Eine ganz große Koalition verurteilt die Israel-Boykott-Kampagne
Eine Auseinandersetzung mit Antizionismus und Antisemitismus sollte geführt werden, aber bitte nicht im Sinne der Staatsräson
Mit großer Mehrheit hat der Bundestags in einer fraktionsübergreifenden Resolution die BDS-Bewegung verurteilt, die mit einem Boykott Israel seit 15 Jahren politisch, wirtschaftlich, kulturell und wissenschaftlich isolieren will. CDU, CSU, FDP, SPD sowie große Teile der Grünen unterstützten den Beschluss. Dagegen stimmten weite Teile der Linken und Teile der Grünen. Die AfD enthielt sich ebenso wie Teile von Grünen und Linken. Wenn es nach der AfD gegangen wäre, wäre die BDS-Kampagne vollständig verboten worden.
AfD für Verbot der BDS-Bewegung
Unter dem Titel "BDS-Bewegung verurteilen - Existenz des Staates Israels schützen" fordern die Rechtsnationalisten unter anderem:
1. Die BDS-Bewegung bundesweit, zum Beispiel auf dem Wege des Vereinsrechtes, zu verbieten;
2. mit der israelischen Regierung Konsultationen zur gemeinsamen Bekämpfung des Antisemitismus jedweder Ausprägung zu initiieren;
3. sich zur Verantwortung für das Unrecht zu bekennen, dass jüdischen Siedlern in Palästina durch arabische Boykottaufrufe in Zusammenarbeit und im Zusammenhang mit der Herrschaft des Nationalsozialismus angetan wurde.
Aus AfD-Antrag zur BDS-Bewegung
Hier zeigt sich die neue Linie der Rechtsnationalisten fast aller EU-Länder. Sie stellen sich scheinbar besonders demonstrativ hinter Israel, das sie als Bollwerk gegen den Islam feiern. Deswegen sind sie allerdings weiterhin antisemitisch; nicht auf Israel, sondern auf den Investor und Philanthropen George Soros projizieren sie ihren Antisemitismus, der sich gegen Kosmopoliten, Bankiers und Juden richtet, die in Israel nicht ihre Heimstatt sehen. Das große Vorbild der EU-Rechten, der ungarische Ministerpräsident Victor Orban, macht vor, wie man heute ein großer Freund Israels sein und trotzdem antisemitisch grundierte Kampagnen gegen Soros initiieren und Antisemiten und NS-Verbündete ehren kann.
Bei Linken und Grünen war die Positionierung zur BDS-Kampagne umstritten. So kritisierte der langjährige Politiker der Grünen Jürgen Trittin repressive Elemente gegen die BDS-Bewegung in einem Taz-Interview.
Laut Bundestagsbeschluss sind die "Methoden der BDS-Bewegung antisemitisch" …
Jürgen Trittin: Schon die Überschrift insinuiert BDS und Antisemitismus als gleich. Zudem sollen Kommunen hierzulande BDS oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgen, keine Räume mehr zu Verfügung stellen. Das hatte in München den bizarren Effekt, dass sogar eine Debatte über dieses Verbot nicht in städtischen Räumen stattfinden durfte. Dazu passt, dass in dem Bundestagsantrag auch ein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit fehlt.
Also wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt?
Jürgen Trittin: Nehmen Sie den Fall des Journalisten Andreas Zumach, dem wegen vermeintlicher Nähe zu BDS Räume für eine Veranstaltung verweigert wurden. Es gibt ein Klima der Einschüchterung gegenüber Kritikern der israelischen Besatzungspolitik. Auch solche, die sich seit Jahrzehnten für die deutsch-israelische Aussöhnung eingesetzt haben, werden als Antisemiten angegriffen. Da fehlt dem Antrag die nötige Differenzierung.
Der Stefan Reinecke unterstützte Trittins Argumentation in einem Kommentar:
Ein gutes Dutzend besonnener grüner Parlamentarier fürchtet, dass der Beschluss "weite Teile der palästinensischen Zivilbevölkerung, aber auch vereinzelte israelische Initiativen, die sich gewaltfrei für ein Ende der völkerrechtswidrigen Besetzung einsetzen und vor diesem Hintergrund BDS unterstützen, in die antisemitische Ecke" stellt, wie es in einer Erklärung von Jürgen Trittin, Claudia Roth und anderen heißt. Doch diese Zweifel stießen leider auf taube Ohren.
Stefan Reinecke, Taz
Dass der deutsche Bundestag mit seinen Beschluss vielleicht dafür sorgt, dass regierungskritische Israels in Deutschland in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, befürchtete schon vorher der Soziologe Micha Brumlik und mahnte Aufklärung statt Kontaktschuld an. Dabei ist Brumlik durchaus ein BDS-Kritiker.
Christliche Institutionen und Ford-Fundation als Finanziers der BDS-Kampagne
Dafür gibt es auch Grund, wie die Publizistin Jutta Ditfurth in einer bundesweiten Vortragsreihe überzeugend darlegte. Dort stellte sie Rechercheergebnisse vor, die im Herbst in einem neuen Buch veröffentlicht werden sollen. Dort hat Ditfurth auch die Geschichte der BDS-Kampagne erkundet.
Es war nicht die palästinensische Zivilgesellschaft, sondern das weltweite NGO-Treffen im südafrikanischen Durban, das im August 2001 den Startschuss für die BDS-Kampagne gab. Auf dem Treffen agierten einige NGOs mit klar antisemitischer Agenda. Zu den Finanziers der BDS-Kampagne gehörten nach Ditfurths Recherche neben der Ford-Fundation, die wohl inzwischen ausgestiegen ist, diverse christliche Institutionen.
Dabei dürfte durchaus auch ein christlich geprägter Antijudaismus eine Rolle spielen. So führte Ditfurth Beispiele eines Theologen auf, der die Palästinenser heute mit den gekreuzigten Jesus vergleicht. Die antisemitische Mär von den Juden, die Schuld am Tod von Jesus sind, prägte sämtliche christlichen Kirchen. So überzeugend die Argumente sind, die Ditfurth gegen die BDS-Kampagne zusammengetragen hat, so bedauerlich ist, dass sie nicht stärker differenziert zwischen den einzelnen Protagonisten, die die BDS-Kampagne unterstützen. Die sind durchaus unterschiedlich und nicht alle beabsichtigen damit eine Zerstörung Israels.
Enttäuscht zeigte sich Ditfurth beispielsweise über den in Israel lehrenden Wissenschaftler Moshe Zuckermann, von dem sie nach eigenen Angaben lange Zeit politisch viel gehalten hat. Tatsächlich hat sich Zuckermann vom Kritiker des Antisemitismus in Deutschland zu einem vehementen Kritiker der israelischen Politik entwickelt, manchmal hat es den Anschein, er mache kaum noch einen Unterschied zwischen der Politik und dem Staat Israels insgesamt.
So wurde Zuckermann tatsächlich zu einem Stichwortgeber für Antizionisten aller Couleur. Doch diese Entwicklung ist nicht unbekannt. Dazu gibt es in der Reihe Konkret-Texte sogar eine Schrift von Hermann L. Gremlitza, Thomas Ebermann und Volker Weiß.
Warum unterstützen viele linke Intellektuelle die BDS-Kampagne?
Hier könnte man auch einige Antworten auf die Frage finden, warum kritische israelische Wissenschaftler, die angesichts des Rechtsrucks in Israel kaum noch Möglichkeiten für Veränderungen sehen, mittlerweile im Bündnis mit radikalen Antizionisten stehen. So wie Zuckermann wäre auch bei anderen bekannten Protagonisten der BDS-Bewegung zu fragen, wieso sie sich so positionieren. Dass bedeutet nicht, die BDS-Kampagne zu unterstützen, aber es ist sinnvoll zu verstehen, warum viele marginalisierte Linke und Linksintellektuelle sie unterstützen. Es wäre zu kurz gegriffen, hier nur von Antisemitismus zu reden.
In ihrer Biographie über Ulrike Meinhof gab Jutta Ditfurth ein gutes Beispiel für eine produktive Auseinandersetzung. Natürlich ging sie auf die fatale RAF-Erklärung zum Attentat des Schwarzen September auf israelische Sportler in München 1972 ein, die Meinhof zugeschrieben wird. Aber sie begnügte sich nicht, das Pamphlet zu kritisieren. Sie bezeichnete Meinhof vor allem nicht als Antisemitin. Sondern sie zeigte auf, dass sie in den 1960er Jahren als Konkret-Kolumnistin Texte wie "Drei Freunde Israels" veröffetnlicht hat, über den der israelsolidarische Ca Ira-Verlag 1990 schrieb:
1967 war es der (Neuen) Linken noch möglich, Israel seiner Funktion wegen zu kritisieren ohne sein Existenzrecht zu negieren. Von heute her fällt vor allem die unverkrampfte Haltung auf, mit der Meinhof ihre Argumente entwickelt. Zwanglos souffliert sie die Kategorien marxistischer Politökonomie mit militantem Humanismus und radikalem historischen Eingedenken. Der internationalistischen Linken verstand es sich von selbst, dass der Staat Israel weniger aus der Perspektive Theodor Herzls sich erklärt als vielmehr aus der Vernichtungspolitik Adolf Hitlers, dass also Israel weniger ein "zionistisches Staatengebilde" ist, sondern allererst ein Asyl der Davongekommenen und Überlebenden. Israel wurde von Auschwitz her begriffen, nicht vom Basler Zionistenkongress. Wenige Jahre später war dieser ebenso radikale wie nüchterne Standpunkt vergessen, als wäre er nie gewesen. Unter dem zunehmenden und selbsterzeugten Zwang, politische Identität ausbilden zu wollen, machte sich soziale und historische Amnesie breit. Heute hat die revolutionär sich gebärdende geschichtslose Unschuld an Israel einen neuen Universalfeind gefunden und am "Zionismus" einen ideologischen Passepartout.
ISF, Meinhof, Stalin und die Juden, aus: ISF, Ende des Sozialismus, ça ira 1990
1964 traf sich die Konkret-Kolumnistin Ulrike Meinhof mit dem Shoah-Überlenden Marcel Reich Ranicki, der über die Begegnung in seiner Biographie "Mein Leben" schrieb:
Die Journalistin, die später Terroristin wurde, sei die erste Deutsche gewesen, die mit ihm über seine Erlebnisse im Warschauer Ghetto reden wollte. Nachdem sie gehört hatte, wie die Deutschen mit den Juden umgesprungen waren, habe sie "Tränen in den Augen" gehabt.
Die Welt, Meinhofs Tränen
Statt Meinhof wegen des Text zum Schwarzen September als Antisemitin zu titulieren, wäre es doch interessanter zu fragen, wie es kam, dass die Frau, die 1964 noch über das Schicksal der Juden weinte, die 1967 einen noch heute aktuellen Text zu Israel und seinen Freunden verfasste, 1972 ein solches geschichtsvergessenes Pamphlet zu verantworten hatte. Daraus könnte eine produktive Diskussion entstehen.
Auf die Diskussion über die BDS-Kampagne angewandt, hieße das zu fragen, warum sie in den unterschiedlichen Ländern Zustimmung findet und warum auch einige der marginalisierten israelischen Linken diese Kampagne unterstützen. Eine solche Diskussion ist auf jeden Fall sinnvoller, als wenn sich Linke mit an die Politik der deutschen Staatsräson hängen und in einer Koalition fast aller Parteien den politischen Alltag weiter reglementieren.
Eine Auseinandersetzung mit regressiven Antizionismus und Antisemitismus auch in der Linken sollte geführt werden, aber bitte ohne Unterstützung von Staatsapparaten. Schon deshalb, weil es nicht der Sinn eines Kampfes gegen jeden Antisemitismus sein kann, linke Jüdinnen und Juden in Deutschland zu reglementieren.
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