Internet-Zensur als Gefahr für die Pressefreiheit

Ob in Australien, Birma, China oder in der Türkei - in zahlreichen Nationen ist das Internet kaum als Recherche-Tool zu gebrauchen

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Der vom Freedom House herausgegebene Jahresweltbericht zur Pressefreiheit sieht in den wachsenden Einschränkungen des Netzzugangs in zahlreichen Ländern eine Behinderung der journalistischen Arbeit. Hinter den zur Rechtfertigung der Zensurmaßnahmen gebrauchten Argumenten sieht der Report die Angst des politischen und religiösen Establishments vor einem Wandel verborgen.

"Das Netz interpretiert Zensur als Fehler und umgeht sie." Dieser mythische Satz, den der Internet-Aktivist John Gilmore in Bezug auf das Usenet vor Jahr und Tag einmal ins kollektive Cybergedächtnis einpflanzte, stimmt heute nur noch zum Teil. Denn seit die Zahl der von Regierungen an den Zugangsknoten zum Cyberspace platzierten Zensur- und Kontrollstellen immer weiter anwächst, findet die Information oft keine Masche mehr, um zum Nutzer zu fließen.

Scharfe Kritik an den wachsenden Zensurgelüsten der "Dot-govs" übt nun der Bericht zum Stand der Pressefreiheit 2000, den das Freedom House rechtzeitig vor dem World Press Freedom Day am 3. Mai herausgegeben hat. "Die Unabhängigkeit des Internet entwickelt sich zum jüngsten Test für den Willen einer Regierung, eine freie Presse zu fördern und lebendig zu halten", mahnt Leonard Sussman, der am Freedom House im Bereich Internationale Kommunikation forscht und für den bereits zum 22. Mal in Folge erschienenen Bericht verantwortlich ist. 45 Staaten würden den Internetzugang für ihre Bürger bereits "unter dem Vorwand, die Öffentlichkeit vor subversiven Ideen zu schützen und die nationale Sicherheit zu gewährleisten", einschränken.

Diese "Codewörter" kommen Sussmann allerdings reichlich bekannt vor, da sie von Zensoren schon "seit dem 16. Jahrhundert verwendet werden." Zusammen mit der Warnung vor einem moralischen Verfall würden derartige Schlüsselbegriffe in der Regel vorgeschoben, um das "politische oder religiöse Establishment" zu schützen und Journalisten bei ihrer Arbeit zu behindern. 63 Prozent aller Länder dieser Erde, hat der Bericht herausgefunden, üben Restriktionen gegenüber der Presse oder den elektronischen Medien aus, um die öffentliche Meinung zu kontrollieren. Die Quote hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert.

Die zarteste Versuchung, seit es Medien gibt

Eine ungewöhnlich große Versuchung, den Zugang zu Internetinhalten einzuschränken, bringt für Regierungen in allen Hemisphären und Systemen dem Bericht zufolge die "Explosion von Nachrichten und Informationen im World Wide Web" mit sich. Zensoren hätten zwar seit der Erfindung der beweglichen Drucklettern jede neue Kommunikationstechnologie vom Telefon bis zum Fernsehen mit Argusaugen beobachtet und im Zaum zu halten versucht. Das Internet stelle aber eine besondere Herausforderung für sie dar: "Der Cyberspace ist überall, hat aber kein Zentrum", stellt Sussmann fest. Daher könne keine Regierung allein die Entstehung und Verbreitung einer Nachricht in einem anderen Land unterbinden. Das hindere einzelne Länder in allen erdenklichen Weltregionen aber nicht daran, den Nachrichtenfluss innerhalb der eigenen Grenzen zu überwachen und zu filtern.

In über 20 Ländern - die Liste reicht von Aserbaidschan bis zu Vietnam - gestatten die auch bereits von der französischen Organisation Reporter sans Frontiéres ausgemachten "Feinde des Internet" den Netzzugang nur unter erheblichen Auflagen. Dort würden, so Sussmann, "offizielle Razzien bei Providern und die technische Überwachung von heimischen wie internationalen Informationen die Interaktivität in einem Medium einschränken, das als grenzenloser Ideenlieferant und als freiheitsfördernd begrüßt wurde."

Zum besonderen Spießrutenlauf wird die Internetnutzung in Birma (Angst vor dem Internet), das offiziell nur noch Myanmar genannt werden möchte. Dem Namenstausch folgte allerdings kein Politikwechsel: Die dortige Behörde für Post und Telekommunikation hat Mitte April neue Zugangs- und Verhaltensregeln fürs Netz bekannt gegeben. Demnach sind jegliche politischen Meinungsbekundungen im Internet genauso zu unterlassen wie alle Äußerungen, die "den Interessen der Union von Myanmar abträglich sind". Wer seinen Computer nicht bei den Behörden anmeldet, dem droht eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren. Das "Cyberspace Warfare Center" der Regierung überwacht die Internetverbindungen und hackt sich dabei auch in die Rechner von Verdächtigen, die verbotene Nachrichten zu empfangen oder zu senden scheinen.

Auch in China dürfen die Surfer nicht sagen oder lesen, was sie wollen. Die offiziellen Internetprovider filtern vor allem Inhalte aus dem Ausland aus. Mehrere "Cyber-Dissidenten", die sich den Spielregeln widersetzten, landeten bereits hinter Gittern. Sicherheitsbeamte gehen gegen Websites vor, die gegen "Staatsgeheimnisse" verstoßen. Darunter fallen auch Hinweise auf die Folterung von Anhängern der unter dem Bannspruch der chinesischen Regierung stehenden Falun-Gong-Sekte. In diesem Zusammenhang sieht Sussmann auch die von China im vergangenen Jahr ausgegangenen Attacken auf Server in Kanada oder Taiwan. Eine Menschenrechtsorganisation in Hong Kong behaupte zudem, dass der Zugang zu ihrem Webangebot oft unter Denial-of-Service-Angriffen vom "Mutterland" leide. Im Februar wurden in Shanghai zudem erst 127 Internet-Cafés geschlossen, da sie angeblich keine Lizenz hatten.

In der Heiligen Stadt Mekka dürfen seit Mitte April nur noch die Männer "öffentlich" surfen. Die Arabischen Nationen haben insgesamt Angst vor einem moralischen Verfall durch das Internet. "Es hat eine negative Seite, die mit unserem Glauben und unseren arabisch-moslemischen Traditionen im Konflikt steht", zitiert der Bericht vom Freedom House den Chef der Syrischen Computer Society. Nicht nur die Vereinten Emirate, die mit über 143.000 Internetnutzern der am stärksten vernetzte arabische Staat sind, befürworten daher strikte Filtermaßnahmen.

Auch westliche Demokratien haben Probleme mit dem freien Informationsfluss

Aber auch in westlichen Demokratien liebäugelt so mancher Politiker mit Technologien und Gesetzen, die Zensur ermöglichen. In Australien ist seit 1. Januar das so genannte Broadcasting Services Amendment für das Internet in Kraft getreten (Link auf Bericht). Internetprovider müssen demnach auf Geheiß der Australian Broadcasting Authority obszönes oder Gewalt verherrlichendes Material von ihren Servern nehmen und ihren Kunden Filtersoftware anbieten, um sie vor ähnlichem Material auf ausländischen Servern fernzuhalten. Wer Inhalte mit sexuellem Charakter ins Web stellt, muss sicherstellen, dass minderjährige Surfer die Seite nicht besuchen können. Die Lobbyorganisation Electronic Frontiers Australia hat bereits mehrfach die Befürchtung geäußert, dass das umstrittene Gesetz die Meinungsfreiheit einschränke (Zensur von Internetinhalten in Australien).

Selbst in Deutschland ist die Zensurdebatte wieder entbrannt, seit der Bundesverband der Phonographischen Industrie (IFPI) einen Filter für MP3s auf ausländischen Servern durchsetzen will, die in Deutschland als illegal gelten (Nationales Internet). Die IFPI wehrt sich allerdings gegen die Zensurvorwürfe und spricht von "Pirateriebekämpfung".

Den jüngsten Entwurf für ein umfassendes Zensurgesetz hat aber die Türkei gerade vorgelegt: Das im Verteidigungsministerium entworfene "Gesetz zur Organisation der Nationalen Sicherheit und den damit verbundenen Pflichten" soll den Militärbehörden, Geheimdiensten und der Polizei das unbegrenzte Schnüffeln auf der Festplatte der Computer von lokal registrierten Internetnutzern gestatten. Wer seine Email-Kommunikation oder seine aus dem Web heruntergeladenen Informationen nicht herausgeben will, könnte nach Verabschiedung des Gesetzes mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Über konkrete Filtertechnologien schweigt sich der Entwurf aus. "Das Gesetz scheint für alle Zwecke geschaffen zu sein", fürchtet Timur Sirt von der Zeitung Yeni Binyil. Alle erdenklichen Vorkehrungen könnten von Regierungsseite aus getroffen werden, um die Aktivitäten der rund 800.000 türkischen Surfer einzuschränken.

"Gegengift" aus der Open-Source-Community: Gnutella und FreeNet lassen die Zensoren ins Leere laufen

Angesichts all der Zensurbestrebungen scheint die Universelle Erklärung der Menschenrechte, die der Report vom Freedom House zitiert, für viele Regierungen nur ein Lippenbekenntnis zu sein. Garantiert sie doch im Prinzip jedem das "Recht zur freien Meinung und deren Äußerung in allen Medien und unabhängig von Landesgrenzen." Das Internet wird daran wenig ändern, glaubt der Cyberlaw-Professor Lawrence Lessig (Good Bye Internet). Eher böte es im Zusammenspiel mit digitalen Zertifikaten und der Einführung der "Ausweispflicht" für den Cyberspace das Potential für den Aufbau einer perfekten Kontrollinfrastruktur: Jede Regierung könnte nach der Ausstattung all ihrer Bürger mit elektronischen Pässen Abkommen mit anderen Regierungen schließen und so im Gegenzug für die Beachtung der "Wünsche" ausländischer Politiker nationale Regelungen durchsetzen. Surfer mit dem falschen "Pass" würden dann einfach keinen Zugang mehr zu Servern mit Material finden, das in ihrem Heimatland nicht gut geheißen wird.

Als "Gegenmittel" könnten sich da nur Systeme wie Gnutella oder FreeNet erweisen, die jeden ans Internet angeschlossenen Computer in einen Server verwandeln und den Informations- und Dateienaustausch zwischen einzelnen Nutzern direkt ermöglichen. Denn in den dadurch entstehenden Sub-Netzen fließen die Bits und Bytes ganz ohne zentrale Verbindungsserver und ohne Datenspeicher mit festen - und damit zensierbaren - Netzadressen. FreeNet verteilt Dateien sogar in mehreren Kopien auf unterschiedlichen "Servern" der Teilnehmer, den so genannten "Knoten". Die ergeben zusammen ein undurchsichtiges Informationsknäuel, in dem sich die physikalische Lagerstätte eines Files nicht bestimmen lässt. Dadurch wird die Zensur bestimmter Informationen schier unmöglich, da dazu alle kooperierenden Rechner abgestellt werden müssten.