Ein nationaler Held der USA wird festgenommen

Ex-Weltmeister Bobby Fischer wird in Japan verhaftet

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Auf dem Weg zu den Philippinen wurde Ex-Weltmeister Robert "Bobby" J. Fischer von den Einwanderungsbehörden in Japan auf Grund eines alten US-Haftbefehls festgenommen. Das ist das vorläufige Ende einer Ausnahmeerzählung in der Welt des Schachs, die an Ausnahmeerzählungen nicht gerade arm ist.

Fischer war nicht nur eine Schachlegende, ein genialer Ausnahmespieler, der mit 14 Jahren US-Meister, mit 15 Jahren Großmeister und schließlich 1972 Weltmeister wurde. Fischer war die einzige Langstreckenrakete, die während der Zeit des kalten Krieges tief im Herzen des Klassenfeinds zündete und im hochpolitischem Feld des Sports für Verheerungen sorgte. Fischer persönliche Paranoia, die nicht allein darin bestand, seine göttliche Mission darin zu sehen, russische Großmeister zu demütigen, fügte sich gut in den ambitionierten Systemvergleich. Denn die sowjetischen Großmeister waren kein simplen Sportler ihres Landes, sondern Repräsentanten der sozialistischen Überlegenheit im Reich des Geistes. Was war besser als Schach, den Systemvergleich messbar zu gestalten?

Die Ballade von Bobby Fischer

1972 kam es zum Showdon der Weltmeisterschaft in Reykjavik, die es spannungsmäßig lässig mit "High Noon" aufnehmen konnte. Fischer versetzte trotz oder wegen seiner Eskapaden jenseits des Brettes - immer wieder drohte er mit Abbrüchen und vergab eine Partie kampflos - Boris Spassky eine grauenhafte Niederlage. Doch die galt vor allem der bis dato unangefochtenen sowjetischen Schachhegemonie. Während der schmachvollen Niederlage suchten die Sowjets nach Erklärungen, die selbstverständlich nichts mit der spielerischen Extraklasse des US-Champions zu tun hatten. Selbst der KGB wurde eingeschaltet, um Manipulationsvorwürfe gegen Fischer zu konstruieren, die allesamt ergebnislos blieben. Bewundernd sprach der SPIEGEL weiland davon, dass ein Amerikaner die Vorherrschaft der Russen erstmals sei 71 Jahren zu durchbrechen drohte.

Schon zuvor hatte Fischer die russischen "Systemvertreter" reihenweise gedemütigt. Die Schachheroen Petrosjan und Taimanow wurden fast wie Anfänger eines Spiels vorgeführt, das Goethe schon als "Probierstein des Gehirns" bezeichnet hatte. Fischer wurde in den patriotischen USA wie ein Held gefeiert. Die Amerikaner, nicht gerade eine schachfreudige Nation, entdeckten das Spiel, liefen in Schachvereine und verfolgten staunend auf dem Monitor die "tiefen Züge" des ehemals armen Jungen aus Brooklyn. Der dekadente denkfaule Westen hatte die sowjetischen Analysiermaschinen besiegt, nicht mal gerade so, sondern vernichtend und teilweise mit ausgesuchter psychologischer Bosheit, die etwa Fischer dem russischen Großmeister Taimanow dessen Leib- und Magenvarianten servieren ließ, um ihm zu zeigen, wer der wahre Meister ist.

Junge Gentlemen, die angestrengt arbeiten

Danach war von Fischer nicht mehr viel zu sehen, sein Lebensziel hatte er erreicht. Es kursierten in den folgenden Jahren nicht viel mehr als dunkle Geschichten, dass der Meister, von mütterlicher Seite jüdischer Abstammung, antisemitische Hetzschriften verteilte und die Rückkehr in die viereckige Arena von horrenden Teilnahmeprämien abhängig machte. Angeblich war er nur gegen Zahlung von 1000 Dollar bereit, an ihn gerichtete Briefe zu öffnen. Es ist das Privileg von Schachmeistern, wahnsinnig zu sein und die Schachgeschichte war bis zu Fischer eine Geschichte der verrückten Genies, von autistischen Geistesriesen, die während einer Partie etwa in die Hose machten, weil sie nur in der virtuellen Welt aus 64 Feldern lebten. In der Ära nach Fischer wurde es ruhiger in der Szene und allein Kasparow war hin und wieder für jene Kapriolen gut, die sich nicht auf das Schachbrett beschieden. Im Übrigen sind Schachmeister heute regelmäßig junge Gentlemen, die angestrengt arbeiten und von einer breiteren Öffentlichkeit nicht allzu sehr beachtet werden.

Fischer erschien September 1992 wieder aus der selbst gewählten Versenkung. Da ihm kampflos der Titel aberkannt worden war, sah er keinen Grund, sich nicht länger für den Weltmeister halten zu dürfen - zeitweise gab es drei Schachweltmeister simultan. Er gewährte Spassky in Sveti Stefan, Jugoslawien, einen Rückkampf, der nach Fischers Lesart endgültig über die Krone des königlichen Spiels entscheiden sollte. Er kam, sah und siegte - und erhielt für seinen Sieg mehrere Millionen US-Dollar.

Fischer hatte sich schon zuvor auch als Geschäftsprofi erwiesen, wenn es darum ging, das Spiel zu einer kommerziell lukrativeren Angelegenheit zu machen, als es jene Altmeister vermochten, die vornehmlich der Ehre halber spielten und oftmals verarmt in Vergessenheit gerieten. Fischer spielte gegen das ausdrückliche Verbot der US-Regierung. Nach Ansicht der US-Behörden verletzte er nämlich mit seiner Teilnahme das Handelsembargo gegen Serbien und Montenegro. Fischer soll auf den Brief des US-Handelsministerium gespuckt haben, der das Verbot enthielt, dort nicht zu spielen. Zwar mag es sein, dass das eher harmlose Revival-Match die Zielsetzungen dieses Embargos unterlief, borniert jedoch war es allemal, den einstigen Nationalhelden mit bürokratischer Elle zu vermessen.

Fischer hatte sich ohnehin noch nie in seinem Leben allzu sehr um Regeln bekümmert, die jenseits der Felder galten, die die Welt bedeuten. Als er noch ein prominenter nationaler Export-Artikel in Zeiten des Kalten Kriegs war, nahm ihm das außer seinen Brettgegnern niemand übel. So hatte weiland Henry Kissinger noch im höchsten Auftrag auf den unberechenbaren Fischer eingewirkt, "zum Besten der Nation" nur ja nicht unverrichteter Dinge aus Reykjavik abzuziehen.

Einen Voltaire verhaftet man nicht

Das Match, das ihm nun zum Verhängnis geworden ist, war keine gigantische Schach-Veranstaltung. Spassky war zu dieser Zeit längst kein ambitionierter Spieler mehr und Fischer war durch seine zwanzigjährige Weigerung, ernsthafte Matches zu spielen, auch kaum besser geworden. Es war eine Nostalgieveranstaltung, die von ferne an bessere Zeiten erinnerte. Dass nun Fischer für dieses "Altherren-Duell" festgenommen wurde, ist schlechter Stil. De Gaulles berühmter Spruch über den Philosophen Sartre "Einen Voltaire verhaftet man nicht" ist im Land der Freiheit offenbar eher nicht bekannt.

Seinerzeit hatte man noch Verständnis für diese "turbulente Mischung aus Arroganz, Unreife, Paranoia und Überempfindlichkeit" (Newsweek). Selbst eine hämische Schallplatte, die "Ballade von Bobby Fischer" erschien 1972, nachdem er Spassky "vernichtet" hatte und der dafür nach Sibirien verbannt wurde - zumindest auf der Platte. Nun droht Fischer, der selbst die Verbannung gewählt hatte und seit Jahren auf der Flucht ist, die Auslieferung nach Amerika. Arthur Koestler nannte die Weltmeisterschaft 1972 einen bizarren Stierkampf. Gegenwärtig erleben wir dagegen eine bizarre Eselei. Warum man im Fall Fischers die Muskeln des kleinlichen Rechtsstaats spielen lässt, ist unerfindlich. Vielleicht ist das erhöhte Justizinteresse auf jenen Ausbruch Fischers anlässlich von "Nine/Eleven" zurückzuführen, demnach er angeblich das Attentat begrüßte: "Fuck the US." Eine arme Geste bleibt es allemal in einer Zeit, in der Amerika übrigens keinen ernsthaften Aspiranten auf einen Weltmeistertitel hat und Grund hätte, an anderen Orten angestrengter über die eigene Rechtsstaatspraxis nachzudenken.