Ein großer Schritt in Richtung europäischer Überwachungsstaat
Unerwartet verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarats gestern das umstrittene Cybercrime-Abkommen. Herbe Kritik des SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss an Justizministerin Herta Däubler Gmelin - Seine Änderungsanträge lagen der Versammlung aus ungeklärten Gründen nicht vor
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat nach Informationen von Telepolis gestern, am 24.4., den 25. Entwurf des Cybercrime-Abkommens nahezu unverändert verabschiedet. Lediglich ein Änderungsantrag wurde angenommen und damit die Stellungnahme des Rechtsausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Doc9031) verändert.
Mit dem Änderungsantrag Nummer 5 wurde für die nationale Umsetzung die Berücksichtigung der europäischen Menschenrechtskonvention gefordert. Demnach erfordern alle Maßnahmen "unabhängige und effektive Kontrollen", die in jedem Einzelfall die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs sicher stellen sollen. Damit kamen die Abgeordneten der Hauptkritik entgegen: Viele namhafte Experten waren der Meinung, dass der Entwurf der Konvention im Ganzen im Hinblick auf die Menschenrechte, insbesondere den Schutz der Privatsphäre und des Schutzes der persönlichen Daten, als problematisch anzusehen ist. (Vgl. Fette Bugs im Cybercrime-Abkommen)
Jörg Tauss, forschungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag zeigte sich gegenüber Telepolis von der Abstimmung überrascht. Das Papier sei "unausgegoren" gewesen. Zum Teil waren den nationalen Parlamentariern noch nicht einmal Übersetzungen der Texte vorgelegen. Er habe erst wenige Stunden davor erfahren, dass das Abkommen auf die Tagesordnung gekommen sei. Tauss war von einer Terminverschiebung ausgegangen. Seine Änderungsanträge wurden aus bislang ungeklärten Gründen der Versammlung nicht vorgelegt. Tauss sieht in der Verabschiedung einen "weiteren Schritt in Richtung europäischer Überwachungsstaat". Das Abkommen ermögliche nicht nur "massive Grundrechtseingriffe" sondern schaffe auch unsichere Netze.
Nach Auffassung von Tauss konnten "die europäischen Polizeistäbe, bis hin zum deutschen Bundeskriminalamt, die für das Abkommen hinter den Kulissen ohne jegliche öffentliche Debatte gekämpft haben, einen 'Pyrrhussieg' erringen". Wenn dieses Papier, welches vor allem seitens der Polizeiabteilungen formuliert wurde, tatsächlich in nationales Recht umgewandelt würde, hätten allenfalls die "dümmsten der Kriminellen schlechte Karten". Europa und Deutschland würden aber zum El Dorado ausländischer Dienste, Wirtschafts- und Forschungsspione und intelligenter Computerkriminalität.
Die Verantwortung für diese "desaströse Entwicklung" bei der Beratung der unterschiedlichen Versionen der Cybercrime-Konvention muss nach Auffassung von Tauss "zu dessen größtem Bedauern" seine Parteifreundin und Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und das von ihr geleitete Bundesministerium der Justiz übernehmen. Tauss:
"Sie hat es nicht vermocht, den in diesen Fragen technisch wie rechtlich überforderten deutschen Verhandlungsführer, den zuständigen Beamten aus ihrem Hause, in die Lage zu versetzen, eine aus deutscher Perspektive trag- und verantwortbare Textgrundlage mitzuerstellen."
Dies sei um so bedauerlicher, da das Justizministerium ihn bei den oft strittigen Fragen des Datenschutzes bislang unterstützt habe. Entgegen persönlicher Zusagen der Ministerin gegenüber Tauss auf ein transparentes Verfahren und "jedwede Unterstützung" wurde nach Ansicht von Tauss seitens der zuständigen Beamten die Vorlage offensichtlich bis zur formalen Beschlussreife "gepusht". Tauss gegenüber Telepolis:
"Es ist jetzt für die Bürgerinnen und Bürger fünf nach 12, sich gegen einen europäischen Polizeistaat zu schützen. Gleichzeitig sind Wirtschaft und Forschung massiv - aus offensichtlich paranoider Angst von Polizeikreisen vor Kleinkriminalität - von Ausforschung bedroht."
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates habe mit ihrer Entscheidung "kläglich versagt". Der Widerstand gegen weitergehende Schritte zur Umsetzung des Papiers müsse gemeinsam von den Parlamenten mit Wirtschaft, Datenschützern, Informatik, Bürgerrechtsgruppen und der gesamten Internetszene organisiert werden.
Im Juni soll die Vollversammlung darüber abstimmen. Schließlich wird der dort beschlossene Vertragstext dem Ministerkomitee des Europarates vorgelegt. Es kann das Abkommen dann endgültig verabschieden.