Energie zum Nullpreis für sozial schwächere Verbraucher?

Die EU-Kommission wirbt für eine Europäische Charta der Rechte der Energieverbraucher. Kritiker sind jedoch der Auffassung, dass die Behörde damit ihren Zuständigkeitsbereich verlässt

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Genau genommen ist die Debatte um die Europäische Charta der Energieverbraucher nichts anderes als die Fortsetzung der Auseinandersetzung um – wie es EU-Kommissionspräsident Josè Manuel Barroso einmal ausdrückte - "nationale Egoismen". Damals gebrauchte er die Formulierung im Hinblick auf den Streit um die EU-Finanzen und das Scheitern der EU-Verfassung durch das Veto der französischen und niederländischen Bürger. Auch die aktuelle Debatte um eine Charta der Energieverbraucher gipfelt derzeit in einer Auseinandersetzung um nationalstaatliche Kompetenzen.

Die EU-Kommissare Meglena Kuneva (Verbraucherschutz) und Andris Piebalgs (Energie) warben heute auf einer Konferenz in Brüssel erneut für die Europäische Charta der Rechte der Energieverbraucher. Die Kommission hatte am 5. Juli 2007 einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt. In dieser Charta sollen die Rechte der Verbraucher in den Bereichen Strom- und Gasversorgung festgeschrieben werden. Sie umfasst unter anderem verbindliche Vorgaben für Vertragsgestaltungen, Auskünfte, Preise, Streitbeilegung und den Schutz vor unlauteren Geschäftspraktiken. Die Charta soll den Verbrauchern helfen, ihre Versorgungsunternehmen auszuwählen und auf den Strom- und Gasmärkten, in denen "freier Wettbewerb" gilt, ihre Rechte wahrzunehmen.

Zwar sollen bereits zwei EU-Richtlinien aus dem Jahr 2003 die Verbraucherrechte betreffend Elektrizität und Gas regeln, 2003/54/EG und 2003/55/EG, doch verlangten die Bestimmungen nach Ansicht der EU-Kommissarin Meglena Kuneva mit Blick auf die vollständige Marktöffnung nach einer klareren Ausformulierung:

„Wir können erst dann sagen, dass wir unser Ziel erreicht haben, wenn es uns gelungen ist, einen transparenten und effizienten Markt zu schaffen, auf dem die Rechte der Verbraucher in vollem Umfang gewährleistet sind und informierte Verbraucher ihr Wissen nutzen, um Vorteil aus dem vorhandenen Angebot zu ziehen.“

In dem Entwurf der Charta sind deshalb eine ganze Reihe von Verbraucherrechten geregelt. So wird in dem Dokument u.a. festgeschrieben, bei Zahlung regelmäßig sichere und gesicherte Strom- und Gasdienste in voraussehbarem Umfang zu erhalten und Strom- und den Gasversorger ohne Kosten wechseln zu können. In der Charta wird vorgegeben, welche Mindestbestimmungen jeder Vertrag mit einem Energielieferanten enthalten muss und welchen Informationspflichten der Lieferant nachzukommen hat. Vorgaben gibt es auch für eine "transparente" Preisgestaltung sowie zur Kennzeichnung zur Herkunft des Stroms und zur Art der Produktion. Zudem enthält die Charta im Entwurf eine sozialpolitische Komponente: Darin wird der Schutz jener Bürger gefordert, die von einer Anhebung der Energiepreise besonders hart betroffen sind. Um eine „Energiearmut“ zu verhindern, soll eine kostenlose Mindestversorgung mit Energie (Strom, Heizung, Licht) sichergestellt werden.

In einer Stellungnahme erklärt das deutsche "Centrum für Europäische Politik" (CEP), dass eine solche Charta in die Vertrags- sowie Berufsfreiheit eingreifen und die Entwicklung der Märkte behindern würde. Die EU sei in diesem Bereich nicht zuständig, weil Fragen der Energieversorgung zum einen ein „relevanter transnationaler Bezug“ fehle. Zudem betreffe der Kommissionsvorschlag die Sozialpolitik, wenn Energiedienste sozial schwachen Verbrauchern zu niedrigeren Preisen oder kostenlos angeboten würden. Für den Bereich der Sozialpolitik bestehe jedoch keine Gemeinschaftskompetenz.

Außerdem vertritt das CEP die Meinung, dass die Versorger die Kosten für eine günstigere oder kostenlose Energieversorgung sozial Schwächerer tragen müssten, was ohne entsprechende Entschädigungszahlungen des Staates gegen geltendes Recht verstoße. Darüber hinaus werde dieses Vorgehen in das Preissystem und damit in die Vertrags- und Berufsfreiheit eingreifen. Zudem stellt das CEP fest, dass „Energie zum Preis Null für sozialschwächere Verbraucher“ höhere Preise für die übrigen Verbraucher erzwingt. Daher erwartet es eine Schädigung des Wachstums und der Beschäftigung, vor allem in energieintensiven Branchen. Das Centrum forderte die Kommission auf, sich auf die Zusammenfassung des geltenden Verbraucherrechts im Energiebereich zu beschränken und die Vorschläge zu weiteren Verbraucherrechten fallen zu lassen.

Auch in der deutschen Politik werden derzeit Entlastungsmaßnahmen für Einkommensschwache diskutiert. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) rief etwa unmittelbar vor den Landtagswahlen in Hessen die Energiekonzerne auf, Einkommensschwachen Rabatt auf den Strompreis einzuräumen und verwies auf das Beispiel von Eon. Der Konzern hatte im Herbst 2006 in Bayern einen "Sozialtarif" eingeführt, bei dem einkommensschwachen Kunden die Grundgebühr erlassen wird. Allerdings gilt dabei als Maßstab für die Einkommensschwäche die Befreiung von den Rundfunkgebühren, auf die viele sozial Schwache wegen des bürokratischen Aufwands und der Eingriffe der GEZ in die Privatsphäre lieber verzichten. Inzwischen soll Eon die Initiative auf alle Regionalgesellschaften ausgeweitet haben.