Emil und der Menschenhelfer
Seite 3: Der "große Schicksalsfilm" fällt aus
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Goebbels wollte nicht nur Propaganda verbreiten, sondern auch Geld verdienen und Hollywood als Weltmarktführer herausfordern, vorzugsweise beides gleichzeitig. Für Filmschaffende des Dritten Reichs gehörte es mit dazu, die Hervorbringungen der Konkurrenz zu beobachten. Das war auch deshalb dringend geboten, weil die heimische Industrie den Verlust der jüdischen und regimekritischen Kreativen qualitativ nicht kompensieren konnte. Das NS-Kino litt unter einer chronischen Ideenarmut. Also schaute man sich an, womit die Amerikaner Erfolg hatten und versuchte, es zu imitieren. Sehr populär waren Filme über das Leben bekannter Persönlichkeiten. Als Spezialist für solche "Biopics" galt der Anfang der 1930er in die USA emigrierte Regisseur William (Wilhelm) Dieterle. Eines dieser Dramen, über Louis Pasteur, wurde 1936 als bester Film des Jahres für den Oscar nominiert. Paul Muni als großer Arzt und Wissenschaftler wird da zum Pionier auf dem Gebiet der Erforschung von Infektionskrankheiten, weil er sich durch nichts und niemanden, auch nicht durch die Borniertheit der Kollegen, vom rechten Weg abbringen lässt.
In Deutschland durfte der Film des progressive Positionen vertretenden, in der 1936 gegründeten Hollywood Anti-Nazi League engagierten Dieterle nicht gezeigt werden. Emil Jannings sah The Story of Louis Pasteur vor dem "Anschluss" Österreichs in Wien. Danach trug er sich mit dem Gedanken, einen biographischen Film über den Nobelpreisträger Robert Koch zu drehen, konnte sich aber selbst nicht recht für das Projekt begeistern, weil er fürchtete, dauernd durch ein Mikroskop blicken zu müssen und schauspielerisch unterfordert zu sein. Zumindest habe ich das so gelesen. Es kann auch sein, dass er versuchte, mit solchen Aussagen bei wichtigen Leuten Punkte zu sammeln. Wer Goebbels eine Freude machen wollte ließ sich in der NS-Presse mit abfälligen Äußerungen über Louis Pasteur zitieren. Dieterle war kein Regiegigant und Louis Pasteur unter ästhetischen Gesichtspunkten kein Meilenstein der Filmkunst, aber Jannings müsste eigentlich bemerkt haben, wie dankbar solche ganz um den Helden zentrierte Forscherbiographien waren. Der im Yiddish Theatre verwurzelte Paul Muni (geboren als Meshilem Meier Weisenfreund in Lemberg und als Jude von den Leinwänden im NS-Staat verbannt) erhielt für seine Leistung in The Story of Louis Pasteur einen Oscar als bester Hauptdarsteller.
Jannings wollte nun eine deutsche Version von Frank Lloyds Cavalcade drehen, einer Adaption von Noël Cowards Bühnenstück. Dieser 1934 mit dem Oscar für den besten Film prämierte Publikumshit beginnt an Silvester 1899, zur Zeit des zweiten Burenkriegs, und erzählt am Beispiel eines Paares aus der Oberschicht und seiner Diener vom Leben der Engländer bis zur Neujahrsnacht 1933, mit Untergang der Titanic, Weltwirtschaftskrise usw. (Höhepunkt ist eine dreiminütige, mit Überblendungen arbeitende Montage, in der die Kriegsjahre 1914 bis 1918 zusammengefasst werden, mit singend in den Krieg ziehenden Soldaten und einer durch das andauernde Sterben einsetzenden Desillusionierung bis hin zum blanken Schrecken in den Gesichtern derer, die nicht getötet werden). Etwas in der Art, ein sich über mehrere Jahrzehnte erstreckendes Geschichtspanorama mit ihm als Gustav Hartmann in der Hauptrolle, schwebte auch Jannings vor. Hartmann war der Droschkenkutscher, der 1928 in Begleitung eines Reporters von Berlin nach Paris fuhr, um auf die Schwierigkeiten seines Berufsstandes aufmerksam zu machen.
Jannings sprach mit Hans Fallada über die Idee, und Fallada schloss 1937 mit der Tobis einen Vertrag über einen Roman ab, der unter dem Titel Der eiserne Gustav bei Rowohlt erscheinen und als Vorlage für einen zweiteiligen Film namens "Der weite Weg" dienen sollte. Fallada lieferte im Februar 1938 das Romanmanuskript ab, um dann frustriert festzustellen, dass es bei der Tobis weniger um Filmkunst ging als vielmehr darum, den Minister für Volksaufklärung und Propaganda für sich einzunehmen. Bei der Tobis Filmkunst GmbH war der Einfluss der Nationalsozialisten besonders groß, weil Goebbels schon früh damit begonnen hatte, den zweitgrößten deutschen Filmkonzern in Staatsbesitz zu überführen und seine eigenen Leute zu installieren. Das Drehbuch schrieb wie bei Der alte und der junge König Thea von Harbou, unterstützt von ihren Parteifreunden Willi Krause und Erich Kröhnke, den Krause, damals noch Reichsfilmdramaturg, als "künstlerischen Leiter" bei Der alte und der junge König eingesetzt hatte, als Aufpasser des Propagandaministeriums. Veit Harlan hätte gern die Regie übernommen, was an Terminschwierigkeiten scheiterte und vor allem daran, dass Jannings nach Der Herrscher an einer weiteren Zusammenarbeit nicht interessiert war. Jedenfalls erklärt es Frank Noack so, ihrer beider Biograph. Die Inszenierung sollte schließlich Hans Steinhoff besorgen.
Goebbels war zunächst begeistert und sah bereits "den großen Schicksalsfilm" vor seinem geistigen Auge (Tagebuch, 10.7. 1938), fand aber den letzten Teil "zu pessimistisch und niederziehend" und bestand auf immer neuen Änderungen. So sollte der Film nicht 1928 enden, sondern mit der "Machtergreifung" der Nazis im Jahre 1933. Im Oktober 1938 wurde das Projekt, das bis dahin 800.000 Reichsmark verschlungen haben soll, auf Geheiß des Ministers eingestellt. Fallada zufolge hatte das mit dem NS-Vordenker und Goebbels-Gegenspieler Alfred Rosenberg zu tun, der gegen den Film intrigierte, weil er ihn, Fallada, für einen "Kulturbolschewisten" hielt, den man ausrotten müsse, statt den Vorspann eines "repräsentativen deutschen Films" mit seinem Namen zu verunzieren. Jannings-Apologeten können der Spekulation viel abgewinnen, dass dieser den Film ins Gigantomanische steigerte, um ein Projekt zu sabotieren, das unter Goebbels’ Einfluss zur NS-Propaganda geworden war. Das klingt besonders dann plausibel, wenn man glaubt (oder glauben will), dass die Propaganda einen Stoff braucht, der in der Gegenwart angesiedelt ist - und nicht im Preußen des 18. Jahrhunderts beispielsweise wie Der alte und der junge König.
Ein "wahrhaft heroischer Film"
Ein Nazi war Emil Jannings wahrscheinlich eher nicht. Man könnte allerdings vermuten, dass er sich mit dem Regime arrangierte, weil ihm das große Rollen in finanziell bestens ausgestatteten Produktionen einbrachte, bei deren Entstehung er als Aufsichtsratsvorsitzender der Tobis ein gewichtiges Wort mitzureden hatte. Damit diente er den Machthabern, ob er es wollte oder nicht. Bereits indem er sich mit Goebbels photographieren ließ wurde er zum Komplizen. Im Frühjahr 1938 gab er bekannt, nun doch einen Film über Robert Koch drehen zu wollen. Erich Engel werde inszenieren und Gerhard Menzel das Drehbuch schreiben. Menzel, ein Spezialist für "nationale Filme", war einer von 88 deutschen Schriftstellern, deren Namen unter einem im Oktober 1933 in diversen Zeitungen veröffentlichten "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" für Adolf Hitler standen. Der Treueschwur für Hitler war eine Reaktion auf die Kritik am Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund und am Erlass des Schriftleitergesetzes, mit dem die Gleichschaltung der deutschen Presse eingeleitet wurde. Nur Schufte denken an dieser Stelle, dass Jannings Menzel haben wollte, um sich bei Goebbels, der letztlich über die Realisierung der Koch-Biographie zu entscheiden hatte, Liebkind zu machen.
Von Jannings unabhängig hatte auch Steinhoff vor einigen Jahren vorgeschlagen, einen Film über Robert Koch zu drehen, der anlässlich seines 25. Todestages am 27. Mai 1935 groß gefeiert worden war (im selben Jahr wurde die Robert-Koch-Gesellschaft gegründet). Da beide ohne Projekt dastanden, nachdem Goebbels beim "Weiten Weg" den Stecker gezogen hatte, lag es nahe, das Erfolgsteam von Der alte und der junge König nun beim Koch-Biopic zu vereinen. Die Aussichten, den Minister dafür zu begeistern, waren gut. 1936 war Carl von Ossietzky, dem ins KZ verschleppten Herausgeber der Weltbühne, der Friedensnobelpreis zugesprochen worden. Hitler hatte das so in Rage gebracht, dass er den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft gestiftet hatte, "um für alle Zukunft beschämenden Vorgängen vorzubeugen". Deutsche mussten den Nobelpreis fortan ablehnen, auf Befehl des Führers. Der Chemiker Adolf Butenandt konnte die ihm 1939 zugesprochene Auszeichnung erst annehmen, als das Dritte Reich zusammengebrochen war.
Die Träger des Nationalpreises der Jahre 1937 (einer war Ferdinand Sauerbruch, der Dritte in der Ärzte-Box) und 1938 wurden jeweils im September auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg bestimmt (1939 war schon wieder Schluss, weil jetzt Eroberungskriege zu führen waren). Hitler überreichte die Preise jeweils im folgenden Januar in der Reichskanzlei in Berlin. Zwei Termine zum Ruhme der nationalisierten Kunst und Wissenschaft waren besser als einer. Um die Einzelheiten kümmerte sich der Propagandaminister. Die Betonung lag auf deutsch. Deutschland feierte große Deutsche und sich selbst. Abweichende Meinungen waren unerwünscht, und die des Auslands sowieso, weil da die "beschämenden Vorgänge" initiiert wurden, die Deutschland schaden sollten. Das deutsche Kino zog nach und lieferte Goebbels die mit Robert Koch Fahrt aufnehmende Reihe der "Geniefilme", deren glorifizierte Helden sich durch dieselben Eigenschaften auszeichneten, die in der NS-Propaganda Adolf Hitler zugeordnet wurden. Der "größte Führer aller Zeiten" erschien so in einer Ahnenreihe mit Friedrich Schiller, Bismarck, Rudolf Diesel und so weiter.
Am 2. März 1939 meldete der Film-Kurier, dass Hans Steinhoff, der Regisseur von Hitlerjunge Quex und Der alte und der junge König, Emil Jannings "für die Idee erobert" habe, "einen wahrhaft heroischen Film zu gestalten, der einem deutschen wissenschaftlichen Genie ein ehernes Denkmal setzt". Schlüsselwörter sind "erobern", "heroisch", "ehern". Die Rhetorik des Films, als dessen geistiger Urheber neben Steinhoff auch Dr. Hellmuth Unger genannt wurde, sollte eine sehr kriegerische sein. Am Drehbuch wirkten so viele Leute mit, dass man sich schwer tat, sie im Vorspann alle aufzuführen. "Ein Film von Gerhard Menzel und Paul Josef Cremers", steht auf einer Titelkarte, und auf der nächsten: "Drehbuch: Walter Wassermann und Diller" sowie "Wissenschaftliche Bearbeitung: Dr. Hellmuth Unger".
Gerhard Menzel war seit dem U-Boot-Drama Morgenrot (1932/33) auf Geschichten spezialisiert, wo eine große Führerpersönlichkeit in schwieriger bis aussichtsloser Lage die Rettung bringt oder zumindest weiß, wie man richtig untergeht. In Flüchtlinge (1933) setzt sich Hans Albers an die Spitze einer Gruppe von Wolgadeutschen, die vor dem Terror der Bolschewisten fliehen müssen. In Heimkehr (1941) lässt Hitler die Polen bombardieren, weil sie die deutsche Minderheit terrorisieren und holt die Überlebenden der von den Polen begangenen Verbrechen heim ins Reich. Wien 1910 (1943), der letzte der "Geniefilme", feiert den antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger und Georg Ritter von Schönerer, einen führenden Vertreter des Pangermanismus (beide werden in Mein Kampf als große Staatsmänner gewürdigt). Immer arbeitete Menzel am Drehbuch mit. Zu Robert Koch, der Bekämpfer des Todes steuerte er Material aus einem damals noch nicht fertigen Bühnenstück bei, Der Unsterbliche (uraufgeführt im November 1940).
Cremers war Journalist und Verfasser von Stücken wie Die Marneschlacht, Rheinlandtragödie und 1813 und laut Film-Kurier "in die vorderste Front der zeitgenössischen Geschichtsdramatik gerückt". In NS-Kulturorganisationen galt er als verlässlicher Gesinnungsgenosse, und seine Chauvi-Stücke wurden mehr wegen der politischen Haltung als wegen ihrer literarischen Qualitäten aufgeführt. Walter Wassermann, ein ehemaliger Schauspieler, hatte sich eine Schreibtechnik angeeignet, die es ihm erlaubte, Drehbücher wie am Fließband auszustoßen. Seit 1935 bildete er ein Team mit der früheren Stummfilmdiva Lotte Neumann (Romeo und Julia im Schnee), die den Geburtsnamen ihrer Mutter als Pseudonym gewählt hatte und als C. H. Diller schrieb. Diese beiden erledigten die "Schweißarbeiten" am Drehbuch, wie Horst Claus es formuliert. In alle Phasen der Drehbuchentwicklung eingebunden waren der Regisseur und der auch als Produzent fungierende Hauptdarsteller.
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