Linksrutsch in Griechenland

Zeichen der Niederlage - vor der Parteizentrale der Nea Dimokratia gab es nur eine einzige Fahne, und die war in Händen eines Kindes. Alle Bilder: Wassilis Aswestopoulos

Sozialistische PASOK gewinnt entgegen dem europäischen Trend die absolute Parlamentsmehrheit

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Georgios Papandreou, Enkel und Sohn vorheriger Ministerpräsidenten Griechenlands, hat mit einem haushohen Sieg seiner sozialistischen PASOK die konservative Nea Dimokratia unter dem „Neffen“ Kostas Karamanlis abgelöst. Der krisengeschüttelte bisherige griechische Ministerpräsident Kostas Karamanlis, hatte mit einem mutigen Vabanque-Spiel alles auf eine Karte gesetzt und für den 4. Oktober vorzeitige Neuwahlen ausgerufen (Griechenland: Neuwahlen nach monatelanger Regierungskrise).

Entgegen allen Umfragewerten und entgegen dem ungeschriebenen statistischen „Wahlgesetz“, dass niemand in Hellas drei Parlamentswahlen hintereinander gewinnen kann, riskierte Karamanlis ein Ende mit Schrecken, um einem Schrecken ohne Ende vorzubeugen. Er fuhr nach einem auf seine Person zugeschnittenen Wahlkampf mit knapp 34 % das schlechteste Wahlergebnis seiner 1974 von seinem Onkel Konstantinos Karamanlis gegründeten Partei ein.

Der Doppelstaatler Georgios Papandreou, mit griechischem und US-amerikanischem Pass, konnte mit einem Wahlkampf nach Obama-Vorbild die Massen seiner Anhänger nach zwei verlorenen Wahlen wieder mobilisieren und erreichte fast 44 % der Stimmen. Von den kleineren im Parlament vertretenen Parteien konnte lediglich die von vielen Beobachtern als extrem rechts angesiedelte LAOS Stimmenzuwächse verzeichnen. Die Grünen-Ökologen, Schwesterpartei der deutschen Grünen, scheiterte an der 3 % Hürde.

Traditionelle absolute Regierungsmehrheiten als Stolperstein für Kleinparteien

Zu sehr wurde von den Massenmedien das Schreckgespenst einer Regierungslosigkeit an die Wand gemalt. Die neuere griechische Politik ist auf absolute Parlamentsmehrheiten ausgerichtet und vermeidet Koalitionsregierungen. Dies verstärkt den Effekt einer bipolaren Parteienlandschaft, bei der sich die großen Parteien seit dem Fall der Militärjunta vor 35 Jahren in der Regierungsmacht abwechseln. Bei den Grünen, die sich als einzige Kleinpartei gegenüber der PASOK und der Nea Dimokratia koalitionsbereit zeigten, kam erschwerend der auf eine ökologische Wirtschaftsrevolution zugeschnittene Wahlkampf von Papandreou hinzu. Grüne Themen wurden somit von der traditionell mit Grüner Farbe symbolisierten sozialistischen Partei gekapert.

Vor Bekanntgabe der Hochrechnung hatten sich die Devotionalienhändler bereits entschieden. PASOK Fahnen gab es überall, Nea Dimokratia Embleme nirgendwo

Die Kommunisten baten die Arbeiterschaft um Stimmen, stellten allerdings im Vorfeld klar, dass sie zu keiner Koalition mit einer der großen Parteien bereit sind. Beide, sowohl PASOK als auch Nea Dimokratia seien in Grundzügen gleich. Bei den Karamanlis müden Hellenen wirkte dies nicht besonders attraktiv. Sie befürchteten mit einem Votum für die Kommunisten, indirekt die Position der Konservativen zu stärken.

Die linke Sammelbewegung SYRIZA, ein Wahlbündnis mehrerer kleinerer linker Gruppierungen, war im Vorfeld der Wahlen so zerstritten, dass sie bis zu letzt um ihren Parlamentseinzug bangte. Alle Parteiführer der im Bündnis vertretenen Splittergruppen traten als Kandidaten auf der Wahlliste an. Dadurch blieben einige fähigere Linksintellektuelle außen vor.

Anhänger der Linken (SYRIZA) sind erleichtert über den erneuten Einzug ins Parlament

Lediglich LAOS, hauptsächlich ein Sammelbecken für konservative, parteilos gewordene Politiker konnte bei Protestwählern mit einem sozialwirtschaftlichen Heilsprogramm der nationalen Erneuerung punkten.

Nunmehr 15 Parlamentssitze bescheren dem Vorsitzenden Georgios Karatzaferis erweiterte Fraktionsrechte. Karatzaferis hatte im Wahlkampf geschickt mit der offen bisexuell auftretenden Popikone Ilias Psinakis über eine Kandidatur des Musikproduzenten auf der LAOS Liste geflirtet. Mit diesem Schritt verwässerte er medienwirksam das LAOS anheftende Image einer rechtsradikalen Partei.

Griechische Krankheit: Beziehungen, Vetternwirtschaft, Korruption

Kandidaturen von Prominenten Nichtpolitikern sind in Griechenland eher die Regel als die Ausnahme. Sportler, Schauspieler, Journalisten, Musiker und Schriftsteller werden gerne als Kandidaten gewonnen. Damit lässt sich in Hellas noch manch eine Wählerstimme gewinnen.

Lager der PASOK am Klathmonos Platz, Minuten vor der ersten Hochrechnung

So kandidierte Anna Dalara, Ehefrau und Managerin des Musikers Georgios Dalaras für PASOK. Ein Schritt, so bemerken kritische Beobachter in den Kaffeehäusern, der dem Musiker unter den neuen Machthabern weiterhin einige mit Steuergeldern finanzierte Konzerte einbringen kann. Die Nea Dimokratia konterte dagegen unter anderem mit dem Eurovisionsteilnehmer von 1977, dem Musikproduzenten Robert Williams.

Darüber hinaus sind beide Regierungsparteien außer mit Promis bis in die hinteren Chargen mit Verwandten der „herrschenden Clans“ besetzt. Gerade diese enge Verwicklung zwischen Politik, Verwaltung und privaten Interessen gilt vielen als einer der Hauptgründe für den wirtschaftlichen Niedergang des Landes.

Bekanntgabe der ersten Hochrechnung

Sowohl Karamanlis als auch Papandreou betonten im Wahlkampf, sie würden mit aller Macht gegen solche Interessenverquickungen und gegen die allgegenwärtige Korruption vorgehen. Papandreou scheiterte als ehemaliges Regierungsmitglied der PASOK bei den Wahlen 2004 und 2007 beim Versuch, die Wähler von seinen Absichten zu überzeugen. Diesmal war Karamanlis an der Reihe.

Aggressionen vor einer fast verlassenen Parteizentrale

Nach den ersten zuverlässigeren Hochrechnungen gegen 21:00 Uhr hatte Karamanlis einzeln seine Topminister ins Parteizentrum der Nea Dimokratia in der Rigilis Straße gerufen. Das Gebäude, das bei den vorangegangenen Wahlkämpfen aufgrund der feiernden Menschenmassen davor kaum sichtbar war, erschien wie ein Trauerhaus. Vor dem Eingang waren die Journalisten und Kameraleute durchaus in der Überzahl.

Syntagma Platz, Lager der Fans der Nea Dimokratia-

Mehr als der achtprozentige Stimmverlust und die daraus resultierende, aber erwartete Niederlage schmerzte die Anhänger der Nea Dimokratia der zweistellige Rückstand zum Erzrivalen PASOK.

Es kam trotz der geringen Zahl von Nea Dimokratia Anhängern zu einem kleineren Tumult, bei dem der bisherige Bau- und Umweltminister Georgios Souflias im Mittelpunkt stand. Souflias, als Herr des korruptionsträchtigen Bauministeriums und aufgrund seiner restriktiven Politik gegen erneuerbare Energien mitschuldig an der Misere der Nea Dimokratia, hatte Karamanlis im Entschluss zu vorgezogenen Neuwahlen bestärkt.

PASOK Fans feierten bis spät in die Nacht

Ein aufgebrachter Anhänger versuchte deshalb am Wahlabend, den Minister zu verprügeln. Herbeieilende Bodyguards konnten den laut fluchenden Mann jedoch überwältigen. Der Mann betonte in seiner Verzweiflung seine Verehrung für Karamanlis. Er bettelte um Einlass ins Gebäude. Er wolle, so sagte er, Karamanlis zum Durchhalten überreden.

Kurz vor Elf übernahm Karamanlis in einer Ansprache die volle Verantwortung für die „empfindliche Niederlage“ und gab seinen Rücktritt vom Parteivorsitz bekannt.

Das Familienduell geht in eine neue Runde

Bereits in der Wahlnacht begann somit der Wahlkampf um den Parteivorsitz der Nea Dimokratia. Als aussichtsreichste Kandidatin gilt Dora Bakojianni, Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis. Mitsotakis, mittlerweile über 90 Jahre alt, greift immer noch mit sporadischen Auftritten in die griechische Tagespolitik ein. Neben seiner Tochter wurde – gemäß den bisher bekannten Ergebnissen - mit Kyriakos Mitsotakis auch der jüngere Spross der kretischen Dynastie erneut ins Parlament gewählt. Mitsotakis senior und sowohl der Vater des zukünftigen Premiers Papandreou als auch der Großvater lieferten sich seit Jahrzehnten einen Wettkampf um die Macht in Griechenland.

Gähnende Leere am Syntagma Platz im und um das Partyzelt der Nea Dimokratia

Da beim Karamanlis-Clan derzeit kein Anwärter auf den Parteivorsitz erkennbar ist, zeichnet sich für die Auguren ab, wer bei der übernächsten Wahl das ewige Familienduell gewinnen und den Premierministerwohnsitz im Athener Stadtzentrum beziehen wird. Ob Griechenland damit seine Probleme löst, ist allerdings fraglich.