Eiswüste in Europa, Nuklearkriege und andere Schreckensszenarien
Die Welt, wie wir sie kennen, könnte untergehen - warnt eine bisher geheim gehaltene Studie des Pentagon
Nicht vom internationalen Terrorismus, sondern vom weltweiten Klimawandel geht die größte Gefahr für die Sicherheit des Westens in naher Zukunft aus. Das behauptet zumindest eine lange geheimgehaltene Studie des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums, die zuerst Ende Januar bei Fortune publik wurde und am letzten Sonntag vom britischen Observer einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. In dem Papier, das von hochrangigen Experten verfasst wurde, skizziert ein Think Tank des Pentagon apokalyptische Visionen: Schon im kommenden Jahrzehnt droht Europa ein starker Temperatursturz. Nordeuropa werde sibirische Temperaturen erleben, ein Großteil der Niederlande überschwemmt werden, langfristig stehe eine neue Eiszeit bevor. Zugleich drohen neue Kriege, die diesmal um Wasser, Nahrungsmittel und Energiereserven geführt werden - und zwar mit Nuklearwaffen. Auch Deutschland werde Nuklearmacht werden, ebenso wie Japan, Süd- und Nord-Korea, Ägypten und der Iran - und politisch labile Nuklearmächte wie Pakistan und Russland könnten bereit sein, ihr Nuklearpotential einzusetzen. Unabhängig davon wie ernst solche Voraussagen im Einzelnen zu nehmen sind, enthält die Studie starken politischen Sprengstoff: Aus dem eigenen Haus wird damit die Politik von US-Präsident George W. Bush unter Druck gesetzt.
Es liest sich wie das dramatische Drehbuch zu einem neuen Science-Fiction-Thriller - irgendwo zwischen "Mad Max", "Deep Impact" und "The Day After": Ganz genau im Jahr 2007 soll der abrupte Klimawandel beginnen: Durch eine gewaltige Sturmflut brechen die Küstenschutzanlagen der Niederlande ein. Ein Großteil des Landes wird überschwemmt, Städte wie Amsterdam und Den Haag werden aufgegeben. In den folgenden Dekaden entwickelt sich nach diesem Szenario Nordeuropa zur Eiswüste, gewaltige Stürme fegen über den Kontinenten, ganze Staaten werden überschwemmt, nukleare Kämpfe um elementare Überlebensgüter, Hunger und Energiemangel prägen die Zukunft der Menschheit.
Und das alles nicht irgendwann in fernen, ungreifbaren Jahrhunderten, sondern schon in den nächsten drei Jahrzehnten sei die Gefahr einer globalen Umweltkatastrophe mit unvorstellbaren politischen Folgen wahrscheinlich. Quelle dieses apokalyptischen Szenarios sind nicht etwa die "üblichen Verdächtigen": Umweltverbände, Greenpeace, der "Club of Rome", grüne Fundis und unbelehrbare Ökologisten, diejenigen also, die schon seit Jahrzehnten vor Umweltkatastrophen warnen, ohne dass ihre Voraussagen je auch nur annährend eingetroffen wären. Nun stoßen auf einmal konservative Militärstrategen ins gleiche Horn. Nicht mehr der Terrorismus, sondern das Erdklima sei der Feind Nummer eins.
Chaos und Anarchie
Voraussetzung all dieser Überlegungen ist eine bekannte Hypothese: Die Erderwärmung könnte dann zu einer Abkühlung in manchen Regionen führen, wenn durch die Erderwärmung zuviel Schmelzwasser (=Süßwasser) in den Weltmeeren entstünde und den Golfstrom, der ganz Nordeuropa wärmt, zum Erliegen bringen würde. Das war in der Erdgeschichte bereits mehrfach der Fall, mit der Folge, einer deutlichen Abkühlung. Die Autoren sprechen von etwa 5 Grad im Jahresdurchschnitt. Die Folge wäre zwar keine neue Eiszeit, aber massive Klimaveränderungen. Dürre könnte die USA heimsuchen, während es in den Niederlanden, in Bangladesh und - weitaus folgenreicher - in China zu massiven Überschwemmungen kommen könnte. Die Folge davon wäre eine neue Völkerwanderung, Aufstände und Bürgerkriege. Während die Industriestaaten sich mit Hilfe ihrer militärischen Übermacht, aber um den Preis ihrer politischen Freiheit dagegen abschotten könnten, würde, so die Studie, der Rest der Welt in Chaos und Anarchie versinken. "Konflikte wären allgegenwärtig, wieder einmal würde Krieg das menschliche Leben beherrschen." Damit würde der Klimawandel zu einer schärferen Bedrohung, als Terrorismus, so die Studie.
Andrew Marshall, Peter Schwartz und Doug Randall, die Verfasser der Studie, begnügen sich aber nicht mit reiner Schwarzmalerei: Die USA, heißt es, müssten eine wissenschaftliche Debatte über das Thema Klimawandel führen, und die Umweltpolitik zum Kern ihrer Sicherheitsstrategie machen. Ohne dass genaue Gegenmaßnahmen vorgeschlagen werden, trifft die Studie damit ins Herz der bisherigen Politik der Bush-Administration, die sich seit dem 11.9.2001 die "Homeland Defense" wie kein zweites politisches Ziel zu eigen gemacht hat und liefert dem designierten Bush-Herausforderer John Kerry kräftige Wahlkampfmunition. Gerade die - kaum vorhandene - Umweltpolitik gilt zudem als schwache Flanke in der Agenda des Präsidenten. Bisher hat Bush konsequent bestritten, dass es den Klimawandel überhaupt gibt.
Und konstant haben die USA den Beitritt zum Klimaschutz-Abkommen von Kyoto verweigert. Neben Bushs engen Verflechtungen mit den Energie-Konzernen der USA liegt ein weiterer Grund für dieses Verhalten auch darin, dass die großvolumigen Automotoren und die Klimaanlagen der USA als starker Mitverursacher der globalen Erwärmung gelten.
Kann Bush das Pentagon ignorieren?
Wohl auch aus diesem Grund hielt man im Pentagon die Studie vier Monate lang unter Verschluss. Erst nachdem jetzt der britische "Observer" aus der Untersuchung zitierte, will man das Dokument veröffentlichen. Denn "vieles ist aus dem Zusammenhang gerissen", so ein Sprecher des Pentagon am Montag. Keine Frage: Bush wird reagieren müssen. "Kann Bush das Pentagon ignorieren?" fragt Weltbankexperte Bob Watson nur ironisch: "Wenn der Klimawandel die nationale Sicherheit bedroht, muss er handeln." Vielleicht ist es dazu aber schon zu spät: "Wir wissen nicht, ob der Prozess nicht schon begonnen hat, und noch aufzuhalten ist." meinte Co-Autor Doug Randall im "Observer",
Mag die jetzige Studie auch vielen Liberalen und Bush-Gegnern gut in den Kram passen, gibt es trotzdem auch einige Gründe zum vorsichtigen Umgang mit ihren Resultaten. Das einfachste Gegenargument lautet: Sonst glaubt man ja auch nicht alles, was das Pentagon veröffentlicht. Unvergessen sind die zahlreichen Fehlgriffe der Pentagon-Experten - etwa im Vorfeld des Irakkrieges wurden die vermeintlichen Gefahren durch das Bagdader Regime ebenso überschätzt, wie der mögliche Widerstand durch die Iraker unterschätzt.
Ein zweites Gegenargument liegt in den Verfassern der Studie: Denn Andrew Marshall ist keineswegs ein Unbekannter. Seit der Zeit des Vietnamkriegs beeinflusst der mittlerweile 82jährige maßgeblich die wechselnden Verteidigungsstrategien der USA. Zuletzt war er für die Entwicklung der "smart weapons" zuständig. Marshall gilt dabei unter anderem als einer der Väter von "Star Wars", jener Idee eines Raketenschutzschilds für die USA, die bereits unter der Reagan-Administration entwickelt, und unter George W. Bush wieder aufgenommen wurde.
Ein Lieblingsthema der politischen Rechten
Peter Schwartz arbeitete lange Zeit für die Ölindustrie, später dann als Industrie-Berater, unter anderem auch für Steven Spielberg, den er bei seinem Science-Fiction-Film "Minority Report" in Bezug auf Überwachungstechniken der nahen Zukunft beriet. Beiden gemeinsam ist jedenfalls der Traum von absoluter Sicherheit, eine Haltung, die Verhältnisse herstellen will, in denen jede Bedrohung gebannt ist. Das Argumentieren mit dem Ausnahmezustand, das Ausgehen vom schlimmsten Fall einer extremen, katastrophalen Bedrohung ist hierbei seit jeher ein beliebte rhetorische Figur der politischen Theorie, um Gesetzesänderungen und andere starke politische Eingriffe zu rechtfertigen. Etwa a la "Es geht um alles; die Gefahr ist riesig; darum muss gehandelt werden - sofort und massiv!" Und Untergangsszenarien sind schon lange ein Lieblingsthema der politischen Rechten.
Ein dritter Grund zur Vorsicht liegt im Zeitpunkt der Veröffentlichung: Erst vergangene Woche geriet George W. Bush unter politischen Beschuss, weil er missliebige wissenschaftliche Ergebnisse ignoriere. Dass die Pentagon-Studie gerade jetzt in die britische Presse lanciert wurde, könnte also auch in schlichter Wahlkampftaktik eines Kerry-Sympathisanten liegen.
An den Ergebnissen der Studie, daran, dass man sich mit ihnen auseinandersetzen, sie mindestens widerlegen muss, ändern all diese Einwände allerdings nichts.