Ein hellenisches Fass ohne Boden
Jede Hilfe ohne massive Strukturreform wäre verlorene Zeit und verschwendetes Geld
Sechs Jahre nach den Olympischen Spielen von Athen steht Griechenland wieder im Fokus der internationalen Medien. Zur Zeit der Olympiade waren die Griechen Helden, heute sind sie die tricksenden Deppen Europas. Damals wie heute beschreiben die Schlagzeilen nur die halbe Wahrheit. Nicht die Griechen als solche sind die Übertäter, sondern ihre jeweilige Administration. Diese aber schummelte, betrog und trickste mit dem Segen der europäischen Amtsbrüder.
Zum Millennium ein Musterstaat
Am Anfang des neuen Jahrtausends galt Griechenland als ein Musterland Europas. Kritische Stimmen gab es, aber niemand wollte sie wahrnehmen. Denn im August 2004 sonnten sich die Athener im Lob der Weltöffentlichkeit. Allen Unkenrufen zum Trotz hatten es die listigen Nachfolger Odysseus geschafft, ihre Olympiade über die Bühne zu bringen.
Kurz zuvor waren die Fußballer unter ihrem deutschen Trainer Otto Rehhagel überraschend Europameister geworden. Seit 2001 war man Eurozonenmitglied. Ministerpräsident Costas Simitis hatte "das griechische Wirtschaftswunder" vollbracht. Die Hellenen waren stolz.
Schwere Vorwürfe gegen "faule" Griechen
Es ist für Griechen derzeit im Ausland nicht angenehm, als Hellenen identifiziert zu werden. Die Vorwürfe sind zahlreich und schwerwiegend. Die Griechen hätten sich den Beitritt in die Währungsunion erschwindelt, sie würden über ihre Verhältnisse leben, sie seien faul, ein Volk von Frührentnern und sie würden Europa in den Grundfesten gefährden.
Im Inland verkauft die Regierung von Georgios Papandreou das Desaster als Werk von internationalen Spekulanten und natürlich als Schuld der vorherigen, skandalbehafteten Administration des konservativen Kostas Karamanlis. Papandreou möchte gar mit parlamentarischen Untersuchungskommissionen (für die Jahre ab 2000) beweisen, "wer die Schuld an der Schande hat". Bereits jetzt ist bekannt, dass massive Tricksereien mit Hilfe der nun beschuldigten "Spekulanten" die Euroeinführung erst ermöglichten. Besonders brisant ist, dass zur Zeit der Euroeinführung Papandreou selbst bereits Minister im Kabinett Simitis war.
Betrachtet man heute die Berichte zur Währungsunion aus den Jahren 2000 und 2001 so kann man durchaus viel Skepsis erkennen. Offenbar hatten einige Beobachter bereits geahnt, was der Eurozone noch bevorsteht. Zu frisch war für die Skeptiker die Erinnerung an den letzten griechischen Finanzcrash. Keine der beiden großen Parteien, weder die Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK) noch die konservative Nea Dimokratie sind von Schuld frei.
Die Familien Papandreou, Karamanlis und Mitsotakis regieren in Griechenland, von einer siebenjährigen Militärregierung kurz unterbrochen, seit dem Ende des 2. Weltkriegs, also schon nunmehr 65 Jahre. Um die Familien herum bildete sich ein Hofstaat willfähriger Helfer. Das System "familiäre Korruption regiert" war geboren. In Griechenland ist seitdem eine Karriere nur möglich, wenn man "jemanden kennt" (griechisch Meson = die Beziehung) oder "jemanden schmiert" (griechisch Fakelaki = der Umschlag mit Geld). Eine Leistungsgesellschaft sieht anders aus.
Mit fremden Federn geschmückt - EU-Subventionen als Wahlgeschenke
Griechenland hatte sich seit dem Beitritt in die Europäische Gemeinschaft (EG) mit Hilfe der fetten Subventionen aus Brüssel ernährt. Das einstige Agrarland wurde mit Geld gefüttert. So sollte eine wirtschaftliche Angleichung des Staats an das Niveau der EG gefördert werden. Die Gaben wurden aber von der Politik als Wahlgeschenke missbraucht. Förderung bekam, wer sich dem System unterwarf. Dutzende von Großhändlern sorgten so mit ihren Verbindungen für Agrarfördermittel. Sie diktierten den Bauern allerdings eine enge Kundenbindung. Ziel der Agrarwirtschaft war nun nicht mehr die Produktion, sondern die Subvention. Wirtschaftlich sinnvoller Ackerbau wurde zugunsten von subventionierten Saaten aufgegeben.
Als Jahre später in Form sinkender Subventionen die Rechnung seitens der EU präsentiert wurde, schoben die griechischen Politiker anlässlich der mittlerweile traditionellen Bauernproteste unisono die Schuld auf die "unmenschlichen Brüsseler Technokraten".
Offenbar hatte sich allerdings auch keiner der Brüsseler Kommissare um lokale Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit bemüht. Auch hier müssen sich die Brüsseler an die eigene Nase fassen. Zu lange ließ man die griechischen Provinzfürsten gewähren. Fakt ist, dass die griechische Landwirtschaft gegenüber dem neuen EU-Nachbarn Bulgarien nicht mehr konkurrenzfähig ist. Aber nahezu die gesamte griechische Provinz hängt allerdings entweder am Agrartopf oder an den Lohngeldern der öffentlichen Bediensteten.
Der öffentliche Dienst als Belohnung für treue Parteiarbeit
Jahrelang wurden treue Parteisoldaten in Griechenland mit Beamtenposten belohnt. Unter dem Stichwort "Rousfeti" versorgten Provinzabgeordnete, Bürgermeister, Präfekten und Gemeindevorsteher ihre Wahlhelfer mit Arbeitstellen inklusive Frührentengarantie.
Nicht Leistung, sondern Loyalität zum Bonzen war das Kriterium. Das Ergebnis ist ein übermäßig aufgeblähter öffentlicher Dienst, der Dank konzentrierter Inkompetenz jeden wirtschaftlichen Aufschwungsversuch wirksam abwürgt.
Damit der Staat rudimentär überhaupt funktionieren kann, müssen oft weitere Bedienstete eingestellt werden. Kafkaeske Zustände herrschen z.B. in vielen Zweigstellen des staatlichen Elektrizitätskonzerns DEI. Dort stehen Dutzende von Buchhaltern und Putzfrauen in Amt und Brot, es fehlt allerdings an Technikern. Diese rekrutierte man bisher gern als "Praktikanten" auf 1-Euro-Basis – natürlich gefördert durch EU-Ausbildungsbeihilfen.
Zwar werden Beamtenposten mittlerweile über eine Personalauswahlorganisation rekrutiert, die Neuankömmlinge stehen aber in der Hierarchie stets unter den bereits langjährig dienenden Parteisoldaten. In jahrelanger Kleinarbeit konnten diese Parteisoldaten ein Bürokratielabyrinth aufbauen, das für einen Uneingeweihten nicht mehr durchschaubar ist. Dem Neuankömmling bleibt nur die Anpassung an das System oder alternativ der Gang zum Psychiater. Wer sich nicht anpasst, der wird gemobbt.
Der sparwütige Finanzminister Georgios Papaconstantinou, derzeit in einer Art weltweiter Roadshow für vertrauensbildende Maßnahmen auf der Suche nach Krediten, hat nach eigenen Angaben Probleme, seine eigene Verwaltung in den Griff zu bekommen. In kritischen Interviews mit dem Minister zeigt sich, dass er sich offenbar auch nach knapp fünf Monaten noch keinen vollständigen Überblick über den Staatapparat erarbeiten konnte.
Konkurrenzfähige Industrie? Das kommt den Griechen spanisch vor
In keinem durch Vetternwirtschaft zerwirtschafteten Land herrscht ein für einen industriellen Aufbau positives Klima. Wenn darüber hinaus eine garantierte Rechtsunsicherheit jegliche langjährige Planung verhindert, dann kann es einfach nicht funktionieren.
So hat Griechenland als Sonnenstaat bisher kaum am Solarboom teilhaben können. Hatte die "grüne Energie" zu Zeiten der konservativen Regierung kein Glück mit den Widrigkeiten des Verwaltungsapparats so leidet sie nun darunter, dass per Ministerbeschluss jederzeit die Stromeinspeisevergütung verändert werden können. Aktuell wird Windenergie bevorzugt, dies bedeutet eine Senkung der Einspeisevergütung für Solaranlagen bei gleichzeitiger Erhöhung der Windenergieförderung.
Dummerweise betrifft diese Regelung auch Investitionen, die bereits genehmigt und fertig gestellt sind und die nur auf die Unterschrift eines Verwaltungshengstes warten. Presseberichten zu Folge sollen Investitionen in Milliardenhöhe nun aufgrund der veränderten Berechnungsgrundlage vom Ruin bedroht sein. Die hellenische Solarindustrievereinigung schafft es unter solchen Umständen kaum, ihre Webpräsenz mit Informationen auf dem jeweils neuesten Stand zu halten.
Sehr geistreich erscheint der Schwenk zugunsten der Windenergieindustrie, wenn man bedenkt, dass erst kürzlich in Griechenland internationale Solarmodulproduzenten mit Hilfe von Subventionen in der Hoffnung auf einen boomenden Markt Produktionsstätten eröffneten. Windgeneratoren dagegen werden nicht hergestellt. Im zuständigen Ministerialausschuss sind aber fast nur Vertreter der Windkraft präsent.
Erst hat man kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu
Ohne den Euro konnten sich griechische Regierungen meist mit einer drastischen Abwertung der Währung retten. Schuld waren immer das Wirken der Vorgängerregierung und eine antihellenische Weltverschwörung der Spekulanten. Den patriotisch eingestellten Hellenen gefiel die Rolle des heldenhaften Widerstands gegen die "internationalen Feinde" - und alle waren mehr oder weniger zufrieden.
Diese Option entfällt im Eurozeitalter. Da aktuell keine Großinvestitionen wie der Athener Flughafen und keine Olympischen Spiele anstehen, sämtliche gewinnbringenden Staatskonzerne privatisiert und die eigene Bevölkerung finanziell ausgeblutet ist, gibt es keine Aussicht mehr auf schnelles Geld.
Die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise sind für die griechische Politik das tödliche i-Tüpfelchen. Selbst die orthodoxen Glaubensbrüder aus Russland - sonst traditionell hilfreiche Freunde in der Not - können diesmal nur warme Worte senden. Der Rubel rollt auch in Moskau nicht mehr.
Die Rolle der Medienmogule
Griechenlands Medienwirtschaft befindet sich in der Hand von Bauunternehmern. Der Trust des kürzlich verstorbenen Moguls Christos Lambrakis und die Familie Bobolas kontrollieren den Printsektor sowie private Rundfunkstationen.
Presseerzeugnisse werden als politische Meinungsbildungsinstrumente gebraucht. So verfügt die Familie Bobolas auch über den größten griechischen Baukonzern Aktor. Sämtliche Versuche der Politik, die Medienkonzentration zu überwinden, schlugen bisher fehl.
Verliert ein Regierungschef die Gunst der Mainstreammedien, so ist sein Sturz programmiert. Um die Zuneigung der Medienfürsten zu erhalten, müssen Premiers öffentliche Aufträge spendieren. Ohne Geld ist dies kaum möglich.
Papandreous Vorgänger Karamanlis hatte bereits die griechischen Fernstraßen an Bauunternehmer "verpfändet". Die Unternehmen dürfen nun im Gegenzug zur Straßenwartung die Mautgebühren kassieren. Eine einfache Reise von Thessaloniki nach Athen (550 km) kostet den griechischen Autofahrer ebensoviel wie dem Schweizer einer Jahresvignette. Trotzdem verlor Karamanlis die Gnade der Medien- und Baumogule.
Papandreous PR-Revolution in der Theorie…
Georgios Papandreou wurde im Herbst 2009 nach zwei gescheiterten Anläufen endlich Regierungschef. Die Korruption wollte er abschaffen, die seit Jahren geschrumpften Reallöhne erhöhen, mit einer grünen Revolution Griechenland als Vorreiter der erneuerbaren Energien etablieren und die Finanzkrise in Harry Potter Manier meistern. Obama war das große Vorbild.
Zukünftig sollten Posten nur nach Leistungsfähigkeit und Qualifikation besetzt werden. "Der Bürger zuerst", so lautete das Wahlmotto. Alles sollte besser werden. Die Wähler hörten diese Worte gerne, und bescherten den Sozialisten einen Erdrutschsieg (Linksrutsch in Griechenland).
…und die hellenische Realität
Knapp fünf Monate später hat Griechenland im EU-Ministerrat einen Teil seiner staatlichen Souveränität verloren. Die Hellenen daheim haben es allerdings bisher kaum erfahren. Noch schweigen die Medien. Das Land erlebt de facto einen Bankrott, Unternehmen und Freiberufler gehen reihenweise Pleite, das Arbeitslosenheer wächst, steigende Kriminalität und tägliche Streiks sorgen bei den Einwohnern für ein surreales Klima eines landesweiten Überlebenscamps.
Mal streiken die Taxifahrer, dann die Beamten, es gibt kein Benzin, Busse fahren nicht, Lehrer streiken und die bereits überhöhten Preise für Lebensmittel steigen aufgrund von Lieferengpässen. Kurzum, die Griechen erleben Chaos pur.
Derweil können sie in Fernsehberichten verfolgen, wie Papandreou durch die Welt reist, um seinen Willen für die Ergreifung von Maßnahmen zu präsentieren. Der Ministerpräsident würde dabei wie ein Titan kämpfen, so verlautet es im traditionell regierungstreuen staatlichen Fernsehen. Ob diesem Bericht ein versteckter ironischer Unterton oder eine Bildungslücke zu Grunde lag, konnte nicht erfahren werden. Bekanntlich wurden die Titanen von der Götterfamilie um Zeus entmachtet.
Ein wirklich wahrhafter Wille zur Ergreifung von Maßnahmen
Wie die Maßnahmen zur Rettung Griechenlands konkret ausschauen sollen, das konnte bisher noch kein Bewohner des Landes erfahren. Stattdessen werden über den Rundfunk ständig entweder Durchhalteparolen gegeben oder neue Schreckgespenster präsentiert. Mal sollen Löhne gekürzt werden, dann drohen steigende Mehrwertsteuersätze. Gesetze werden angekündigt, im Internet öffentlich beraten, beschlossen und oft vor Inkrafttreten erneut korrigiert.
Einer der ersten Schritte zur Rettung der Finanzen war die Einführung einer "grünen", schadstoffbezogenen Kraftfahrzeugsteuer. Diese sollte die bisher geltende Besteuerung ablösen. Bereits Karamanlis’ Umweltminister Souflias hatte erwogen, alte Kraftfahrzeuge höher zu besteuern. Im Gegenzug sollten den Bürgern nach dem Vorbild der deutschen Abwrackprämie Kaufanreize geboten werden.
Im Wahlkampf hatte die PASOK diese Berechnungsgrundlage noch als sozial ungerecht und fundamental falsch verurteilt. Allerdings, so die PASOK noch im September, werde man an der Abwrackprämie festhalten. Die Abwrackaktion der Konservativen wurde unvermittelt vom Finanzminister Papaconstantinou gestoppt. Der oberste Finanzverwalter verschickte dies per Email-Ministererlass. Dummerweise unterlief dem damals frischen Minister dabei ein Formfehler, so dass innerhalb weniger chaotischer Tage einige Glückliche mit guten Beziehungen gerade noch ihren PKW abwracken konnten.
Bürger ohne Beziehungen gingen leer aus. Das traf leider gerade jene besonders hart, die kurz nach der Verschrottung ihres Autos mit einem Stahlknäuel, das mal ihr Fortbewegungsmittel war, vor Augen vom Aktionsstopp erfuhren. Sie hätten, so wurde ihnen beschieden, zwar fristgerecht den Abwrackantrag gestellt, aber angesichts der Warteliste bei den Abwrackunternehmern und der lahmen Bürokratie die Verschrottung zu spät dokumentiert. Hätten sie sich erst den Behördenstempel über die erfolgte Abwrackung besorgt und dann die Presse aufgesucht, dann hätte es geklappt.
Die neue grüne Kraftfahrzeugsteuer wurde hingegen nach dem Modell von Souflias berechnet. Ungeachtet des tatsächlichen Schadstoffausstoßes müssen die Kraftfahrzeughalter einen nach Zulassungsdatum errechneten Obolus entrichten.
Die Quittung seitens der Hellenen kam prompt, statt der erhofften Mehreinahmen durch die drastisch erhöhten Abgaben erhielt der Staat tausendfache Stilllegungsanträge für Altautos. Im Vergleich zum Vorjahr nahmen die Einnahmen für Kraftfahrzeugsteuern um mehr als 100 Millionen ab.
Zu fehlerhaft war das Gesetzeswerk, zu sehr fühlten sich die Bürger abgeschröpft. Was Wunder? Die Berechnung nach Zulassungsdatum führte zu geradezu irrwitzigen Gebühren. Ein importierter Gebrauchwagen, Baujahr 1998, aber mit griechischer Erstzulassung im Jahr 2006, gilt als schadstoffarm, ein am 31.12.2004 zugelassenes Modell dagegen als umweltschädlicher als ein am 1.1.2005 zugelassenes identisches Auto. Die negative Einstufung kann je nach Hubraum mehrere hundert Euro kosten. Für viele Griechen ist der KFZ-Steuerbetrag höher als ihr Monatseinkommen.
Der griechische Staat ist mit seinen im europäischen Vergleich rekordartig aufgeblähtem Verwaltungsapparat eigenen Angaben zu Folge nicht in der Lage, eine Datenbank mit Emissionswerten für die zugelassenen Fahrzeuge zu erstellen. Nahezu selbstverständlich erscheint, dass unter diesen Umständen der Gebrauchtwagenhandel zusammen gebrochen ist.
Bürger als Steuerprüfer
Angesichts des korrupten Staatsapparats hat die Regierung eine Bürgerbeteiligung für die Eintreibung von Mehrwertsteuern konzipiert. Griechische Freiberufler ersinnen bekanntlich seit jeher alle möglichen und unmöglichen Mittel und Wege, um Steuern zu hinterziehen. Besonders erfinderisch sind dabei Kleinhändler, Handwerker und Ärzte.
Daher sollen künftig Steuerfreibeträge nur gelten, wenn der steuerpflichtige Bürger einen Mindestumsatz mit Hilfe von bezahlten, elektronisch registrierten Rechnungen vorweisen kann. Dies gilt auch für Einkommen unter dem Existenzminimum. Die Rechnungen müssen in akkurat geführten Kassenbüchern sortiert und zusammen mit der Steuererklärung abgegeben werden.
In der Theorie mag diese Maßnahme sinnvoll erscheinen. Nur konnte die Regierung bisher noch nicht erklären, welche Art Rechnungen vom Finanzamt für die Besteuerung des laufenden Jahrs akzeptiert werden.
Definitiv nicht gelten sollen Mietbeträge, Stromrechnungen und Telefonrechnungen vom ehemals staatlichen Unternehmen OTE. Ob die Rechnungen der privaten Konkurrenz akzeptiert werden, wurde allerdings noch nicht beschlossen. Lebensmitteleinkäufe werden nur bis zu gesetzlich noch zu bestimmenden Sockelbeträgen akzeptiert.
Darüber hinaus sind per Gesetz Kioskbesitzer, Tankstellen, Taxifahrer und Bauern nicht zur Rechnungsstellung verpflichtet. Die verwirrte Kundschaft verzichtet daher auf Einkäufe in Kiosken oder auf Wochenmärkten. Zahlreiche Familien, die ihr Einkommen z.B. mit einem Kiosk verdienen, stehen deshalb nun vor dem Ruin. Tankstellenbetreiber dagegen müssen ihren verärgerten Kunden mehrmals täglich erklären, dass sie aufgrund der geltenden Steuergesetze nur für Geschäftskunden Rechnungen erstellen müssen.
Fraglich bleibt, wer die Millionen Kassenbücher kontrollieren und archivieren soll. Dass ein Verwaltungsapparat dies ohne Datenbankkenntnisse bewerkstelligen kann, daran darf getrost gezweifelt werden.
Ende der Vetternwirtschaft?
Als Bumerang entpuppte sich auch Papandreous Versuch, die Verwaltungsposten in seinen neuen Ministerien mit frischen, parteipolitisch unbelasteten und qualifizierten Kräften zu besetzen.
Direkt nach den Wahlen im Oktober schrieb die Regierung zuerst die Posten der Ministerialdirigenten aus. Mehr als 30.000 Bewerbungen wurden wie gefordert per Internet eingereicht. In ein mehrseitiges elektronisches Formblatt durften potentielle Verwaltungschefs ihren Lebenslauf nebst Qualifikationen eintragen. Mit einem Foto und der Angabe von mindestens drei prominenten Persönlichkeiten als Bürgen wurde das Bewerbungsformular abgerundet.
Die Auswahl dauerte Monate. Absagen oder gar Auswahlbegründungen wurden nicht versendet. Erst am 28. Januar konnte der letzte Ministerialdirigent bestimmt werden. Andreas Andreopoulos war der glückliche, er darf im Ministerium für Umwelt, Energie und Klimawandel seinen Dienst versehen.
Andreopoulos ist ausgewiesener Freund der chemischen Industrie und befürwortet anders als seine ihm vorgesetzte Ministerin und Chemiegegnerin, Tina Birbili, Genmanipulationen. Allerdings ist Andreopoulos auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung des ehemaligen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou ISTAME. In dessen Verwaltungsrat sitzt der ihm nun vorgesetzte stellvertretende Minister Ioannis Maniatis.
Im gleichen Ministerium findet sich als "Kontrolleur der eigenen Frau" ein Herr Andreas Andreadakis. Sein Zuständigkeitsbereich umfasst die Wasserwirtschaft, womit er natürlich auch das Arbeitsgebiet der Firma EMVIS kontrollieren muss. EMVIS ist eine auf Adreadakis Frau eingetragene Firma, die sich um öffentliche Aufträge bemüht. Bemerkenswert erscheint, dass der davon offiziell unberührte Ministerialdirigent bisher nahezu alle Veröffentlichungen der Firma erstellt hat.
In anderen Ministerien sieht es ähnlich aus. Die Bürger fragen sich, wie Papandreou ein Signal gegen Vetternwirtschaft setzen will, wenn seine Personalauswahl zumindest dem Anschein nach den Kriterien der "guten Bekanntschaft" abläuft. Befürworter des Regierungschefs entschuldigen dies mit dem Hinweis auf ein notwendiges Kräftegleichgewicht innerhalb der Regierungspartei.
Was kontrolliert die EU?
Nach internationalen Medienberichten hat die Europäische Union ein scharfes Auge auf die tricksenden Griechen geworfen. Offenbar beschränkt sich dieses Auge auf Statistiken und Defizite. Strukturmaßnahmen werden nicht angemahnt. Wirtschaftliche Entwicklung und das Überleben der Bevölkerung werden erst recht nicht erwähnt. Das Symptom soll bekämpft werden, nicht die Ursache.
Selbst unabhängige Experten dozieren zwar über finanzielle Kontrollinstrumente und Hilfsgelder, können aber kaum nachvollziehen, wie tief im System der Fehler liegt.
Unter den bestehenden Umständen ist jede Belastung von Steuerzahlern, ob der griechischen oder europäischen Bürger, in etwa so wirkungsvoll wie eine Kopfschmerztablette gegen Haarausfall. Geradezu pervers erscheint in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass viele der Nutznießer und die Helfershelfer griechischer Vetternwirtschaft namentlich bekannt sind. Sie bleiben weiterhin weitgehend unbehelligt.
Die meisten Skandale wurden schließlich unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit aufgedeckt. Zahlen sollen allerdings, frei nach Papandreous Wahlmotto "der Bürger zuerst", die Steuerzahler Europas. Das kann nicht der Sinn eines friedlich vereinten Europas sein. Selbst mit Milliardengeldspritzen ist somit der nächste Crash vorprogrammiert. Dann aber, kann der zuständige griechische Ministerpräsident mit Fug und Recht die Schuld nach Brüssel schieben.