Eine Frage des Patriotismus?

USA: Die Demokraten im Sumpf des Wahlkampfes

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Angesichts des Erfolges des demokratischen Mitbewerbers im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur in den USA, Barack Obama, verfällt Hillary Clinton immer mehr in altbekannte Muster des „negative campaigning“, wie es gerade auch von den Republikanern gegen ihren Ehemann, Bill Clinton, betrieben wurde.

Die Wahlkämpfe in den Vereinigten Staaten waren schon immer für die Härte ihrer (verbalen) Auseinandersetzungen bekannt. Lyndon B. Johnson, der demokratische Präsidentschaftskandidat im Jahr 1964, ließ durch seine Wahlkampfkampagne Maßstäbe in punkto „negative campaigning“, also dem „schlecht machen“ des politischen Gegners, setzen.

Als „Daisy Girl“ – „Gänseblümchenmädchen“ – wurde ein Wahlkampfspot bekannt, in dem ein kleines Mädchen auf einer Wiese steht und nacheinander die Blütenblätter eines Gänseblümchens zupft, während es dazu zählt. Bei „neun“ angekommen, blickt es in den Himmel. Daraufhin zoomt die Kamera auf die Augen des Kindes und eine männliche Stimme beginnt einen Countdown, der – als die Pupillen des Mädchens den Bildschirm ausfüllen – in einer nuklearen Explosion endet. Dazu spricht Johnson: „[…] Entweder lieben wir einander, oder wir müssen sterben“.

Wahlspot: Lyndon B. Johnson (Daisy)

Diesem Wahlkampfspot, der 1984 vom Demokraten Walter Mondale erneut aufgegriffen wurde, wird gemeinhin eine entscheidende Rolle im Wahlsieg Johnsons über seinen republikanischen Gegner Barry Goldwater zugeschrieben. Obwohl er lediglich ein einziges Mal ausgestrahlt wurde, war er äußerst kontrovers und gleichzeitig äußerst erfolgreich damit, an die Ängste der Wähler vor einem angeblich nervlich und seelisch instabilen Präsidenten Goldwater zu appellieren.

Alte Muster, neu belebt

Bereits im vergangenen Februar versuchte Hillary Clintons Wahlkampfteam, Barack Obamas außenpolitische Erfahrung (oder seinen Mangel daran) mittels eines TV-Spots zu thematisieren, in dem ebenfalls ein kleines Mädchen eine Rolle spielt: es liegt friedlich schlafend im Bett, während im Hintergrund ein Telefon (im Weißen Haus) zu klingeln beginnt. Eine Stimme erklärt, dass es nun drei Uhr nachts sei und die Kinder im Bett und sicher seien, während eine dringende Krise die Reaktion des Präsidenten erfordere. Anschließend die – wohl eher rhetorische – Frage, wen der Wähler nun im Weißen Haus sehen möchte, um besagten Anruf entgegen zu nehmen. Ob es denn jemand mit (außen-)politischer Erfahrung und guten Kontakten sein solle, der „in einer gefährlichen Welt“ die Führung übernehmen könne?

Wahlspot Hillary Clinton

Die klare Intention dieses TV-Spots, die Fähigkeiten Barack Obamas in Frage zu stellen; vor allem aber der mehr oder weniger subtile Versuch, beim Zuschauer mittels der Sicherheit der (eigenen) Kinder Angst vor einem angeblich unfähigen Kandidat Obama zu schüren, haben Clinton allerdings viel Kritik eingebracht – angesichts der Tatsache, dass sie derartige Wahlkampfmethoden gegen einen „Parteifreund“ nutzt. Auch der Fakt, dass das Kind aus dem Werbespot – nunmehr eine fast achtzehnjährige junge Frau – kurz nach dessen Ausstrahlung in Interviews bekannte, ein Unterstützer Obamas zu sein, mag die Wirkung dieser Wahlwerbung beeinträchtigt haben. Trotzdem wurde die mangelnde Erfahrung Obamas damit natürlich publik gemacht – sozusagen ein „Teilerfolg“.

Berater außer Kontrolle?

Geschürt wurde der hitzige Wahlkampf außerdem von Beratern beider demokratischer Kandidaten: schon im Dezember letzten Jahres musste ein Berater Clintons zurücktreten, da er Obamas Eingeständnis, als Student mit Drogen experimentiert zu haben als Grund anführte, warum die (demokratischen) Wähler Hillary Clinton unterstützen sollten. Es folgten fragwürdige Nazi-Vergleiche und schließlich, Anfang März, der Rücktritt der Clinton-Beraterin Geraldine Ferraro. Sie hatte behauptet, Barack Obamas Erfolg wäre so nicht zustande gekommen, wäre er ein weißer Mann oder eine Frau – angesichts der Tatsache, dass Obama der dritte (!) afroamerikanische Senator seit der Reconstruction-Ära (1865-1877) ist und angesichts der generellen Benachteiligung von Afroamerikanern eine doch sehr kontroverse Aussage, die in ihrer Missverständlichkeit kaum zu überbieten ist.

Doch auch die Reihen von Obamas Beratern haben sich inzwischen gelichtet: Nachdem eine Beraterin Barack Obamas Hillary Clinton als „Monster“ bezeichnet hatte (aufgrund der fragwürdigen Wahlkampfmethoden des Clinton-Teams) und daraufhin von ihrem Posten zurücktreten musste, folgte ein weiterer Berater auf dem Fuße, nachdem er in einer Email unsinnigerweise verlangte, dass Hillary Clinton ihre Aufenthaltsorte in den Zeiträumen preisgeben solle, in denen ihr Ehemann mit Frau Lewinsky im Weißen Haus zu Gange war.

Diese Beispiele zeigen deutlich, wie heftig der innerparteiliche Wahlkampf geführt wird und wie sehr die Mitglieder der beiden demokratischen Wahlkampfteams unter Druck stehen müssen, wenn ihnen derartige Kommentare herausrutschen. Oder aber – setzt man voraus, dass ganz gezielt Berater geopfert werden, um quasi als verbaler „Kamikaze“ bestimmte Aussagen in den Medien unterzubringen – zu welchen Methoden man im Kampf um die Kandidatur greift.

Die Predigt des Reverend Wright

Nun allerdings, nachdem bis dato die Versuche Clintons, mit Hilfe ihrer Reputation als erfahrene Politikerin einen Vorsprung in der parteiinternen Ausscheidung zu erlangen fehlgeschlagen sind, scheint man im Hause Clinton der Meinung zu sein, den richtigen Ansatz gegen Barack Obama gefunden zu haben: seinen angeblichen Mangel an Patriotismus.

Schon die Ehefrau des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain hatte einen Kommentar von Obamas Ehefrau Michelle indirekt kritisiert, in dem diese äußerte, dass sie durch die erfolgreiche Kandidatur ihres Mannes erstmals "wirklich stolz" auf ihr Land sei (Cindy McCain bemerkte daraufhin auf Wahlkampfkundgebungen, sie wäre „schon immer“ stolz auf ihr Land gewesen).

So richtig in Fahrt kamen die Vorwürfe des mangelnden Patriotismus dann aber erst, als eine Predigt des Pastors von Obamas Kirche, Reverend Jeremiah Wright, bekannt wurde. Rev. Wright, bekannt für leidenschaftliche Predigten, hatte zum Thema „Gott und Regierungen“ gesprochen. Darin verurteile er unter anderem die Inanspruchnahme Gottes durch die Regierung Bush, die Rechtfertigung von Kriegen und vom Tod unschuldiger Menschen mittels religiöser Motive als ebenso falsch wie die Instrumentalisierung von Religion durch islamistische Extremisten.

Weiterhin nannte Wright all die hässlichen Aspekte der Vereinigten Staaten, die – insbesondere von konservativen „Patrioten“ – gerne ignoriert werden: die Geschichte von Sklaverei, Rassentrennung, Lynchmorden; die Vertreibung der Ureinwohner, die Inhaftierung von mehr als hunderttausend Amerikanern japanischer Herkunft im zweiten Weltkrieg und immer wieder Beispiele für die Ungleichbehandlung von Afroamerikanern und für den Export von Krieg in alle Welt. Allerdings erwähnte er auch Verschwörungstheorien über die angebliche Verbreitung von Drogen und AIDS durch die US-Regierung . Gemäß des Leitmotivs seiner Predigt – der biblischen Herrschaft des Pontius Pilatus und dessen Scheitern – sprach Wright schließlich vom Scheitern der amerikanischen Regierung. Und dann folgten die entscheidenden Worte:

Die Regierung […] baut größere Gefängnisse, verabschiedet ein ‚three-strike-law’ [Gesetz, nachdem bei mehr als zwei Straftaten i.d. Regel automatisch eine wesentlich längere Haftstrafe verhängt wird; Anm.d.A.] und verlangt dann von uns, „God Bless America“ zu singen. Nein, nein, nein. Nicht „Gott schütze Amerika“. Gott verdamme Amerika! So steht es in der Bibel, für das Töten unschuldiger Menschen. Gott verdamme Amerika dafür, dass man uns Bürger nicht wie Menschen behandelt. Gott verdamme Amerika so lange, wie es versucht zu handeln, als wäre es Gott.

Reaktionen

Barack Obama: 'A More Perfect Union'

Obama, der bei dieser Predigt des Reverend – laut eigener Auskunft – nicht anwesend war, distanzierte sich anschließend klar von den provokanten und in der Art sicher auch fragwürdigen Äußerungen Wrights. Er tat dies allerdings nicht ohne, in einer viel beachteten Rede, auf die sehr realen Grundlagen des Zornes Reverend Wrights und vieler anderer Afroamerikaner einzugehen; mehr noch: In seiner Rede versuchte Obama, den Zuhörern zu erklären, ihnen zu veranschaulichen, dass Rassismus und rassistische Diskriminierung für einen Großteil der Afroamerikaner auch heute noch die Normalität darstellen – trotz aller Fortschritte, die das Land seit Abschaffung der Sklaverei gemacht hat. Es verwundert sicherlich nicht, dass die Reaktionen der amerikanischen Konservativen im vorwiegend republikanischen Lager, aber auch der Mainstream-Medien ganz allgemein, ob der heftigen Ausbrüche des Jeremiah Wright nicht auf sich warten ließen. Wrights Predigt wurde schnell als „Hasspredigt“ eingestuft (übrigens auch von deutschen Medien), obgleich diese Einstufung am Sinngehalt der gesamten Predigt doch etwas vorbei geht.

Andere Kommentatoren fühlten sich genötigt, die Geschichte der Sklaverei in den Vereinigten Staaten zu verteidigen – beispielsweise anhand des Argumentes, es gäbe keinen Grund anzunehmen, die heutigen Nachkommen der afrikanischen Sklaven wären „besser dran, wenn ihre Vorfahren in Afrika geblieben wären.“

Der konservative TV-Sender FOX-News sowie der ehemalige Republikaner Pat Buchanan, später auch andere Kommentatoren, unterstellen dem Pastor Rassismus gegen Weiße. Und obgleich dieser in seiner Predigt auch festgestellt hatte: „[…] die Unterdrücker kommen in allen Hautfarben”, kann man Wright durchaus vorwerfen, im allgemeinen derartige Stereotype vom „typischen Weißen“ zu bedienen.

Wrights Unterstützung des „Nation of Islam“ - Führers Louis Farrakhan, der wiederholt antisemitische und rassistische Kommentare von sich gegeben hatte, heizten die Kontroverse weiter an. Kommentare in Zeitungen wie der Washington Post verlangten eine eindeutige Distanzierung und Ablehnung Barack Obamas gegenüber Farrakhans öffentlicher Befürwortung seiner Person. Trotz dieser Distanzierung wird Obamas Reaktion in dieser Angelegenheit mit Sicherheit noch eine Rolle im weiteren Wahlkampf spielen, vor allem wenn Obama tatsächlich als Kandidat der Demokraten aufgestellt wird. Schließlich sollte Rassismus immer verurteilt werden – egal von wem er ausgeht – und ob Barack Obama hier in den Augen der Wähler überzeugend reagiert hat, wird sich noch zeigen.

Dass bei einem anderen "Prediger-Fall", nach dem "Endorsement" des Reverend Hagee – der ebenfalls sehr fragwürdige, teils antisemitische Kommentare von sich gegeben hatte – nicht annähernd so viel Druck auf McCain ausgeübt wurde, sich davon zu distanzieren, soll hier nur am Rande erwähnt werden.

Die Clintons

So berechenbar die Reaktion konservativer Meinungsmacher auf die Wright-Kontroverse war, so unerwartet kamen hingegen die Reaktionen der Clintons. Zumindest erscheint es doch überraschend, dass Bill Clinton unlängst meinte, ein Präsidentschaftswahlkampf zwischen Hillary Clinton und John McCain würde zwischen zwei Personen stattfinden, die „dieses Land lieben“ ohne „all diese anderen Dinge, die sich bei uns immer in die Politik drängen“.

Wollte Bill Clinton damit den Patriotismus des Barack Obama anzweifeln und damit den Wahlkampf-„Joker“ ziehen? Oder wollte er damit nur auf die Wahrscheinlichkeit hinweisen, dass die Wright-Kontroverse eine Rolle spielen wird, sollte Obama als demokratischer Präsidentschaftskandidat gegen McCain antreten, wie es ein Sprecher der Clinton-Wahlkampftruppe erklärte? Dann aber müsste ein Medienprofi wie Clinton auch wissen, dass seine missverständliche Aussage Futter für den Wahlkampfapparat eines John McCain sein wird – abgesehen davon, dass die Annahme, Hillary Clinton sei vor der Art von Schmutzkampagne gefeit, die einen Kriegsveteran wie John Kerry 2004 um den Sieg brachte, nicht sehr überzeugend wirkt.

Hillary Clinton, die momentan ebenfalls in der Kritik steht, da sie behauptet hatte bei einer Landung in Bosnien 1996 von Heckenschützen beschossen worden zu sein (was sich als falsch herausstellte), nutzte ebenfalls die Gelegenheit und verglich Wrights Predigt etwas unpassend mit den verbalen Ausfällen des Radiomoderators Don Imus, der die größtenteils afroamerikanischen Basketball-Spielerinnen einer Universitätsmannschaft in einem „launigen“ Gespräch mit seinem Produzenten als „nappy-headed hos“, also als „krausköpfige Nutten“ bezeichnet hatte („ho“ ist ein Slangausdruck für „whore“).

Gleichzeitig kritisierte sie die ihrer Meinung nach unzureichende Distanzierung Obamas von Farrakhan. Angesichts der Unterstützung Farrakhans durch ihren Ehemann Bill Clinton, die sie – als New Yorker Senatorin – anscheinend nicht für kritikwürdig befand, eine etwas bigotte Reaktion.

Und nun wiederholt Hillary Clinton seit einigen Tagen unablässig, dass sie an Obamas Stelle sofort die Mitgliedschaft in der Kirche des Reverend Wright beendet hätte. Unter anderem tat sie dies auf einem Redakteurstreffen einer Pittsburgher Zeitung, der Pittsburgh Tribune-Review.

Dies ist nicht irgendeine Zeitung: Sie ist im Besitz des Milliardärs Richard Mellon-Scaife, eines einflussreichen Unterstützers der republikanischen Partei und diverser rechter Think-Tanks, wie der Heritage Foundation und des American Enterprise Institutes. Darüber hinaus war Mellon-Scaife Gründer des Arkansas Project, dessen einziger Zweck es war, Informationen zu produzieren, die Bill Clinton während dessen Präsidentschaft schädigen sollten. Er befand sich somit im logistischen Zentrum der zahlreichen Versuche, Bill Clintons Präsidentschaft vorzeitig zu beenden.

Ende mit Schrecken, oder…?

Man kann sicher davon ausgehen, dass Hillary Clinton – professionell im Umgang mit den Medien, wie sie nun einmal ist – sehr genau wusste mit wem sie sich da an einen Tisch setzte. Auch erscheint es kaum vorstellbar, dass sie nicht damit gerechnet hat, nach der Wright-Kontroverse gefragt zu werden. Damit liefert sie allerdings dem republikanischen Kandidaten McCain eine Steilvorlage für den Fall einer Kandidatur Barack Obamas. McCain bräuchte dann nur die Kommentare der Clintons für sich sprechen lassen. Doch auch im Falle einer Kandidatur Clintons liefert diese Art des parteiinternen Wahlkampfes Munition für die Republikaner.

Und auch wenn ein einigermaßen sauberer Wahlkampf zwischen den beiden demokratischen Bewerbern vielleicht zuviel erwartet war, ist es doch bitter mit anzusehen, dass die republikanischen Schmutzkampagnen der letzten beiden Wahlen inzwischen anscheinend zum Vorbild des Clinton-Wahlkampfes wurden. Die aufgeputschten Unterstützer beider Lager tun dazu ihr Übriges. Vielleicht hat Harry Reid, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, deswegen kürzlich zu Protokoll gegeben, dass das Rennen zwischen den beiden demokratischen Bewerbern um die Kandidatur noch vor dem demokratischen Nominierungsparteitag im August beendet werden sollte.

Im übrigen hat eine Umfrage von NBC News und dem Wall Street Journal in der vergangenen Woche ergeben, dass durch die Wright-Kontroverse bis jetzt nicht die Wähler-Reaktion eingetreten ist, die man im Clinton-Lager vermutlich erhofft hatte: Obama und Clinton liegen bei Demokraten momentan mit 45 % gleichauf. In der Gruppe der weißen Demokraten verlor Clinton in den letzten Wochen vier Prozent, während sie bei einem allgemeinen Vergleich mit McCain zwei Prozent zurück liegt. Barack Obama hingegen führt im direkten Vergleich mit zwei Prozent vor McCain. Allerdings lässt sich jetzt noch nicht wirklich einschätzen, wie viel Wirkung die Kontroverse mittel- und langfristig noch entfalten wird, ist es doch die ständige Wiederholung derselben, die für Obama zum großen Problem werden kann.