"Ende des BRD-Systems"

Die NPD vor den sächsischen Landtagswahlen

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"Schröder muß weg - Jetzt geht's los!" Die NPD jubelt. Vier Prozent hat sie bei der Landtagswahl im Saarland erzielt, nicht zuletzt wegen ihres Eintretens gegen Hartz IV. Jetzt steht die Landtagswahl in Sachsen ins Haus, die rechtsextreme Partei hofft auf ein zweistelliges Wahlergebnis und will die SPD überflügeln. "Ein Ende der betrügerischen 'Sozialreform' Hartz IV rückt in greifbare Nähe!", freut sich der Parteivorsitzende Udo Voigt.

Die NPD als Partei der sozial Benachteiligten, als Kämpferin gegen Armut und Ausbeutung? Im Saarland hat sie diesen Eindruck zu wecken versucht - erfolgreich. In Völklingen, einer 40.000-Personen-Kleinstadt westlich der Landeshauptstadt Saarbrücken, erzielte sie dabei mit 9,6 Prozent - in manchen Stadtteilen bis zu 18 Prozent - ihren größten Erfolg. Mit fünf Personen zieht sie nun in das Stadtparlament der ehemaligen Bergbaustadt ein, deren Arbeitslosenquote mit rund 18 Prozent fast doppelt so hoch ist wie der Landesdurchschnitt.

Geschickt hat die NPD ihre soziale Demagogie gerade in der Arbeitslosen-Hochburg Völklingen forciert. Die NPD wolle im Saarland "erstmals eine eigenständige Montagsdemonstration gegen Hartz IV durchführen", konnte man Ende August auf einschlägigen Websites lesen: "Geplant ist sie für den 30. August in Völklingen." Die Partei jedenfalls war mit dem Verlauf der Protestaktion zufrieden. "Organisatorisch war (...) alles einwandfrei, sodaß die Ordnungskräfte ohne Probleme mit den NPD-Ordnungskräften zusammenarbeiten konnten", berichtete der saarländische NPD-Landesverband hinterher. 150 Personen sollen teilgenommen haben, die Partei verbreitet ein Demonstrationsfoto mit einem riesigen NPD-Fronttransparent.

Besonders überraschen kann der rechtsextreme Aktivismus in Sachen "Anti-Hartz" eigentlich nicht. Angeblich sozial, vor allem aber national ausgerichtete Agitation ist in der extremen Rechten seit langem ein Thema. Die Parole "frei, sozial und national" etwa ist zur Losung für militante Neonazi-Kameradschaften geworden. Deren historisches Vorbild arbeitete selbst mit sozialer Demagogie.

"Wir fordern, daß sich der Staat verpflichtet, in erster Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeit der Staatsbürger zu sorgen", hieß es in Punkt sieben des NSDAP-Parteiprogramms vom 25. Februar 1920. "Wenn es nicht möglich ist, die Gesamtbevölkerung des Staates zu ernähren", verlangte die Partei damals weiter, "so sind die Angehörigen fremder Nationen (Nicht-Staatsbürger) aus dem Reiche auszuweisen." Dergleichen national-soziale Demagogie verfing damals bekanntlich besonders in der Krise ab Ende der 1920er Jahre. Die NSDAP behielt sie bei, ergänzte sie um einen sich antikapitalistischen gebenden Antisemitismus zum National-Sozialismus und kam mit ihr an die Macht.

Erschreckend dumpf ist der Gedanke, der der national-sozialen Demagogie letztlich zugrunde liegt. Im Angesicht der Krise haben die Deutschen tatsächlich die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Die eine: Man trotzt Staat und Kapital das Kleingeld ab, das man zum Überleben nun mal braucht. Scheinbar einfacher ist eine dumm argumentierende Brutalo-Lösung: Man schmeißt Migrantinnen und Migranten aus dem Land und verteilt die vorhandenen Güter auf die übriggebliebenen Deutschen. Geht der geringere Wohlstand an weniger Menschen, dann - so das unmenschliche national-soziale Konzept - macht der Einzelne immer noch Gewinn.

Ausländerfeindlichkeit als Kern der propagierten "nationalen Erneuerung"

Der NPD gelang es schon bald nach ihrer Gründung im Jahr 1964, mit national-sozialer Agitation im Angesicht der Krise Erfolge zu erzielen. "Anfang 1966 hatten Meinungsumfragen ein rasch anwachsendes Gefühl sozialer Bedrohung und wirtschaftlicher Unsicherheit ermittelt", schrieben Reinhard Kühnl, Rainer Rilling und Christine Sager in ihrer 1969 erschienenen Studie "Die NPD. Struktur, Ideologie und Funktion einer neofaschistischen Partei". "Punktuell (...) entwickelt die NPD Ansätze zu einer scheinbar sozialradikalen Demagogie", analysierten Kühnl, Rilling und Sager. Der Erfolg blieb nicht aus: Die NPD zog mit ihrer Demagogie zwischen 1966 und 1968 in sieben Landtage ein. Erst das knappe Scheitern bei der Bundestagswahl 1969 brach ihre Erfolgsserie und schwächte sie für die nächsten drei Jahrzehnte.

Auch ihre aktuellen Wahlerfolge erzielt die NPD mit national-sozialer Demagogie. "Ab dem 1. Januar 2005 findet der größte soziale Raubbau in der deutschen Nachkriegsgeschichte statt", schreibt der NPD-Kandidat für den sächsischen Landtag Jürgen W. Gansel in der September-Ausgabe der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme. "Trotz aller Sparzwänge", beschwert er sich, würden angeblich "Ausländer und das Ausland weiterhin großzügig finanziert".

Deutsche Stimme-Redakteur Gansel fordert dagegen: "Deutsches Geld für deutsche Menschen". Das ist national, das ist in seinen Augen sozial (jedenfalls für Deutsche) - und überhaupt: "In der Globalisierungsära, in der es für das Volk immer weniger zu verteilen gibt, muß ein jeder Inländer mit gesundem Selbsterhaltungsinstinkt ein sogenannter 'Ausländerfeind' sein."

Bei der NPD gibt man sich durchaus optimistisch. "Der Wähler, der heute die 'Schnauze voll' hat von Multikulti und Sozialabbau, kann wieder auf eine nationale Erneuerung Deutschlands hoffen", erklärt NPD-Parteichef Udo Voigt. Gansel sieht mit den Montagsdemonstrationen gar das "Ende des Systems" nahen: "Die soziale Kahlschlagpolitik der Kartellparteien", schreibt er in der Deutschen Stimme, "könnte einmal als Anfang vom Ende des volksverachtenden BRD-Systems in die Geschichtsbücher eingehen." Und der NPDler verbindet seine Visionen mit antisemitischen Stereotypen, die die finstersten Kapitel deutscher Geschichte in Erinnerung rufen.

Sturz der BRD im Visier

Gansel schimpft in der Deutschen Stimme auf die "US-Außenpolitiker und ihre oftmals jüdischen Stichwortgeber", nennt die "Dialektik der Aufklärung" von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno "ein unappetittlich jüdisches Buch". Dem "Gemeinschaftshaß des entwurzelten jüdischen Intellektuellen" setzt er die "sozial gerechte Volksgemeinschaft" entgegen, beschwört unverhohlen den Umsturz herauf. "Die historische Aufgabe der nationalen Opposition", schreibt Gansel in der September-Ausgabe der Deutschen Stimme, "besteht heute darin, die sich formierende Volksbewegung (gegen Hartz IV) mit allen Kräften zu unterstützen und diese in nationalistische Gesinnungsbahnen zu lenken. Dann stürzt nicht nur die SPD-Regierung, sondern die ganze BRD."

Der Sturz eines demokratischen Systems: Genau dies war bekanntlich während der Krise das Ziel der NSDAP, das sie mit ihrer national-sozialistischen Agitation gegen ein angeblich jüdisches Finanzkapital auch erreichte. Die NPD-Propaganda weist durchaus Parallelen dazu auf. Vom "Sturm auf den Thron der Hochfinanz" ist in der Deutschen Stimme die Rede: "Finanzkapital ist in den Dienst der Volksgemeinschaft zu stellen" (Deutsche Stimme 09/2003). Ein "jüdische(s) Netzwerk", heißt es, ziehe die Fäden und habe etwa "die 'liberale' Finanzpresse des Westens" gegen den russischen Staatspräsidenten mobilisiert (Deutsche Stimme 12/2003). "Das weltumspannende Netzwerk jüdischer Finanzkreise", liest man in der jüngsten Ausgabe der Deutschen Stimme (09/2004), "funktioniert so einwandfrei, daß jede Strafverfolgung eines kriminellen Mitgliedes dieses Netzwerkes mit einem Angriff auf die westliche 'Demokratie' gleichgesetzt wird".

Die NPD, so muss man dem gescheiterten Verbotsverfahren entnehmen, ist eine legale Partei und steht auf dem Boden des Grundgesetzes. Und sie arbeitet weiter an ihrer Demagogie. "Alle Mitglieder, Anhänger und Freunde der NPD sind aufgerufen, an den Montagsdemonstrationen gegen die Abwicklung des Sozialstaates Deutschland teilzunehmen", heißt es auf der Website der Partei.

"Quittung für Hartz IV: Jetzt NPD" fordert sie auf Wahlplakaten, und man muss befürchten, dass die Demagogie auch in Sachsen verfängt. Im Saarland hat die Partei vorgemacht, wie es geht, und eine sächsische Jungwählerin bestätigt gegenüber dem ARD-Magazin Report: "Diesmal werd ich die NPD wählen. Schon wegen Hartz IV."