Gnutella: Noch nicht trocken hinter den Ohren und schon "ein verdammter Kult"
Napster-Clone Gnutella lehrt AOL Time Warner das Fürchten.
Kurz nachdem Nullsoft das Napster-ähnliche Programm Gnutella veröffentlicht hatte, wurde ihre Site schon wieder geschlossen - offensichtlich auf Druck von Nullsoft-Besitzer AOL. Der Popularität des Programms hat das eher genützt als geschadet.
Eigentlich war es nur eine Beta-Version des Napster-Clones Gnutella, über die Slashdot.org Anfang der Woche berichtete. Doch das reichte aus, um einen Ansturm auf die Gnutella-Website auszulösen. Und es reichte aus, um AOL darauf aufmerksam zu machen, was die von ihnen bezahlten Nullsoft-Programmierer da entwickelt hatten: Ein Programm, mit dem sich kinderleicht MP3s austauschen lassen. Ohne komplizierte Suchmaschinen, ohne tote Links, ohne rückverfolgbare Web-Adressen. Wenig später war die Gnutella-Website bereits geschlossen. Das wiederum hat schnell eine ganze Reihe von Mirror-Servern aus dem Netzhumus sprießen lassen.
Gnutella ist eine Art Weiterentwicklung des MP3-Tauschprogramms Napster. Wie Napster setzt es auf die Vernetzung von Clients: Die einzelnen MP3-Dateien liegen also nicht mehr auf einem Server, sondern werden direkt von der Festplatte eines anderen Nutzers heruntergeladen. Napster läßt jedoch die Suchanfragen noch über einen zentralen Server laufen. Universitäten war es deshalb möglich, den Zugang zum Napster-Netz komplett zu sperren.
Gnutella läuft dagegen komplett Server-unabhängig. Auch die Suchanfragen werden von Client zu Client weitergeleitet. Um sich ins Gnutella-Netz einzuklinken, braucht man lediglich die IP-Adresse eines bereits damit verbundenen Clients. Derzeit werden diese Adressen in erster Linie über IRC-Chaträume wie etwa den EFnet-Kanal #gnutella ausgetauscht.
212 Madonna-Songs
Besonders pikant ist diese Entwicklung für AOL, da die Firma sich mit der Time-Warner-Fusion zur größten Plattenfirma der Welt entwickelt. So lassen sich schon jetzt mit Gnutella auch zahlreiche illegale MP3s bekannter Warner-Musiker finden. Eine Probe-Suche nach Songs von Madonna ergab gestern Abend gleich 212 Treffer. Insgesamt war der Zugriff auf satte 250 Gigabyte möglich, der größte Teil davon MP3-Dateien.
Angeblich will Nullsoft den Sourcecode des Programms mit der Version 1.0 frei geben. Wann und ob diese erscheinen wird, ist derzeit allerdings ungewiss. Schon jetzt scheint aber deutlich, dass die Idee auf jeden Fall überleben wird. Sollte Gnutella bei Nullsoft also nicht über das Beta-Statium hinaus kommen, werden andere das Programm weiterentwickeln. Ganz findige Köpfe haben sich bereits daran gemacht, das von Gnutella verwendete Protokoll zu entschlüsseln.
In den IRC-Chaträumen herrscht deshalb schon einmal Weihnachtsstimmung. Gut 160 Personen waren gestern abend allein auf #gnutella anzutreffen. Das neue Spielzeug wurde auf Herz und Nieren getestet, Stärken und Schwächen leidenschaftlich diskutiert. AOL musste große Häme einstecken, Nullsoft hat einiges an verlorener Sympathie zurückgewonnen. Mitten in diesem Trubel verkündete dann einer, was wohl viele der anwesenden Chatter dachten: "We've started a damn cult again!"