Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Sorge vor Verschärfung des Pflegenotstands

Das Gesetz steht zur Verlängerung an. Spitzenverbände im Gesundheitswesen und Politiker argumentieren dagegen. Begründungen: Mangel an Pflegepersonal, das Fehlen einer allgemeinen Impfpflicht und Zweifel am Fremdschutz der Impfung.

Auch die Krankenhäuser in Deutschland stehen vor einem schwierigen Winter. Es fehlt ihnen an Personal. Die Intensivbetten, die Betreuung brauchen, werden rar. "Letztendlich ist es so, dass die Ausgangslage schlechter ist als vor zwei Jahren, wenn Sie sich die Intensivbetten anschauen", sagte heute Morgen, Andreas Botzlar, der zweite Vorsitzende des Marburger Bundes, dem Bayerischen Rundfunk.

System "Richtung Zahnfleisch" geschickt

Das Problem sei nicht lokal oder regional, sondern allgemein. Das System sei seit vielen Jahren "Richtung Zahnfleisch" geschickt worden, so der Chirurg und Oberarzt an der Unfallklinik Murnau. Das habe zu einer Ausgangslage geführt, dass man nicht mehr imstande sei, "irgendwelche Belastungen, die über das Normalmaß hinausgehen, abzufangen".

Man habe zwar viel Geld ausgegeben, um die Zahl der Intensivbetten vermehren, doch stehen weniger zur Verfügung als vor zwei Jahren, "wenn Sie auf jene Betten schauen, die tatsächlich betrieben werden können". Es gehe nicht nur um das technische Equipment, sondern auch um das dafür notwendige geschulte Personal. Das Problem bestehe "landauf, landab in allen Krankenhäusern". Es gebe einen Ärztemangel, aber einen noch viel größeren Pflegepersonalmangel.

Wesentlicher Grund für den Personalmangel ist die Überlastung des Personals und der Mangel an Nachwuchs, wie aus vielen Klagen hervorgeht. Dem zu entgegnen, brauche es Jahre, so der Mediziner.

Zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht wurde Botzlar im BR-Interview nicht befragt. Der Zusammenhang ist jedoch naheliegend, wie Äußerungen aus der Politik und von Spitzenverbänden zeigen.

So argumentiert etwa Sachsens Sozialministerin Petra Köpping gegen eine Verlängerung der sogenannten Sektor-Impfpflicht im Gesundheitswesen. Der MDR zitiert sie damit, dass sie "Menschen mit einer Impfpflicht im Gesundheitswesen nicht länger verunsichern" wolle.

Eine Fortführung der Impfpflicht sei mit Blick auf die Versorgungssicherheit und den Verwaltungsaufwand nicht zu rechtfertigen:

"Wir brauchen jede Pflegekraft, um die Menschen bestmöglich zu versorgen. Das hat für mich oberste Priorität."

Seit März müssen Mitarbeiter in Gesundheitsberufen eine Impfung gegen Covid-19 nachweisen, die Regelung ist derzeit bis Ende dieses Jahres befristet. Vor zwei Tagen kamen Spitzenverbände bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags zu Wort. Thema war der Austausch von Argumenten für und gegen eine Verlängerung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.

Mehrere Spitzenverbände sprachen sich dagegen aus. Unter ihnen die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (DbfK), die mit verschiedenen Begründungen gegen die Verlängerung argumentierten.

Lauterbach: Herbst- und Winterwelle abwarten

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wird in den Bundesländern und den zuständigen Gesundheitsämtern unterschiedlich verfolgt, Betretungsverbote für ungeimpfte Mitarbeiter werden nur in Ausnahmefällen ausgesprochen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ließ im Bundestag offen, ob es eine Verlängerung geben wird:

Wir werden von dem Verlauf der Herbst- und Winterwelle abhängig machen, wie wir mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht umgehen.

Ebenso deutlich wie Sachsens Sozialministerin Petra Köpping spricht sich der DbfK in einer Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Bundestages für eine Aufhebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht aus. Die Maßnahme könne ohne allgemeine Impfpflicht keine Wirkung erzielen.

"Mit der öffentlichen Diskussion über eine angebliche mangelhafte Umsetzung wurde vor allem der desolate Personalstand in der Pflege verschleiert", heißt es in der Stellungnahme des Verbandes, der darauf hinweist, dass ein Großteil der Pflegefachpersonen in der Akutpflege und in der Langzeitpflege geimpft seien.

Beschränkte Impfwirkung

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert die sofortige Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Die Argumente, dass die Impfung vor einer Infektion und einer Übertragung mit Viren schützt, müssten als hinfällig betrachtet werden. Mögliche Tätigkeitsverbote seien vor diesem Hintergrund nur schwer vorstellbar.

"Insbesondere den in den Krankenhäusern Beschäftigten ist es nicht vermittelbar, warum sie zur Impfung verpflichtet und ansonsten mit Tätigkeitsverboten belegt werden, während die von ihnen betreuten Patientinnen und Patienten von diesen Regelungen nicht erfasst werden", heißt es in der Stellungnahme.

Die Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung wiederum fassen ihre umfangreiche Stellungnahme zum Thema wie folgt zusammen: "Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist aus wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht nicht haltbar."

Die Impfung biete keinen Fremdschutz, keinen nachhaltigen Selbstschutz und sie habe erhebliche Nebenwirkungen. Der Bundesverband der Seniorenorganisationen hingegen schätzt die Maßnahme in seiner Stellungnahme für den Ausschuss als Erfolg ein und verweist auf die gestiegene Impfquote.

Urteil zur Impfpflicht bei der Bundeswehr

Auch für Soldaten der Bundeswehr gilt eine Impfpflicht, die im Juli vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde. Diese Woche wurde allerdings ein Beschluss des Truppendienstgerichts Süd in Erfurt bekannt, das eine Disziplinarstrafe gegen einen ungeimpften Soldaten ausgesetzt hat. Der Beschluss nebst Begründung ist im Internet auf verschiedenen Websites zu finden, die Echtheit ist vom Gericht bestätigt worden.

In der Begründung wird unter anderem auf die möglichen Nebenwirkungen der Impfung hingewiesen. Ein Rechtsanwalt nannte den Richter, der das Urteil fällte, in einem Gastbeitrag auf Legal Times Online einen Querdenker und stellte die Frage, "wie das Spannungsverhältnis von richterlicher Unabhängigkeit und Rechtsbindung im Falle von Querdenker-Richtern langfristig aufgelöst werden kann".

Der Beitrag erscheint in Kooperation mit Hindergrund.de.