Einsatz von US-Atombomben durch Bundeswehr rechtlich fragwürdig
75 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki: Berlin verteidigt nukleare Teilhabe der Nato. Internes Dokument verbietet Atomangriff jedoch
Die Bundesregierung macht eigenen Soldaten offenbar widersprüchliche Vorgaben zum Einsatz von Nuklearwaffen im Zuge der nuklearen Teilhabe der Nato. Zugleich hat sie keine Entscheidungsbefugnis über US-amerikanische Atombomben, die in Deutschland stationiert sind.
Das geht aus den Antworten des Verteidigungsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die Telepolis vorliegen. Die Linken hatten angesichts des Teilabzugs von US-Truppen aus Deutschland und kurz vor dem 75. Jahrestag der Atombombeneinsätze auf Japan mehrfach den Abzug der US-Nuklearwaffen aus Deutschland gefordert.
Definiert werden die Regeln zum Einsatz nuklearer Waffen in der sogenannten Zentralen Dienstvorschrift A-2141/1 des Verteidigungsministeriums. Darin wird der Einsatz von Atomwaffen durch die Bundeswehr im Zuge der nuklearen Teilhabe nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Der Einsatz von Nuklearwaffen müsse lediglich "mit den Erfordernissen des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts in Einklang stehen", heißt es in dem Dokument. Die Auswahl der Waffen erfolge "im jeweiligen Einzelfall nach dem Grundsatz militärischer Notwendigkeit und unter Beachtung der anwendbaren Bestimmungen des humanitären Völkerrechts", führte das Verteidigungsministerium in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage aus.
Diese Formulierungen stehen jedoch in direktem Widerspruch zu einer sogenannten Taschenkarte für Bundeswehrsoldaten aus dem Jahr 2008. Darin sind die wichtigsten Regeln der Dienstvorschrift zusammengefasst. In der damaligen Version der Taschenkarte, die das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit veröffentlicht hat, heißt es unter "Kampfmittel und Kampfmethoden" unmissverständlich:
Insbesondere der Einsatz folgender Kampfmittel ist deutschen Soldaten bzw. Soldatinnen in bewaffneten Konflikten verboten: (...) atomare Waffen.
Taschenkarte für Bundeswehrsoldaten
Ob dieses explizite Verbot auch in der aktuellen Taschenkarte oder Ausbildungshilfen beibehalten wurde, ist unklar - eine Anfrage von Telepolis dazu soll vom Verteidigungsministerium noch beantwortet werden.
Die Rechtslage für deutsche Militärs bei einem möglichen Einsatz von US-Atomwaffen ist damit unklar. Dies betrifft unmittelbar das Konzept der nuklearen Teilhabe, das während des Kalten Kriegs entwickelt wurde, als sich Warschauer Pakt und Nato gegenüberstanden. Vor allem die USA wollten mit der nuklearen Teilhabe ihre Sicherheitsgarantien für Westeuropa bekräftigen.
Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg führt dazu aus:
"Seitdem hält die Bundeswehr Kampfjets bereit, die in der Lage sind, (US-)amerikanische Atombomben zu transportieren und im Ernstfall auch abzuwerfen."
Da die Tornado-Jet-Flotte der Bundeswehr kaum mehr einsatzbereit ist, hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer den Kauf von 45 US-Kampfjets des Typs F-18 zugesagt, die Kosten dafür würden sich schätzungsweise auf acht Milliarden US-Dollar belaufen.
Die nukleare Teilhabe der Nato scheint sicherheitspolitisch noch aus einem anderen Grund fragwürdig. So bestätigt die Bundesregierung, dass alleine US-Präsident Donald Trump die Befehlsgewalt über US-Atomwaffen hat - also auch über schätzungsweise 20 Atombomben, die auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz zum Einsatz bereitstehen. Die "Nukleare Planungsgruppe" der Nato, bei der über die Atomwaffenstrategie des Bündnisses diskutiert wird, hat damit nur einen nachrangigen Status.
Nach Angaben der Bundesregierung sollen dennoch "sämtliche Entscheidungen bezüglich der nuklearen Teilhabe in enger Abstimmung mit den Bündnispartnern in den dafür verantwortlichen Gremien getroffen" werden. Zugleich bleibe die Bundesregierung "dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt in Frieden und Sicherheit weiter verpflichtet".
Kritik daran übte Sevim Dagdelen, die für die Linke im Auswärtigen Ausschuss sitzt und die Kleine Anfrage eingereicht hat. Gegenüber Telepolis sagte sie:
"Der Jahrestag von Hiroshima muss von der Bundesregierung genutzt werden, um den Einsatz von Atomwaffen auch nach Freigabe durch den US-Präsidenten auszuschließen."
Es sei höchste Zeit, Massenvernichtungswaffen eine klare Absage zu erteilen, sich von der nuklearen Teilhabe zu verabschieden und den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen, so Dagdelen weiter. Damit würde sich Deutschland dem Vorbild Islands, Dänemarks, Norwegens und Spaniens anschließen, die nie Teil der nuklearen Teilhabe waren. Kanada hatte dieser Strategie 1989 eine Absage erteilt, Griechenland 2001.
BT-Drucksache 19/20517 vom 30. Juni 2020