ist umfassend dokumentiert, tiefere Verbeugungen vor dem russischen Zaren sind Menschen anatomisch nicht möglich. Zu glauben, dies sei aus Friedensliebe geschehen, ist ein wenig abwegig, es waren meist plumpe Geschäftsinteressen ausschlaggebend.

Wahlkampf mit Angst – vor Russland und vor Krieg mit Russland

Im anstehenden Nationalratswahlkampf werden Nehammer (ÖVP) und Kickl (FPÖ) einen heißen Infight hinlegen, wer schärfer und unerbittlicher Österreichs Grenzen verteidigt. Einziges Unterscheidungsmerkmal könnte hier die Nähe oder Ferne zum Kreml sein.

Nehammer wird versuchen, mit der Angst vor Russland für sich zu werben, Kickl für sich wiederum mit der Angst vor einem Krieg mit Russland. Derweil zerhäckseln sowohl die Rotoren der Verteidigungs- als auch die der Angriffsdrohnen die Federn der letzten Friedenstauben im österreichischen Luftraum.