Elektronische versus nationale Souveränität
Das us-amerikanische "International Broadcasting Bureau" verschärft den Infokrieg mit China
Alfred Hitchcocks Thriller "Torn Curtain" (1966) aus der Zeit des Kalten Kriegs machte vor allem deutlich, wie engmaschig der eiserne Vorhang geknüpft war und wie listenreich die wenigen Wanderer zwischen den Welten sein mussten. Aber bereits damals gab es Infowar-Maßnahmen, die Mauern aus Stein und Betonideologie eleganter zu durchbrechen. Der Rundfunk vermittelte immerhin partiell die euroamerikanische Welt, die sich selbst als frei definierte, über den Stacheldraht hinweg. Für diktatorische, autoritäre wie fundamentalistische Systeme stellt das Internet inzwischen eine erheblich größere Provokation ihrer Informationsherrschaft dar, als es der Rundfunk je zu leisten vermochte (Vgl. Internet-Zensur als Gefahr für die Pressefreiheit). Das International Broadcasting Bureau will nun dafür sorgen, dass das auch weiterhin so bleibt. Die Mutteragentur von Voice of America plant, ein in Amerika errichtetes Rechner-Netzwerk zu finanzieren, um Versuche der chinesischen Regierung zu unterlaufen, das World Wide Web für Landsleute zu zensieren.
Das kleine Unternehmen Safeweb aus Emeryville, Kalifornien wird bisher von In-Q-Tel, dem Venturekapital-Beschaffer der CIA finanziert, um eine schlagkräftige Antizensur-Technologie zur Verfügung zu stellen. "Safeweb" entwickelt maßgeblich Programme, die verbergen sollen, welche Webadresse ein Nutzer ansteuert. Vorgesehen ist, dass chinesische User sich von China aus mit den Computern von "Safeweb" konnektieren und dann anonym auch alle politisch unkorrekten Webadressen ansteuern können. Die speziell auf das chinesische Publikum zugeschnittenen Programme sollen noch resistenter als bisher sein, den Regierungsblockaden von Servern zu widerstehen. Tish King, eine Sprecherin des "International Broadcasting Bureau" verweist vollmundig auf die Verpflichtung, das eigene Publikum auch im Internet wirkungsvoll zu erreichen.
Mit diesem Euphemismus wird die Drohung geadelt, dass das Büro im amerikanischen Auftrag die digitale Informationshoheit der chinesischen Regierung aufbricht. Auch wenn die Informationsrestriktionen der chinesischen Regierung alles andere als akzeptabel sind, muss diese unverhohlene Ankündigung China wie eine Kriegserklärung erscheinen. Die Souveränität eines Landes, die informationelle Selbstbestimmung seiner Bürger vorab zu filtern, wird - wie es etwa auch die Saudis erfahren- immer fragiler. Und das ist gut so. Weniger gut ist es aber, wenn Informationsoperationen, die sich keck über nationale Nutzungsbestimmungen hinweg setzen, Offline-Zensurmassnahmen bis hin zur Inhaftierung von sog. Internet-Dissidenten auslösen. "Voice of America" bereichert sein Informationsstrategiepaket mit einem täglichen, in der Landessprache verfassten Newsletter, der gegenwärtig ca. 180.000 Menschen zugestellt wird. Daneben betreibt man eine chinesisch-sprachige News-Website mit Informationen der etwas anderen Art. "Radio Free Asia" unterhält Websites, die insbesondere auf ethnische Minoritäten wie Tibeter und Uighuren in der nordwestlichen Region von Xinjiang zugeschnitten sind. Sporadisch hat die Regierung die Radiosendungen von "Voice of America" und "Radio Free Asia" gestört. Auch deren Webpräsenzen werden seit 1997 bzw. 1998 blockiert.
Nun wird sich China aus Gründen ökonomischer Weisheit nicht wie die Taliban verhalten und kurzerhand das WWW landesweit abschalten, wenn gezielte Regierungsmaßnahmen wenig fruchten. Seit einigen Tagen ist das Web-Surfen in Afghanistan generell verboten. Sogar die digitalen Nabelschnüre der Regierungsbehörden zur Außenwelt sollen bis auf einen einzigen Anschluss in der Taliban-Zentrale in Kandahar eingemottet worden sein. Chinas Internetpolitik spiegelt dagegen das Modernisierungsdilemma sehr viel differenzierter wieder. Einerseits fördert man das Internet, weil die wirtschaftlichen und sozialen Ziele jenseits dieses Mediums kaum erreichbar wären. Andererseits fürchtet die Partei zu Recht die Alleinherrschaft zu verlieren, wenn die Propagandahoheit von der "technology of freedom" immer nachhaltiger unterminiert wird. Aber wer den digitalen Graben zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern zuschüttet, kann eben auch die zentrale Kontrolle nicht länger sicher stellen. Der Internetgebrauch wächst im Land des Drachens rapide. Die Zahl der Anschlüsse von Universitäten, Unternehmen, Internet-Cafes nebst Privaten entwickelte sich von 9 Millionen Ende 1999 bis 26 Millionen im Juli diesen Jahres. Zudem wird in der Volksrepublik geplant, innerhalb der nächsten fünf Jahre das Internet mit der Telekommunikation zu vernetzen. Zu diesem Zeitpunkt sollen dann 150 Millionen Menschen gegenüber den gegenwärtigen 26,5 Millionen das Internet nutzen.
In diesem Prozess muten die immer wieder beobachteten Polizeirazzias, die Schließung von fast 2000 Internet-Cafes und die Inhaftierung von über einem Dutzend "Internet-Dissidenten" wie der aussichtslose Wettlauf zwischen dem regierungstreuen Hasen und dem virtuellen Igel an. Nicht anders als etwa die Saudis hat auch die chinesische Regierung ein autoritäres Regelwerk vorgelegt, das Serviceprovidern vorschreibt, pornografische, regierungsfeindliche, gewalttätige oder vermeintlich abergläubische Inhalte elektronisch zu filtern. So wurden etwa "The Washington Post", "Amnesty International" sowie diverse Internetrepräsentanzen der systematisch verfolgten Falun-Gong-Bewegung elektronisch abgeschossen. Aber diese Zensur ist nicht viel mehr als die vergebliche Selbstrechtfertigungspolitik eines Regimes, das vermutlich inzwischen selbst nicht mehr glaubt, hierarchisch noch länger steuern zu können, was sich heterarchisch unter seinen strengen Augen vollzieht.
Was auf den digital versenkten Seiten nicht gelesen darf, beschafft sich der unbotmäßige Bürger nun eben auf den zugänglichen Servern von "ABC", "BBC" oder "USA Today". Dass sich die stramme Zensurpolitik Chinas zu einem halbherzigen Unternehmen verändert, veranschaulicht besonders gut der Umgang mit der ehrwürdigen "Grand Dame" des amerikanischen Journalismus, der New York Times. Bis Anfang August 2001 war die Seite nicht zugänglich, aber nachdem Präsident Jiang Zemin von den Herausgebern über die näheren Gründe für die Blockade befragt wurde, nahm man die Maßnahme kurzerhand wieder zurück. Längst ist der Regierung in Peking klar geworden, dass die wirtschaftlich notwendigen Beziehungen zum Westen ihren ideologischen und letztlich wohl auch innenpolitischen Preis haben. Und was die Regierung nicht freiwillig zugesteht, stößt auf immer neue Umgehungsmethoden der User selbst. In einer kürzlich erschienen Studie der Akademie der Sozialwissenschaften in Peking gaben mehr als ein Viertel der Internetnutzer zu, gelegentlich Internet-Proxy-Rechner zu nutzen, die nach einem ähnlichen Prinzip arbeiten wie die Technologie von Safeweb. 10 Prozent der Nutzer gaben sogar an, dass sie diese Server regelmäßig aufsuchen.
"Safeweb" gehört zu den effektivsten Maskenbildnern in der Branche der Informationsselbstbestimmung. Die Software mit dem Spitznamen Triangle Boy, kann die elektronischen Filter dahingehend täuschen, dass der jeweilige Inhalt von einem politisch wohlerzogenen Rechner statt etwa einer blockierten Menschenrechtsseite zu kommen scheint. Der chinesischen Regierung ist Safeweb schon länger ein Dorn im Auge, was auch zur Aufnahme in die schwarze Liste der exekutionswürdigen Server geführt hat. Stephen Hsu, Geschäftsführer von "Safeweb" klagt über immer aggressive Vorgehensweisen, die von hilflosen Usern berichtet werden, die völlig abgeschnitten von Gott und dem Internet sind. Der Emailverkehr von Nutzern, die sich eine obercoole Triangle-Boy- Email-Adresse sichern wollen, werde von der Regierung systematisch torpediert. Aber Hsu hat nicht nur Grund zu klagen: "Die Regierung kann eine begrenzte Anzahl von "Triangle Boys" blockieren, aber wenn tausend Programme laufen, ist das bereits unmöglich". Im Übrigen wird der Ehrgeiz der Regierung, den spurenlosen Triangel-Jungs das Handwerk zu legen, auch noch mit anderen Maßnahmen digitalpolitisch gekontert. Der Server empfiehlt, sich eine Hotmail- oder Yahoo-Adresse zuzulegen. Wie renitente Internetizens in Saudi-Arabien folgt man dann der Strategie, Serveradressen alle paar Stunden zu wechseln und die Kunden via Email davon zu informieren. Die Server wollen sich ihr Aufschlagspiel jedenfalls nicht mehr abnehmen lassen - frei nach dem Motto: Wer zu spät kommt, den bestraft das flexible Serve-and-Volley-Spiel.
Nach einer Studie betrachten 67, 5 % der Chinesen das Internet als herausragende Möglichkeit, die Regierungspolitik zu kritisieren und immerhin mehr als 74 % sehen im Netz die Möglichkeit, die eigenen politischen Ansichten zum Ausdruck zu bringen (Vgl. Eine Parabel von der Online-Sucht). Stephen Hsu von "Safeweb" liegt also im landesweiten Trend, wenn er die chinesische Regierung zwingen will, die prodemokratischen Tendenzen im Internet zu akzeptieren. Immanuel Kant hielt die Aufklärung des Menschen für einen beschwerlichen Weg. Aber es scheint so, dass dieser Weg mit einer wendigen Technologie zumindest erheblich einfacher zu beschreiten ist, als die Offenbarungserklärung von Regierungen zu erwarten, dass ihre der Gutenberg-Galaxis entstammende Zensurpolitik zunehmend sinnlos wird. Bücher lassen sich wenigstens noch verbrennen, aber die Informationsbombe hat immer neue Zündstufen. Vielleicht finden in Peking im Jahr 2008 also nicht nur die olympischen Sommerspiele statt, sondern auch freie Wahlen. Das Internet ist jedenfalls noch erheblich ungeduldiger als Menschen, die keine Lust mehr haben, an der Kandare ins Glück geführt zu werden.