Enfopol-Pläne: Streit im EU-Parlament
Meinungen verschiedener Ausschüsse prallen aufeinander, Finanzierungsfrage weiter ungeklärt.
Im EU-Parlament streiten sich jetzt zwei Ausschüsse über die Enfopol-Überwachungspläne. In einer Stellungnahme für den "Ausschuß für Recht und Bürgerrechte" am 4.März empfiehlt Luigi Andrea Florio dem zuständigen "Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten", den Ratsvorschlag zurückzuweisen und einen neuen Vorschlag zu verlangen. Dieser ist davon jedoch weit entfernt. In einem eigenen Bericht hatte er von der Arbeitsgruppe "Polizeiliche Zusammenarbeit" (Enfopol) sogar verschärfende Nachbesserungen verlangt.
Angesichts der zweimal revidierten und gekürzten Fassung stelle sich die Frage, so Gerhard Schmid für den "Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten", "ob den Notwendigkeiten wirklich Rechnung getragen" werde. Tatsächlich ist von den ursprünglichen Plänen, wie sie noch im Enfopol-Papier vom September 98 zu lesen waren, wenig konkretes übriggeblieben. Die strittigsten Forderungen wurden aufgrund des öffentlichen Drucks schnell herausgenommen. So wurde der Begriff der "gesetzlich ermächtigen Behörden präzisiert: Jetzt ist ausdrücklich nur noch von Strafverfolgungsbehörden die Rede - die Geheimdienste sind aussen vor. Auch das Kryptographie-Kapitel wurde gestrichen. Es hätte zu einer unliebsamen Weichenstellung in der umstrittenen Kryptofrage geführt.
Grund genug für Schmid, um mit einer neuen Forderung nachzusetzen:
"Die Sicherheitsbehörden sind in Fällen von Schwerstkriminalität darauf angewiesen, daß Aktivitäten im Netz dem Verursacher zugeordnet werden können."
Da Internet Service Provider den Zugang ihrer Kunden häufig über die Verwaltung sogenannter dynamischer IP-Adressen realisierten, sei, so Schmid, ohne Protokollierung im Nachhinein die Zuordnung der Adresse zu einer Person nicht möglich. Ungeachtet der technischen Erkenntisse, die bereits die Generalbundesanwaltschaft im "Radikal"-Fall sammeln mußte, hängt Schmid immer noch der Fiktion nach, IP-Adressen ließen sich in jedem Fall einer bestimmten Person zuordnen. Konsequent kritisiert er die Provider, die "aus Kostengründen" auf eine Protokollierung verzichten. Insgesamt sei der Enfopol-Entwurf lediglich "ein Update der Entschließung von 1995" und zudem unverbindlich.
Schutz der Privatsphäre als Grundrecht
Ganz anders der "Ausschuß für Recht und Bürgerrechte": Zwar sei man von dem in George Orwells Buch "1984" beschriebenem Datenschutzhorror noch weit entfernt, so Florio, aber allein Orwells Mahnung sollte jedem Parlamentarier deutlich machen, daß der "Schutz der Privatsphäre eine fundamentale Regel, ein konstitutioneller Wert speziell für die demokratische Gesellschaft" sei und daß das Abhören von Telekommunikation eine Ausnahme bleiben müsse. Da innere Angelegenheiten nach wie vor von den Mitgliedstaaten selbst geregelt werden, gibt es noch keine europäische Regelung für das Abhören.
Andererseits verfügt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bereits über eine umfangreiche Rechtssprechung zum Schutz der Privatsphäre, die auch das Abhören begrenzt. So dürfen Abhörmaßnahmen nur auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Als Gründe können "in einer demokratischen Gesellschaft" die "nationale Sicherheit, die öffentliche Sicherheit, das ökonomische Wohlergehen des Landes, die Strafverfolgung, die Prävention von Gesetzesverletzungen, der Schutz von Gesundheit oder Moral oder der Schutz der Rechte und Freiheit anderer" gelten. Noch wurde in Straßburg kein einziger Fall zum Abhören von E-Mails verhandelt.
Begriffliche Unschärfen und offene Fragen
Konkret moniert Florio an dem Enfopol-Papier den schwammigen Begriff der "neuen Technologien". Florio:
"Fallen auch Banktransaktionen, Internetshopping und der Gebrauch von E-Cash unter diese Definition?"
Besser sei es, konkret eine Liste der in Frage kommenden Technologien zu erstellen. Hier müssten dann auch Updates der Liste in Kauf genommen werden. Gerhard Schmid hingegen sieht keinen Änderungsbedarf, das "Spannungsverhältnis zwischen Grundrechten und innerer Sicherheit" werde "nicht berührt". Florio kritisiert auch den Punkt der "neuen Spezifikationen", die aufgrund der neuen Technologien erarbeitet werden sollen. Nach Florios Ansicht sind diese Spezifikationen "extrem wichtig", da sie die Grenzen der staatlichen Eingriffe und damit auch die persönliche Freiheit des einzelnen Bürgers konkretisieren. Zudem sei die Frage der Kosten völlig ungeklärt. So müssten die Systembetreiber ihre Anlagen erheblich nachrüsten, um beispielsweise das Telefonieren mit Pre-Paid-Cards nachverfolgen zu können. Schließlich solle der Rat auf das Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags warten, der eine fundamentale gesetzliche Änderung nach sich ziehen wird. Der Vertrag ist immer noch nicht in Kraft, da der französische Vertrag noch nicht hinterlegt wurde.
Anonymisierung darf nicht unmöglich werden
Auch die SPD-Europaparlamentsabgeordnete Erika Mann hat sich jetzt mit einer eigenen Forderung an Schmids Ausschuß gewandt: Die Wünsche der Enfopol-Gruppe dürfen ihrer Ansicht nach nicht dazu führen, daß die Anonymisierung im Netz verboten wird. Mann rechnet damit, daß es vor Herbst zu keiner Entscheidung im Rat kommen wird. Aufgrund des Kommissionsrücktritts, des noch nicht ratifizierten Vertrags sowie der anstehenden Europawahlen sei die Entscheidung Ende Mai schlecht terminiert.