Eine Gen-Sequenzvariation bestimmt, wie viel Prügel ein Kind verträgt

und Antidepressiva-Studien mit negativen Ergebnissen werden nicht veröffentlicht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine in der Zeitschrift Psychological Science erschienene Studie1 brachte erstmals Genaueres zum Zusammenhang von genetischen und familiären Risiken bei der Entstehung von Depressionen ans Licht.

Der Psychologe Gerald Haeffel von der University of Notre Dame untersuchte zusammen mit acht Kollegen biologische und kulturelle Indikatoren von Depression anhand von 176 männlichen Insassen eines Jugendgefängnisses in der russischen Region Archangelsk. Die Insassen solcher Anstalten zählen mit Erkrankungsraten zwischen 11 und 33 % zu den Hochrisikogruppen für Depressionen.

Dass ein Zusammenhang zwischen genetischer Anfälligkeit und negativen Kindheitserlebnissen besteht, hatte man in den so genannten Vulnerabilitäts-Stress-Modellen bereits vermutet. Trotzdem beschäftigten sich Studien zu Depressionen bisher oft nur konkurrierend entweder mit Umwelteinflüssen oder mit genetischen Faktoren. Haeffel und seine Kollegen aus Harvard, Yale, Schweden, Norwegen und Russland versuchten dagegen, einen Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren herauszufinden.

Dazu nutzten sie neben Gentests auch strukturierte Diagnosegespräche, mit denen sie zum einen die Krankheit diagnostizieren und zum anderen auch Informationen zu elterlicher Gewalt, Demütigung und anderen Erziehungsmängeln ermitteln konnten. Für eine Bewertung dieser Umwelteinflusses nahmen die Forscher den Score aus dem standardisierten EMBU-Test. Als potentielle genetische Risikofaktoren untersuchten sie drei SNPs des Dopamintransportergens DAT1: rs40184, rs6347 und rs2652511.

Sie kamen zu dem Ergebnis, das keiner der Faktoren allein zu einer vorhersehbaren Depression führt, sondern nur eine Kombination aus elterlicher Ablehnung und einer bestimmten Form des Dopamintransportergens das Risiko beträchtlich erhöht. Dabei gab es vor allem einen Zusammenhang zwischen dem TT-Genotyp der Sequenzvariation rs40184, der bei gleichzeitigen Erziehungsmängeln zu einem signifikant höheren Depressionsrisiko führte. Für Angststörungen konnten die Wissenschaftler dagegen keine entsprechende Korrelation feststellen.

Eine mögliche Konsequenz der Untersuchung wäre, dass über verpflichtende Gentests unmittelbar nach der Geburt nachgedacht und bei einem Aufeinandertreffen von genetischen und sozialen Risiken wesentlich früher und intensiver in die Erziehung eingegriffen (beziehungsweise das Kind aus der Familie herausgenommen) wird.

Gute-Laune-Studien

Spätere Behandlungen von Depressionen sind nicht nur teuer, sondern auch nicht immer vielversprechend. Die Erforschung von Antidepressiva steckt immer noch in den Kinderschuhen – ein Grund dafür ist, dass ihre Durchführung und Finanzierung zu einem großen Teil in die Hände von Pharmakonzernen gelegt wurde, welche jedoch die Offenlegung von Ergebnissen nur höchst selektiv betreiben.

Ein Team um den Mediziner Erick Turner von der Oregon Health & Science University untersuchte für die Fachzeitschrift New England Journal of Medicine den Weg von Studien zur Wirkung von Antidepressiva und fand heraus, dass praktisch nur jene veröffentlicht wurden, deren Ergebnisse potentiell verkaufsfördernd waren. Problematisch an diesem Ergebnis ist nicht nur, dass die Konzerne mit dieser Forschungspraxis staatlich geschützte Monopolrenditen einfahren dürfen, sondern auch, dass Ärzten und Patienten durch diese Praxis möglicherweise lebensrettende Informationen vorenthalten werden – etwa indem das falsche Medikament verschrieben wird.

Das Turner-Team nutzte eine Datenbank der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA und entdeckte, dass von 38 Studien mit positivem Ergebnis alle außer einer veröffentlicht wurden. Allerdings führte fast die Hälfte der insgesamt 74 begonnenen Studien zu insgesamt 12 verschiedenen Antidepressiva – nämlich 36 – zu Ergebnissen, welche potentiell weniger absatzfördernd waren. Von diesen 36 schafften es lediglich drei bis zu einer direkten Veröffentlichung. 11 Studien wurden so verändert, dass der Eindruck entstehen musste, sie seien erfolgreich verlaufen. Die Suche nach den Verantwortlichen für diese Praxis verlor sich allerdings im Zuständigkeitschaos zwischen Autoren, "Sponsoren" und Fachzeitschriften.