Eklat in Berlin: Bedroht Aserbaidschan Akademiker in Deutschland?
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik sagt Symposium zu armenischer Kultur ab. Betroffene erheben Vorwürfe. Was ist da geschehen?
Eine geplante Buchpräsentation über das "Kulturelle Erbe von Arzach" ist laut einer Erklärung von Akademikern unter starken Druck seitens der aserbaidschanischen Botschaft geraten.
Das von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) geplante wissenschaftliche Symposium sollte auf die Bedrohung des armenischen Kulturerbes durch den Exodus der Armenier aus Arzach/Berg Karabach und die Übernahme der Region durch Aserbaidschan hinweisen.
Am 6. März 2024 sollte die Veranstaltung in hybrider Form stattfinden, heißt es in der Erklärung. Am Ende sei sie aufgrund des Drucks ausschließlich digital durchgeführt worden. Die Botschaft und aserbaidschanische Organisationen hatten die Absage der Veranstaltung gefordert.
"Drohbriefe" hätten diese Forderung verstärkt, schreiben die Akademiker. Zudem wurde eine proaserbaidschanische Demonstration in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsortes angekündigt, so Prof. Dr. Andreas Müller, Kiel, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Martin Tamcke, Göttingen, Dr. Harutyun Harutyunyan, Jerevan, und Dr. Dagmar Heller aus Bensheim.
Die vier Autoren des Buches, die die Protesterklärung formuliert haben, sehen nun "eine öffentliche wissenschaftliche Veranstaltung in einem freiheitlich-demokratischen Land" bedroht. Telepolis sprach mit dem evangelischen Theologen Andreas Müller von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Sie wollten am 6. März in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Veranstaltung zur armenischen Geschichte in Berg-Karabach durchführen. Dazu ist es nicht gekommen. Warum nicht?
Andreas Müller: Wegen der im Brief erwähnten Sicherheitsbedenken. Die aserbaidschanische Botschaft und aserbaidschanischen Gongos, …
… also von der Regierung organisierte Nichtregierungsorganisationen …
Andreas Müller: … die von ihr eingesetzt worden sind, haben massiven Druck insbesondere auf die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, die DGAP, aufgebaut.
Welche Sicherheitsbedenken haben zu der Entscheidung geführt, die Veranstaltung ausschließlich digital durchzuführen?
Andreas Müller: Dass die Sicherheit im Saal trotz der eingestellten Sicherheitskräfte nicht gewährleistet werden kann. Die Polizei sah sich nicht in der Verantwortung, da es sich um eine Privatveranstaltung innerhalb der DGAP handeln würde.
Inwiefern sehen Sie in der Absage der Buchpräsentation eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und des wissenschaftlichen Diskurses?
Andreas Müller: Wissenschaftliche Ergebnisse sollten öffentlich präsentiert und diskutiert werden können, auch wenn sie von anderen als einseitig betrachtet werden.
Gibt es vergleichbare Fälle, in denen ähnliche Behinderungen stattgefunden haben?
Andreas Müller: Im Blick auf Armenien, ja. Die Türkei hat immer wieder versucht, Veranstaltungen zum Thema Genozid zu unterbinden.
Welche Rolle hat Ihrer Meinung nach die aserbaidschanische Botschaft in Deutschland gespielt?
Andreas Müller: Sie hat die ganze Aktion gelenkt. Der Botschafter selbst hat den Leiter der DGAP und der KAS dazu aufgefordert, die Veranstaltung abzusagen. Dabei war sein Hauptargument, dass man auch auf die Zerstörung von aserbaidschanischem Kulturgut durch Armenier eingehen müsse.
Das war aber angesichts der aktuellen Situation nicht unser Thema, auch wenn dieses natürlich u. a. durch den Vortrag von Adam Smith gestreift wurde. Es sollte bei uns nicht um Aufrechnung gegenseitiger Kriegsschuld und -verbrechen gehen, sondern um aktuell gefährdetes Kulturgut. Dieses wird in unserem Buch auch systematisch erfasst.
Wie beurteilen Sie die Rolle der deutschen Behörden in dieser Angelegenheit, insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Minderheiten und ihres kulturellen Erbes sowie die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen?
Andreas Müller: Die Berliner Polizei war an dieser Stelle nur mäßig konstruktiv. Dem AA, dem Außenministerium und auch dem Europarat scheinen oft ökonomische Kontakte wichtiger zu sein als der Schutz von Menschen und deren Kulturgütern. Arzach/ Berg Karabach ist dem europäischen Bedarf an Öl und Gas zum Opfer gefallen. Außerdem sind nachweislich deutsche und europäische Politiker von Aserbaidschan bestochen worden.
Welche Schritte planen Sie nun als Reaktion auf die Absage der Veranstaltung und die anschließenden Drohungen? Gibt es Überlegungen, das Thema auf anderem Wege aufzugreifen oder weitere politische Schritte einzuleiten?
Andreas Müller: Es wird weitere Präsentationen des Buches geben. Zudem haben wir einschlägige politische Stellen informiert und auch dort Protest eingelegt. In Arzach sind bereits Bulldozer im Umfeld von Kulturgut unterwegs. Friedhöfe sind bereits zerstört.
Der Protest wird nicht eingestellt. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden wir auch weiter wissenschaftliche Arbeit zu dem Thema leisten und Student:innen auf die Sache hinweisen.
In einer Mitteilung des Zentralrats der Armenier ist von Drohbriefen an Beteiligte die Rede. An wen gingen diese Briefe, was stand darin und haben Sie auch einen solchen Brief erhalten?
Andreas Müller: Ich selbst habe keine Briefe erhalten, wohl aber die DGAP. Darin wurde u. a. gedroht, deren Geldgeber zu veranlassen, die DGAP nicht weiter zu finanzieren. Zudem soll es auch Androhungen von Gewalt gegeben haben. Dazu müsste Stefan Meister bei der DGAP befragt werden.
Wie beurteilen Sie die Lage in Berg-Karabach nach dem Anschluss an Aserbaidschan?
Andreas Müller: Die Azeris sind aktuell dabei, die Region nach ihren Vorstellungen massiv umzugestalten. Kirchen wurden bereits transformiert, das Parlamentsgebäude in Stepanakert abgerissen. Die Lage ist sehr brisant, weil armenische Spuren vor Ort wohl ausgelöscht werden.
Die Drohungen des Regimes in Baku gegenüber Armenien sind auch nicht zu unterschätzen. Möglicherweise wird es zeitnah weitere Angriffe auf armenisches Territorium geben. Daher besteht vor Ort eine enorm große Sorge und ein dringender Appell an die internationale Öffentlichkeit, Armenien nicht aus dem Blick zu verlieren.
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