"Elefant im Raum"
EU schafft Geoblocking ab - aber nicht für Streaming
Die Verhandlungsführer der EU-Kommission, des EU-Parlaments und des EU-Ministerrats haben sich auf einen Verordnungsentwurf zur Einschränkung von Geoblocking geeinigt (vgl. EU-Kompromiss steht: Geoblocking beim Online-Shopping soll eingeschränkt werden). Digitalbinnenmarktkommissar Andrus Ansip lobt diesen Entwurf öffentlich als "hervorragende Nachricht für die Verbraucher", der "spätestens ab Weihnachten 2018" nicht mehr unter "ungerechtfertigte[r] Diskriminierung beim Online-Shopping" leiden müsse.
Für "digitale Inhalte" wie gestreamte Serien erwirkte die Medienindustrie eine Ausnahme (vgl. Internet-TV: EU-Abgeordnete dampfen geplantes Aus für Geoblocking stark ein), obwohl das Sperren von IP-Nummern nach Länderzuordnung gerade hier in der Praxis besonders viele europäische Nutzer betrifft und beispielsweise dafür sorgen kann, dass sich ein bezahlter Netflix-Zugang nicht im Urlaub nutzen lässt. Die EU-Abgeordnete Dita Charanzová von der neuen tschechischen Regierungspartei ANO (vgl. Tschechien: Babiš regiert mit Minderheitenkabinett) spricht angesichts dieser Situation von einem "Elefanten im Raum".
VPNs und Browsererweiterungen
Lediglich "Nachrichten" und "Beiträge zum aktuellen Zeitgeschehen" sollen dem im EU-Parlament federführenden Rechtsausschuss nach zukünftig EU-weit online abrufbar sein. Die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler, die in der Vergangenheit unter anderem als vehemente Befürworterin von Softwarepatenten von sich Reden machte und Schriftführerin im ZDF-Fernsehrat war (vgl. Von wegen staatsfern), lobt diese weitgehende Beibehaltung von Geoblocking im Medienbereich als Gewährleistung dafür, dass die "kreative Industrie in Europa" weiterhin wie gewohnt produzieren kann.
Nachdem das Streaming-Geoblocking-Ende, mit dem unter anderem Kino.de fest gerechnet hatte, vorerst weiter ausbleibt, werden Nutzer auch weiterhin auf VPN-Anbieter und Browsererweiterungen wie Stealthy zurückgreifen, deren Nutzung dem Portal zufolge keine Urheberrechtsverletzung ist, "solange es sich […] nur um einen Stream und nicht um einen Download handelt". Ein Vorab-Download, den Netflix inzwischen bei einen Teil seiner Inhalte ermöglicht hat, ist wiederum eine andere Möglichkeit, im Auslandsurlaub weiter Zugriff auf Serien zu haben.
Österreichischer Handelsverband warnt vor negativen Folgen für kleine und mittlere Unternehmen
Beim Online-Kauf nichtdigitaler Waren, wo das Geoblocking abgeschafft wird, sollen Anbieter zukünftig auch nicht mehr die Möglichkeit haben, Nutzer umzuleiten, anstatt zu blockieren. Auch das "analoge Geoblocking" über die ausschließliche Akzeptanz von EC- oder Kreditkarten aus einem Land soll zukünftig nicht mehr möglich sein. Allerdings haben Händler weiter die Möglichkeit, Kunden aus bestimmten EU-Ländern höhere Preise zu berechnen. Sie dürfen das jedoch nicht mehr mit unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen begründen. Fehlen Liefermöglichkeiten in ein Land, soll der Kunde die Ware abholen oder sich selbst um den Versand kümmern dürfen.
Nicht alle Unternehmen sind mit Ansips Entwurf zufrieden: Rainer Will, der Geschäftsführer des österreichischen Handelsverbandes kritisiert beispielsweise, dass der Verordnungsentwurf "in [seiner] vorliegenden Form […] eine reine Superstar-Regulierung" sei, die mit ihren "überbordenden Regulierungen […] die Dominanz globaler Online-Player […] befeuert", und insbesondere [kleine und mittlere Unternehmen] in ihrer Geschäftstätigkeit gefährdet". Die steigenden "administrativen Kosten […] durch die in den 27 EU-Staaten unterschiedlichen Gesetze" und die damit verbundenen neuen "Rechtsunsicherheiten" sind seiner Ansicht nach für KMU "kaum zu stemmen", weshalb er einen Rückzug solcher Anbieter aus dem Internet befürchtet. Das habe dann letztendlich auch negative Folgen für den Konsumenten.
Eine andere neue Vorgabe der EU-Kommission soll nicht erst in neun Monaten, sondern bereits ab Frühjahr 2018 gelten: Sie regelt den Bräunungs- und Knusprigkeitsgrad von Pommes Frites, Chips, Keksen und anderen Nahrungsmitteln, die dadurch weniger Acrylamid enthalten sollen. Acrylamid war Anfang der Nuller Jahre ein größeres Medienthema, nachdem es schwedische Wissenschaftler in stärkehaltigen Lebensmitteln nachwiesen, die bei Temperaturen über 120 Grad Celsius zubereitet wurden. Später kam heraus, dass Acrylamid in der Nahrung das Krebsrisiko beim Menschen (anders als Experimente mit Mäusen suggeriert hatten) nicht signifikant erhöht und dass Personen, die solche Lebensmittel essen, statistisch gesehen sogar ein etwas geringeres Risiko aufweisen, an Darmkrebs zu erkranken (vgl. England: Wirte sollen Strafe zahlen, wenn sie Kartoffeln knusprig braten).
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