"Eindeutige Fortschritte" im Kosovo
UN-Gouverneur Jessen-Petersen behauptet verbesserte Menschenrechtssituation im Kosovo, dabei geht es nicht nur um die Beendigung der UN-Mission, sondern auch um Rohstoffinteressen
Am 24. Mai wird Sören Jessen-Petersen, der UN-Gouverneur des Kosovo, seinen Bericht über die Menschenrechte in der Provinz offiziell vorlegen, aber bereits im Vorfeld wurde der Inhalt bekannt. Demnach sind in den letzten drei Monaten "eindeutige Fortschritte" bei allen humanitären Standards gemacht worden, deren volle Erfüllung die UN zur Voraussetzung für eine eventuelle Änderung des Status der Provinz gemacht hat. Bisher ist dieser Status nämlich in der Sicherheitsratsresolution 1244 der Grundlage des Friedensschlusses zwischen Jugoslawien und der NATO vom Sommer 1999, eindeutig geregelt: Sie gehört zu Jugoslawien bzw. Serbien-Montenegro, wie der Staat seit Beginn 2003 offiziell heißt.
"Ein beträchtlicher Teil der wichtigsten Standards wurde erreicht oder wird, sofern die Anstrengung und das Tempo der Umsetzung anhält, im Laufe des Jahres 2005 erreicht werden", heißt es in Jessen-Petersens Bericht. "Diese Erfolge ... schaffen die Voraussetzungen für Vertrauen in die Fähigkeit des Kosovo, Institutionen aufzubauen und zu erhalten, die für die Rechte aller Menschen eintreten, sie beschützen und erweitern."
Wenn Petersen von den "wichtigsten Standards" spricht, die angeblich erreicht worden sind, so wird das in Belgrad mit Kopfschütteln quittiert. "Eigentlich sind doch nur zwei Standards wichtig, wenn man von den Menschenrechten im Kosovo spricht", sagte ein Mitglied der serbischen Regierung gegenüber dem Autor, "und das ist das Rückkehrrecht für die aus dem Kosovo vertriebenen und die Bewegungsfreiheit für die dort gebliebenen Angehörigen der Minderheiten. In beiden Fällen hat sich überhaupt nichts getan."
Seit dem Rückzug der jugoslawischen Armee und dem Einrücken der NATO-geführten Schutztruppe KFOR in das Kosovo im Juni 1999 wurden über 200.000 Serben von den siegreichen Albanern verjagt, zwischen 60.000 und 100.000 harren noch in der Provinz aus, viele von ihnen in abgeriegelten Ghettos. Von den allein 4.100, die im Laufe eines mehrtägigen Pogroms im März 2004 ihre Dörfer verlassen mussten, konnten trotz Zusicherungen der UN-Verwaltung UNMIK bisher mehr als ein Drittel nicht zurückkehren, bilanzierte Amnesty International ein Jahr nach der Menschenjagd.
Mitte Mai wurde dieser Befund von Natalija Djurickovic bekräftigt, die im Auftrag des National Endowment for Democracy, einer vom US-Kongress finanzierten Menschenrechtsorganisation, die Provinz bereiste. "Jeden Monat verlassen mehr Serben das Kosovo, als dorthin zurückkehren", sagte sie. "Die Situation im Kosovo hat sich in der Tat seit der Gewaltwelle im März letztes Jahres weiter verschlechtert. Ich sage das, weil es im Kosovo 2003 und 2004, als ich dort war, wenigstens den Anschein von Bewegungsfreiheit gab. Nun jedoch haben die Serben wegen der Märzereignisse (2004) Angst zu reisen, besonders in Gebieten mit albanischer Bevölkerung."
Wie Jessen-Petersen trotzdem "verbesserte Bewegungsfreiheit" konstatieren kann, dürfte sein Geheimnis bleiben. Dass er aber auf eine "Abnahme der inter-ethnischen Gewalt" verweist, hat durchaus eine gewisse Logik: Seit den Pogromen im März 2004 mit mindestens 19 Toten gibt es praktisch keine Kontakte mehr zwischen der Minderheitsbevölkerung und den etwa 1,8 Millionen Albanern in der Provinz. Wer will, kann dieser trügerischen Friedhofsruhe auch demokratischen Standard bescheinigen.
Die niederschmetternde Bilanz bei der Rückführung der vertriebenen Serben soll nun offensichtlich dadurch kompensiert werden, dass zwangsweise andere Nicht-Albaner aus EU-Staaten in die Provinz abgeschoben werden, um einen multikulturellen Standard vorzugaukeln. Allein Innenminister Otto Schily hat zugesagt, 10 000 Ashkali, Kosovo-Ägypter und in der Folge auch Roma zu deportieren, für die nach den Unruhen im März 2004 zunächst ein Abschiebestop verfügt worden war. Bereits am 19. Mai startete die erste Maschine mit 30 Flüchtlingen von Düsseldorf aus (Abschiebung ins Kosovo).
Kohle, Kupfer und Gold
Der eigentliche Zweck von Jessen-Petersens Bericht liegt selbstverständlich nicht in der Beschreibung der Realität, sondern in der Beförderung der westlichen Politik. Alle NATO-Mächte drängen auf eine Abspaltung der Provinz von Serbien. Damit endlich die Verhandlungen über diesen "Endstatus" beginnen können, müssen menschenrechtliche Minimalstandards zumindest auf dem Papier erreicht sein. Wenn der Bericht Jessen-Petersens, der eben dies behauptet, am Freitag vom UN-Sicherheitsrat abgenickt wird, ist Generalsekretär Kofi Annan ermächtigt, im nächsten Schritt einen Sonderbeauftragten zu ernennen, der einen Abschlussreport erstellt, auf dessen Grundlage dann im Herbst die sogenannten Endstatusgespräche beginnen können.
Völlig unklar ist allerdings, in welchem Rahmen und mit welchen Teilnehmern - außer den Verantwortlichen in Belgrad und Pristina - dieser Konferenzmarathon ablaufen soll. Für den Posten als Sonderbeauftragter ist Kai Eide im Gespräch, der norwegische Botschafter bei der NATO. Wes Geistes Kind der Skandinavier ist, machte er nach den Mordnächten im März 2004 klar: In einem Brief an Annan beklagte er nicht die ungezügelte Gewalt der albanischen Separatisten als Hindernis für die Entwicklung des Kosovo, sondern dessen "ungeklärten Status".
Um den Grund des westlichen Drängens auf Eigenständigkeit der Provinz zu finden, muss man nicht sehr tief schürfen. Die Braunkohlereserven des Kosovo gelten mit einem nachgewiesenen Umfang von 8,3 Milliarden Tonnen - mindestens dieselbe Menge wird zusätzlich vermutet - als die größten in Europa. Außerdem wird in der Trepca-Mine in der Nähe von Mitrovica Kupfer gefördert. Das Vorkommen ist so ergiebig, dasss es im Zweiten Weltkrieg direkt der Wehrmacht unterstellt wurde (der Rest des Kosovo wurde Großalbanien zugeschlagen); in den achtziger Jahren waren 20.000 Arbeiter in Trepca beschäftigt. Last not least gibt es Hinweise auf nennenswerte Lagerstätten von Gold (ebenfalls in Trepca) und von Chrom (an der Grenze zu Albanien). Am 21. Januar 2005 hat Jessen-Petersen die Schürfrechte über die Bodenschätze in der Provinz für internationale Investoren ausgeschrieben. Bereits innerhalb der ersten zwei Tage meldeten sich über 600 Interessenten. Durch die Vergabe von Abbaulizenzen rechnet die UNMIK mit Einnahmen von 13 Milliarden Euro.
Bodenschätze und Minen sind de jure im Besitz des serbischen Staates bzw. jugoslawischer Kombinate. De facto aber können die rechtmäßigen Besitzer seit dem NATO-Einmarsch im Juni 1999 nicht mehr darüber verfügen. Der investitionshemmende Streit zwischen De-jure-Besitzern und De-facto-Beherrschern wird definitiv erst beseitigt sein, wenn die völkerrechtlichen Ansprüche der Serben auf die Provinz beseitigt sind.
Von Jürgen Elsässer ist gerade das Buch "Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan" (np-buch) erschienen.