Eine Séance mit Boris Groys
Die Gretchenfrage deutscher Medientheorie, was denn ein Medium sei, wird im spiritistischen Sinn neu aufgelegt: Wer ist ein Medium?
Eins muss man ihm schon lassen: der Kunstprofessor Boris Groys meistert sein Medium. Er hat sie gründlich gelernt, die Lektion aus den Valorisierungsleistungen des Kunstbetriebs, und weiß, wie man sich im Gespräch hält. Derzeit dreht sich alles um Medientheorie, nun denn, er liefert Medientheorie - aber was für eine!
Thomas Knöfel vom Supposé-Verlag, der ein wachsendes Theorie-Audioprogramm bietet, hat nach einigen bereits in Buchform publizierten Gesprächen (Medientheorie als Geisterkunde) mit Boris Groys eine neue Audio-CD Im Namen des Mediums gemacht. Dem textuellen Publikationsritual wird eine performative Authentizität im gesprochenen Dialog entgegengestellt. Sie ist nur dadurch gebrochen, dass die Stimme des Fragestellers herausgeschnitten wurde. Somit wird das Ganze zur exklusiven Séance mit dem Meister, der konsequent vorführt, was es heißt, sich der Botschaft der (Medien-)Welt auszusetzen - manipuliert zu werden und die Stimme des Jenseits, die Sprache irgendeines Anderen zu sein, oder in reflexiver Überbietung zum Medium des Mediums zu werden.
Groys phantasiert über eine ungewöhnliche medientheoretische Traditionslinie: Sie führt ins 19. Jahrhundert, zum Esoteriker Allan Kardec und damit zu einem spiritistischen Medienbegriff, in dem ein sensibler Mensch (das "Medium") zum Sprachrohr für fremde Geister wird. Der französische Professor Hippolyte Rivail (1804-1869), wie Kardec vor seiner Hinwendung zur Parapsychologie hieß, hat sich in seinem "Buch der Medien" einst darüber verbreitet, dass man diesen geisterhaften Stimmen nicht immer Glauben schenken dürfe, weil die niedrigen Geister die Stimmen der hohen übertönen, die eigene von der fremden Stimme nicht mehr unterscheidbar ist, usw.
Und nun sagt Boris Groys: Das ist es! Auch heute sind wir von all diesen geisterhaften Stimmen umgeben! Wir können und dürfen ihnen nicht glauben! Die Dateien, die wir im Internet abrufen, könnten korrupt sein! Ebenso wie niedere Geister, welche die höheren Stimmen verzerren und die der ständigen Beschwörung bedürfen, um auch nur irgend eines ihrer Geheimnisse preiszugeben. Eine authentische Botschaft gibt es nicht. Wir leben jenseits der Aufklärung und haben nicht mehr oder weniger Wahrheitsanspruch als die Mitglieder einer spiritistischen Séance. Forget McLuhan! Die Technik ist gar nichts, der Geist des submedialen Raums ist alles.
Nun gut, es gibt auch heute tatsächlich noch Menschen, die sich in diesem Sinn zum Medium einer Wahrheit machen, die sie dann meinen, in die Welt hinein tragen zu müssen: Avantgarde-Künstler beispielsweise, die ständig neue Vergleichsräume öffnen. Oder, im gleichen Atemzug mit diesen von Groys genannt, islamistische Selbstmordattentäter. Und tatsächlich ist es eine Grundfrage der menschlichen Existenz, ob man sich als Subjekt versteht, beispielsweise im Sinn eines Autors, oder eben "nur" als Medium einer anderen Botschaft, für die man sich gerade auch im fundamentalistischen Sinn einer medialen Wahrhaftigkeit entschieden hat. Diese "Medien" sind scheinbar auf der Suche nach etwas, das nur im Extrem, nur in der Überspanntheit zum Ausdruck findet.
Groys unterscheidet (vgl. "Unter Verdacht", München 2000) zwischen dem Medium des Gebrauchs (seiner Oberfläche) und dem "Wesen" des Mediums, das uns verborgen bleibt (das Submediale). Er selbst macht sich gern zum Medium des Mediums, wenn er davon spricht. Da er auf das geisterhafte Wesen zielt, behauptet er das notwendige Scheitern einer bei der Technik ansetzenden Medientheorie.
Dagegen wird man einwenden, dass es im Fall des terroristischen Sprengstoffs und der künstlerischen Installation eine sehr klare Trennlinie und eine sehr klare Botschaft gibt, die vor allem auf der physikalischen Ebene technisch zum Ausdruck gebracht wird. Nun denn, entweder überbietet Groys sich selbst, wenn er statt als Metaphysiker (der behauptet ein Phänomenologe zu sein) jetzt als Parapsychologe auftritt. Oder aber er betreibt seine eigene Medialisierung als einen "practical Joke", der allerdings performativ mit dem Anspruch auftritt, dass hier "eigentliche" Medientheorie betrieben werde.
Vor dem, was auf technischer Ebene schon seit einiger Zeit vor sich geht, kapituliert dieser Ansatz auf voller Länge. Medien vom "Menschen" oder von einem "Geist" her zu begreifen ist die Haltung, gegen die Medientheorie seit McLuhan vehement aufgetreten ist. Dessen Botschaft war, dass das Medium die Botschaft sei - was nichts anderes heißt, als dass die mediale Technik die Inhalte überformt, und wir vor dieser Technik die Augen nicht verschließen sollten, um sie einfach als Black Box weiter funktionieren zu lassen. Die "Haltung des technischen Dummkopfs" (McLuhan) war stets ein Merkmal des Kulturkonservativismus. Konsequent zeigt sich bei Groys immer dann, wenn er auf eine profane technische Medienwirklichkeit außerhalb seiner geheiligten Hallen der Kunst, also zum Beispiel "das Internet", zu sprechen kommt, das blanke Unverständnis.
Wer spricht da wirklich? Die Stimme, die sich hier im Namen des Mediums Gehör verschafft, spricht für den Geist, den man mit Medientheorie zugunsten von Technik und Berechenbarkeit einst auszutreiben glaubte. Ob diese spiritistische Anstiftung so gut ist, bleibe dahingestellt. Ob sie denn auch gelingt, beantwortet die Stimme aber gleich selbst: mit jenem süffisant-ironischen Unterton, der sich im gedruckten Text viel leichter unterschlagen lässt.