Eine Serie von Pharma-Fehlschlägen
Erst Vioxx, dann Celebrex und schliesslich Bextra: COX-2-Inhibitoren auf der Abschussrampe?
Vioxx, ein Produkt von Merck & Co., Inc., gehörte zu den "Blockbustern" der Pharmaindustrie. 2,5 Milliarden US-Dollar spielte die Substanz der Firma im vergangen Jahr ein. Am 30. September 2004 war Schluss mit dem Erfolg: Merck & Co. nahmen Vioxx vom Markt, nachdem mit ihrem Medikament allein in den USA weitaus mehr Menschen an den Folgen von Herzinfarkt oder Schlaganfall verstorben waren als während des gemeinen Anschlags in New York am 11.9.2001.
Inzwischen gehört Celebrex von Pfizer Inc. zu den nächsten Anwärtern auf der Abschussrampe. So wie Vioxx ist Celebrex ein COX-2-Inhibitor, der der Firma allein in diesem Jahr 3,3 Milliarden US-Dollar einbrachte. Dank seiner ähnlichen Wirkung konnte er zunächst einen erheblichen Teil der Patienten von Vioxx "übernehmen".
So erfreulich dieses Phänomen war, so alamierend war eine Studie vom National Cancer Institute: Herzinfarkt und Schlaganfall häuften sich bei Patienten, die Celebrex oder Vioxx wegen Dickdarmkrebs oder zur Vermeidung von Polypen über mehr als ein Jahr einnahmen. Ernest Hawk, Leiter der Gastrointestinalen Arbeitsgruppe beim National Cancer Institute berichtet in der vom NCI initiierten Studie über das 2,5-fache Risiko unter 400 mg Celebrex und bei 800 mg gar das 3,4-fache im Vergleich zu den unbehandelten Gruppen. Daraufhin ließ Elias A. Zerhouni, der Leiter vom National Cancer Institute, unverzüglich die Studie beenden. Ferner fordert er seine Mitarbeiter auf, weitere 40 Studien an Tumorpatienten zu überprüfen, um gegebenenfalls auch deren Ende einzuläuten.
Dabei handelt es sich beileibe nicht um die Masse der Benutzer von Celebrex. Die Arthritis, also Gelenkschmerzen im Alter, gehören zu den bevorzugten Erkrankungen, die mit den COX-2-Inhibitoren behandelt werden. Inzwischen kommen noch weitere Schmerzen hinzu, sei es bei der chronisch verlaufenden Osteoporose, seien es Wehwehchen wie die Überbelastung von Gelenken oder Sehnen - etwa beim Sport.
Was ist ein COX-2-Hemmer?
In den frühen 90iger Jahren hatten Harvey R. Herschman und Kollegen von der kalifornischen Universität in Los Angeles verschiedene Gene analysiert, die mit Krebs in Verbindung stehen. Dabei wurde ein Gen bekannt, das für das Enzym "Cyclooxygenase" (COX) von elementarer Bedeutung ist. Dieses Gen initiiert ein Enzym, COX-1, das vor allem den Magen-Darm-Trakt schützt und verhindert, dass sich Geschwüre ausbilden. Daneben gibt es ein zweites Enzym, COX-2, das vorzugsweise während einer Entzündung gebildet wird. Wenn, so die Theorie, eine selektive Blockade von COX-2 erfolgt, werden die Schmerzen genommen ohne dabei Magengeschwüre (dank COX-1) hervorzurufen.
Unter diesem Gesichtspunkt suchte und fand Philip Needleman, damals bei Monsanto, einen Hemmstoff des COX-2-Enzyms, nämlich Celecoxib, der Freiname für das spätere Celebrex. Monsantos Arzneimittelabteilung lag nämlich zunächst bei Searle, das wiederum nach dem Aufkauf von Pharmacia zu Pfizer Inc. gehört.
Am Anfang stand die Behauptung, COX-2-Inhibitoren verhindern Magen- und Dünndarmblutungen und sind damit allen bisherigen Schmerzmitteln überlegen. Die Vermutung, dass Celebrex keine Blutungen im Magen-Darm-Trakt verursacht, bestätigten sich nicht. Gleichwohl gaben sie der Food and Drug Adminstration die Handhabe, die Substanz schneller als üblich zu bearbeiten und zuzulassen. Für Celebrex, Bextra und ebenso für Vioxx wurde die Einschränkung ordnungsgemäß festgehalten und in die Begleitzettel aufgenommen. Dennoch: Trotz des Makels war der Weg frei zur allumfassenden Schmerztherapie.
So wurde mit enormen Werbeaufwand Celebrex als "das Mittel" gegen Schmerzen angepriesen. Waren es im Vorjahr 46 Millionen US-Dollar, nahm der Werbeaufwand in diesem Jahr auf 71 Millionen US-Dollar zu. Für ein Medikament eine ungewöhnliche Summe. Dafür mussten die Protagonisten laufen, Fahrradfahren oder kleinen Kindern nacheifern: bei gesundem Outfit und ohne Hinweis auf eine der üblicherweise verunstaltenden arthritischen Veränderungen. Innerhalb von 1-2 Jahren hatte sich der Benutzerkreis erheblich verändert: Mehr als 40 Prozent der Patienten mit Schmerzen nahmen Celebrex oder die firmeneigene Weiterentwicklung Bextra, während Ibuprofen, in den USA lange Zeit das Standardmedikament, entsprechend ausgedünnt wurde. Ganz zu schweigen von Acetaminophen, Aspirin, Diclofenac, Naproxen oder anderen, die zu Centpreisen frei angeboten werden.
Seit etwa 26 Millionen Menschen weltweit Celebrex einnahmen, häuften sich die Erfahrungen von Nebenwirkungen. "Health Canada", die kanadische Gesundheitsbehörde, hat deshalb klargestellt, dass "ein Mangel an publizierten Daten über die Sicherheit der Einnahme von selektiven COX-2-Inhibitoren besteht, die mehr als ein Jahr eingenommen werden". Dazu zählt Celebrex, Bextra und Mobicox. Nach den bisher vorliegenden Untersuchungen besteht ein kardiovaskuläres Risiko speziell bei Patienten mit hohem Blutdruck, hohem Cholesterinspiegel, Diabetes mellitus oder bei Rauchern. Ferner wird die Behandlung der Familiären adenomatösen Polyposis mit Celebrex mit sofortiger Wirkung ausgesetzt.
Natürlich fehlt es nicht an Gegenstimmen, die dem Verbot von Celebrex, Bextra oder anderen COX-2-Inhibitoren widersprechen. "Es ist ein wirksames Medikament und kein Plazebo und deshalb gerechtfertigt" erklärt Elizabeth Tindall, Präsidentin des American College of Rheumatology.
Nachdem die Food and Drug Administration in den letzten Wochen zunehmend kritisiert wurde, gab Senator Charles E. Grassley (R-Iowa) zu bedenken, dass eine unabhängige Kommission wie der Ausschuss zu den Vorgängen um den 11. September 2001 gebildet werden müsse.
Die Food and Drug Adminstration hat bisher zwar eine gute Reputation aufgebaut. Dennoch haben sich erhebliche Fehler eingeschlichen. Damit sind Leben aufs Spiel gesetzt worden oder verloren gegangen.
Waren es im Jahr 1996 noch 53 neue Medikamente, die von der FDA zugelassen wurden, ist diese Zahl im Jahr 2003 mit 21 Medikamenten drastisch rückläufig, obwohl die Pharmaindustrie eine enorme Summe (zur Zeit 33 Milliarden US-Dollar) für Forschung und Entwicklung aufbringt. Bei solchen Summen drängt sich ein Verdacht auf: Wo bleiben unabhängige Untersucher, die sich gegen die Industrie behaupten können?