Ein einseitiger Krieg
Die Lösung der israelischen Armee für den Konflikt mit den Palästinensern ist die Anwendung von massiver Gewalt, am Ende wird vermutlich dennoch ein Gefangenenaustausch stehen
Das war es nun! Am Sonntag wird die WM zu Ende gehen. Wir können den neuen Weltmeistern gratulieren und ihnen Arrivederci oder Au revoir sagen - je nachdem. Nun kann die Öffentlichkeit sich wieder weniger wichtigen Dingen zuwenden, wie dem täglichen Töten und Zerstören, dem gefangenen Soldaten, dem Abschießen von Qassam-Raketen und all dem, was mit unserer Invasion in den Gazastreifen zu tun hat.
Allein die Definition der Operation stellt ein Problem dar. Der Chef von Israels südlichem Militärkommando General Yoav Gallant, spricht von "Krieg" - genau so die Medien. Doch ist es das wirklich? "Krieg" ist eine bestimmte Situation, die vom internationalen Recht reguliert wird. Er findet zwischen Feinden statt, die gezwungen sind, einige Grundregeln zu beachten. Aber die israelische Regierung erklärt, dass sie nicht einem Feind gegenübersteht, der Rechte hat, sondern "Terroristen", "Kriminellen" und "Banden". Und die haben natürlich keine Rechte.
In einem Krieg gibt es "Kriegsgefangene". Das trifft auch auf Korporal Gilad Shalit zu, der bei einer militärischen Aktion gefangen genommen wurde, aber auch auf die palästinensischen Kämpfer, die von uns fest gehalten werden. Aber unsere Regierung spricht von Shalit als "gekidnappt" und von den palästinensischen Gefangenen als Verbrechern.
Es scheint, das jüdische Gehirn erfinde neue Patente - wie ein bekanntes israelisches Lied einmal sagte. Nach der "unilateralen Trennung" und dem "unilateralen Frieden" haben wir nun einen "unilateralen Krieg". Ein Krieg, in dem eine Seite - die stärkere - sich aller Rechte einer kriegführenden Macht erfreut, während die andere - die schwächere - überhaupt keine Rechte hat.
Ein Krieg muss ein Ziel haben. Welches Ziel hat dieser Krieg?
Wie Bushs Invasion in den Irak hat Ehud Olmerts Invasion in den Gazastreifen ein Ziel, das sich von Tag zu Tag ändert. Sie begann als Operation, um Korporal Shalit zu retten. Wie aber soll man einen Soldaten befreien, der von einer Untergrundorganisation gefangen genommen wurde und dessen Aufenthaltsort unbekannt ist? Wie soll man jemanden mit Gewalt befreien, ohne sein Leben zu gefährden?
Die Armee hat eine Lösung - dieselbe Lösung, die sie für jedes andere Problem hat: die Anwendung von massiver Gewalt. Wenn wir nur immer mehr erobern, pulverisieren, töten und zerstören, dann wird der Zeitpunkt kommen, in dem die palästinensische Gesellschaft nicht mehr in der Lage sein wird, dem Leiden stand zu halten, und wird von den Untergrundkämpfern die Freilassung des Gefangenen verlangen. Und zwar bedingungslos.
Dies könnte "Harris-Prinzip" genannt werden. Im 2. Weltkrieg versprach der britische Luftmarschall Arthur Harris ("Bomber Harris"), die Deutschen auf die Knie zu zwingen, indem er ihre Städte in Schutt und Asche legte. Die Deutschen sprachen von "Terrorangriffen". Bei einem der Angriffe wurde die Stadt Dresden, eine der schönsten Städte Deutschlands, völlig zerstört. Bei der riesigen Feuersbrunst verbrannten zwischen 35.000 und 100.000 Zivilisten zu Tode (es war unmöglich, die vom Feuersturm verbrannten Opfer zu zählen). Aber im Gegensatz zu Harris' Versprechen brach die deutsche Moral nicht zusammen. Deutschland ergab sich erst, als das letzte Haus von Infanteristen erobert worden war.
Die palästinensische Bevölkerung wird auch nicht zusammenbrechen, trotz der fürchterlichen Situation. Sie verlangt einstimmig, dass die, die den Soldaten gefangen genommen haben, ihn nicht frei lassen sollen, wenn nicht palästinensische Kriegsgefangene frei kommen.
Anstelle der Befreiung des Gefangenen wurde also ein neues Kriegsziel erfunden: dem Abschuss von Qassams ein Ende zu setzen
Das schien einfach: man muss nur die Gebiete besetzen, von denen die Raketen in Richtung Sderot oder Ashkalon abgeschossen werden. Aber das ist eine Sisyphusarbeit. Die Operation mag wohl eine vorübergehende Verringerung der Abschüsse bewirken. Aber selbst die Kommandeure der Operation geben zu, dass das Abschießen in dem Augenblick wieder aufgenommen und wahrscheinlich zunehmen wird, sobald sich die Armee zurückzieht. Fast keiner befürwortet es, dass die Armee für längere Zeit dort bleiben soll. Die israelische Öffentlichkeit hat genug erfahren, um noch einmal vom "Gaza-Sumpf" verschlungen zu werden.
Der Wohnungsminister Shitrit hat eine Lösung: "Tausendmal" nach Gaza zurückkehren. Der Verteidigungsminister Peretz spricht von einem "hohen Preis, der vom palästinensischen Volk verlangt wird" - von einem so schrecklichen Preis, dass die Palästinenser selbst die Qassam-Teams wegjagen werden. Dies ist die Ansicht des Generalstabschefs. Anstelle des "Bomber Harris" tritt nun "Zerstörer Halutz". Nicht zufällig sind beide in den Rängen der Luftwaffe hoch gestiegen.
Wenn der dauerhafte Stopp der Qassams nicht durchführbar ist, was für ein Kriegsziel bleibt dann noch? Nur eines: der Zusammenbruch der palästinensischen Regierung. Siehe Harris-Prinzip.
Wie jedes einzelne Ereignis der vergangenen 120 Jahre des Konfliktes wird auch dieses auf verschiedene Weise in das Bewusstsein der beiden Völker eingebrannt werden
Für die Israelis ist dies ein weiteres Kapitel im langen Krieg gegen den "Palästinensischen Terrorismus". Noch einmal sind unsere tapferen Soldaten gezwungen, den gemeinen palästinensischen Mördern entgegen zu treten, deren Ziel es ist, uns ins Meer zu werfen. Noch einmal kämpfen wir, weil "es keine Alternative gibt". Wie Yitzhak Shamirs berühmter Ausspruch: "Die Araber sind dieselben Araber, und das Meer ist dasselbe Meer."
Für die andere Seite ist dies ein heroischer Widerstand ihrer besten Söhne gegen einen bösen und schlimmen Feind. Eine der stärksten Armeen der Welt, ausgerüstet mit den neuesten und effektivsten Waffen, wird gegen eine Handvoll militärisch nicht ausgebildeter Kämpfer mit primitiven Waffen eingesetzt. Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber, schwere Panzer, Artillerie, Kanonenboote, gepanzerte Bulldozer und Nachtsichtgeräte - alles gegen Kalaschnikows und Panzerfäuste. Ein palästinensisches Masada.
Der bisherige Kampf zwischen den palästinensischen Milizen führt jetzt zu neuer Einigkeit gegen den gemeinsamen Feind. Schon am Vorabend der Operation stimmte Ismail Haniya mit Mahmoud Abbas der Fatah überein, das "Dokument der Gefangenen" zu akzeptieren, das de facto Israel innerhalb der Grenze der Grünen Linie anerkennt. Nun, in der Hitze des Gefechts, fordern die Fatahmitglieder, dass sie sich mit den Hamaskämpfern im Kampf gegen die Invasoren zusammenschließen. Der verbliebene Einfluss von Abbas schwindet dahin.
Wenn die israelische Regierung ihre öffentlichen Drohungen, den palästinensischen Ministerpräsidenten und seine Minister zu töten, wahr macht, wird Hamas nur gestärkt hervorgehen. Der Platz der Märtyrer wird durch neue Führer aus den Reihen der Kämpfer ersetzt werden, und die Palästinenser werden die Reihen hinter ihnen schließen.
In Israel wird das Gegenteil geschehen: die Operation wird wohl die Regierung beschädigen, die mit ihr begonnen hat. Der grausame Scheinwerfer der Krise wirft ein grelles Licht auf sie - und dieses Licht ist nicht schmeichelhaft. Es scheint, als sei unter den Regierungsmitgliedern nicht eine einzige Person, die mehr ist als nur ein gesichtsloser Politiker.
Ehud Olmert redet sich selbst politisch tot. Sein endloses Geplapper beginnt zu irritieren - um so mehr, als es nichts aussagt als nur die Klischees der 50er Jahre: Wir werden keiner Erpressung nachgeben; Terrorismus wird nicht siegen; der Feind will uns auslöschen; Mördern wird nicht verziehen; wir haben eine wunderbare Armee; unser Arm ist lang etc. etc.
Amir Peretz wiederholt die grauenhaftesten Slogans seines schlimmsten Vorgängers. Nichts ist von dem Führer übrig geblieben, für den wir erst vor kurzem stimmten, der eine soziale Revolution anzuführen im Begriffe war und die nationalen Prioritäten verändern, das militärische Budget drastisch kürzen und den Frieden näher bringen wollte. Was blieb von ihm übrig: ein Sprecher - und nicht der beste - des Generalstabschefs. Wenn meine Zeitschrift Haolam Hazeh noch bestehen würde, dann hätte es in dieser Woche eine Karikatur gebracht, die einen Papagei auf der Schulter von Dan Halutz zeigt.
Tsipi Livni, die so viele Hoffnungen geweckt hatte, ist einfach verschwunden. Sie spielt keine Rolle in diesem Drama. Außer den banalsten Plattitüden hat sie nichts zu sagen. Wie Olmert zeigt sie sich als das, was sie ist: eine Politikerin der Rechten, die den Fußstapfen eines Vaters folgt, der zur politischen Rechten gehörte.
Der wirkliche Herrscher Israels ist Dan Halutz, ein Kampfpilot, der die Welt unten nur durch eine Bombenzielvorrichtung sieht. Der einzige Konkurrent ist der Chef des Sicherheitsdienstes Yuval Diskin. Die Chefs der Armee und des Sicherheitsdienstes entscheiden unter sich den Lauf des Staates Israel. Olmert ist bestenfalls ein Schiedsrichter.
Ein Kuriosum: die Namen weisen nicht auf die Neigung ihrer Besitzer hin. Ehud ("beliebt" auf hebräisch) verliert seine Popularität. Peretz ("aufbrechen") bricht nicht zu einem guten Platz auf. Livni ("weiß") rechtfertigt schwarze Taten. Und Halutz ("Pionier") führt zu nichts Neuem. Aber der seltsamste Name gehört dem Kommandeur der Operation, General Galant. In europäischen Sprachen bedeutet "galant" tapfer und ritterlich.
Wie wird das alles enden?
Ich vermute, dass es am Ende keine Alternative gibt, als dass mit der Freilassung des Soldaten ein Austausch von Gefangenen stattfinden wird. Unsere Seite wird dann hinausposaunen, dies sei ein großer Sieg der Operation, weil die Palästinenser gezwungen worden seien, sich mit einer kleineren Anzahl entlassener Gefangener zufrieden zu geben, als sie ursprünglich forderten. Die Palästinenser werden sich rühmen, einen glorreichen Sieg errungen zu haben, weil Israel Gefangene entlassen wird, nachdem es mit hochtrabenden Slogans begann: "Niemals...!" (Wie oft gesagt wurde: Sage niemals nie!")
Wenn wir es wünschten, könnte die Freilassung des Soldaten mit einem größeren Paket verbunden werden: mit einem gegenseitigen Waffenstillstand, einem Stopp des Qassambeschusses, und dafür mit einem vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen, der Beendigung der "gezielten Tötungen" und der Freilassung der kürzlich verhafteten Hamasführer. Ein kurzer Waffenstillstand kann zu einem langen Waffenstillstand und zu einem ernsthaften Dialog führen.
Ist die Olmert-Regierung nach all dem arroganten Geprahle dazu in der Lage? Ist sie überhaupt daran interessiert, nachdem sie sich selbst der "einseitigen Konvergenz" und der Annexion von Gebieten verschrieben hat? Wahrscheinlich nicht. Andrerseits könnte die israelische öffentliche Meinung aus den Folgen der "unilateralen Trennung" und dem unilateralen Krieg eine Lektion gelernt haben. Die israelische Friedensbewegung muss helfen, dass dies erreicht wird.
Uri Avnery ist Gründer der Friedensbewegung Gush Shalom. Der langjährige Knesset-Abgeordnete Avnery, 1923 in Beckum geboren und 1933 nach Palästina ausgewandert, gehört seit Jahrzehnten zu den profiliertesten Gestalten der israelischen Politik. Er ist durch seine kämpferisch-kritische Begleitung der offiziellen israelischen Regierungspolitik weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt geworden. Für sein Engagement für den Frieden im Nahen Osten sind ihm zahlreiche Auszeichnungen zuerkannt worden.
Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.