Engel der Volksdeutschen
Seite 3: Jugendwert
Die Unterhaltungsfilme des Dritten Reichs, besagt eine der großen Nachkriegslügen, waren harmlos. Noch harmloser waren die Produktionen der im Dezember 1938 gegründeten Wien-Film, die sich, fernab von Berlin und teutonischer Verbissenheit, in allgemeiner Walzerseligkeit ergingen und eine bessere Vergangenheit mit schönen Kostümen und Johann Strauß beschworen. So berichteten es die Altstars in ihren Memoiren oder in Gedenksendungen des österreichischen Fernsehens, in dessen Sendebereich ich aufgewachsen bin und das sein Nachmittagsprogramm genauso entschlossen mit Unterhaltungsfilmen der NS-Zeit füllte wie das Bayerische Fernsehen nebenan.
Da traf es sich gut, dass die am höchsten dekorierte Produktion der Firma, Heimkehr, nicht mehr gezeigt werden durfte und rasch in Vergessenheit geriet, weil man vergessen wollte. Wer an das Vergangene erinnerte, wurde beschimpft und verächtlich gemacht wie Elfriede Jelinek, in deren Stück Burgtheater Dialoge aus Heimkehr eingearbeitet sind und Figuren auftreten, von denen man fast glauben könnte, dass es sich um Paula Wessely sowie Attila und Paul Hörbiger handelt. Jelineks couragierte Attacke auf die "unantastbare Dreifaltigkeit im Herrgottswinkel heimischer Schauspielkunst", wie der Falter einmal schrieb, sorgte in Österreich für einen Skandal und für Wortmeldungen, die den Eindruck vermitteln, das Theaterstück sei viel schlimmer als alles, was in der NS-Zeit passierte. Sogar Claus Peymann, der sonst nichts ausließ, um die Österreicher zu ärgern, weigerte sich (aus "künstlerischen Gründen"), Jelineks "Posse mit Gesang" am Burgtheater aufzuführen, wo jahrzehntelang ein Kult um den Wessely-Hörbiger-Clan betrieben wurde. Geraunt wurde damals, dass er Angst davor hatte, die betagte und allseits verehrte Paula Wessely könne während seiner Amtszeit als Intendant des Burgtheaters sterben, und dass man ihn dafür verantwortlich machen würde.
Im Mittelpunkt von Heimkehr stehen die Wolhyniendeutschen, deutsche Kolonisten im polnisch-ukrainischen Grenzland. Eine erste Gruppe von Zuwanderern folgte 1763 einem Aufruf von Zarin Katharina II. (das ist die, die in Josef von Sternbergs The Scarlet Empress von Marlene Dietrich und in Münchhausen von Brigitte Horney verkörpert wird), die größte Zahl von Deutschen siedelte sich im 19. Jahrhundert in dem vom Fluss Bug bis kurz vor Kiew reichenden Gebiet an. Ab 1860 galten die Wolhyniendeutschen als eigene Volksgruppe. Nach dem Ersten Weltkrieg verpflichtete sich Polen in einem Vertrag mit den Siegermächten zur Wahrung der Minderheitenrechte. Danach wurde oft nicht eingehalten, was versprochen worden war. Zwischen den Polen und den Deutschen gab es historisch bedingte Spannungen (viele nach Polen ausgewanderte Deutsche wurden angefeindet, weil sie sich 1830/31 nicht am Novemberaufstand gegen den Zaren beteiligt hatten und zogen damals nach Wolhynien weiter). Diese Spannungen verschärften sich nach der Annexion von Österreich und dem Münchner Abkommen.
Daran änderte auch das zwischen der deutschen und der polnischen Regierung geschlossene "Übereinkommen über die Behandlung der Minderheiten" vom 5. November 1937 nicht viel. Organisationen wie der Volksbund für das Deutschtum im Ausland trugen zur Radikalisierung bei, und die polnische Seite, die deutsche Gebietsansprüche fürchtete, verhielt sich nicht sonderlich geschickt, schürte Ressentiments, statt sie abzubauen. Bestimmt gab es Übergriffe gegen die deutsche Minderheit in Polen, die aber keinen Einmarsch rechtfertigten. Einer solchen Rechtfertigung diente ein wildes Sammelsurium aus Tatsachen, Übertreibungen und Propagandalügen, das 1940 vom Auswärtigen Amt herausgegeben wurde: Dokumente polnischer Grausamkeit. Alt- und Neonazis dient das Werk bis heute als Ausgangspunkt für ihren Revanchismus. Heimkehr ist die Bebilderung dazu.
Trotzdem, finde ich, sollte man den Film weiter zeigen. Obwohl die Polen die Massaker begehen, ist er aus heutiger Sicht ein Dokument deutscher Grausamkeit. Wir, die Nachgeboren, sollten wissen, was unsere Vorfahren im Kino sahen - ganz regulär und mit Empfehlung von höchster Stelle. Heimkehr erhielt die Prädikate "Staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll", "Volksbildend", "Jugendwert" und "Film der Nation". Mehr ging nicht. Das Prädikat "Jugendwert" wurde am 21. November 1938 auf Anregung von Mathias Wieman eingeführt, der die Idee dazu 1937 beim ersten Filmkongress der Hitlerjugend in Hamburg gehabt hatte. Wieman starb den Heldentod in Unternehmen Michael, bekehrte sich in Ich klage an zur Euthanasie, gehörte 1937 zum ersten Jahrgang der "Staatsschauspieler", war Mitglied im 1942 von Goebbels eingerichteten "Ehrenrat für den deutschen Film", las im Radio deutsche Klassiker und gestaltete eine sonntägliche Märchensendung für Jung und Alt, weshalb er als Kinderversteher galt.
1950 setzte Wieman seine Filmlaufbahn fort, seine Theaterkarriere schon einige Jahre früher. 1958 verlieh ihm seine Heimatstadt Osnabrück ihre höchste Auszeichnung, die Möser-Medaille, mit der Persönlichkeiten geehrt werden, die sich in besonderer Weise um das öffentliche Wohl verdient gemacht haben. Der Eintrag zu Wieman auf der Website von Osnabrück ist mit "Vertreter des geistigen Deutschlands" überschrieben und tut so, als habe er im Dritten Reich immer nur Gedichte von Goethe und Hölderlin vorgelesen. "Als Schauspieler war er ein Mann der Stille", steht da, "in seinem Spiel offenbarte er einen tiefen, philosophischen Ernst." Weil er das Kulturelle vor sich hertrug wie eine Monstranz, Herr Bürgermeister, war dieser Sohn Ihrer Stadt so wertvoll für die Propaganda.
In den 1960ern war Wieman auch ein gefragter Werbesprecher (u. a. in der Asbach-Uralt-Reklame). 1965 bekam er einen Bambi - für seine Rezitationskünste, glaube ich, nicht zum zwanzigjährigen Jubiläum des Verbots von vier NS-Propagandafilmen, in denen er die Hauptrolle gespielt und die man dank des Verbots vergessen hatte. Zwei Jahre vorher hatte sich Paula Wessely einen Bambi abgeholt, die Hauptdarstellerin von Heimkehr. Verjähren solche Preisverleihungen irgendwann? Oder wird der "Courage-Bambi" für Tom "Stauffenberg" Cruise noch etwas peinlicher, wenn man das weiß?
Ein als "Jugendwert" eingestufter Film zählte zu denen, die nach Meinung der Nazis "die ewig gültigen Werte unseres Volkes in sich tragen und ausstrahlen, Filme, die, gerade und klar, ohne greifbare Tendenz, die Jugend suchen und sie erziehen" (Film-Kurier, 24.11.1938). Das Prädikat war von entscheidender Bedeutung dafür, was in der Schule, bei den "Jugendfilmstunden" der HJ und bei anderen Jugendveranstaltungen gezeigt wurde. Bei diesen Veranstaltungen gab es eine Einführung durch einen dafür geschulten Referenten und eine gelenkte Diskussion. Schwierige Themen wurden zum Beispiel bei den "Heimabenden" der Hitlerjugend nachbearbeitet und vertieft. 1941/42 wurden 12.560 Jugendfilmstunden durchgeführt (mit 4.800.000 Teilnehmern), 1942/43 waren es schon 45.300 (11.215.000 Teilnehmer). 1943 landete Heimkehr bei einer Umfrage unter Jugendlichen nach dem beliebtesten Film auf dem fünften Platz. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass die heute über Achtzigjährigen Heimkehr gesehen - und das Erfahrene an ihre Kinder und Enkel weitergegeben - haben. Genauso gruselig ist der Gedanke, dass damals wirklich jemand geglaubt haben könnte, dieser Hetzfilm habe keine "greifbare Tendenz".
Verschwundene Juden
Die erhaltenen Dokumente lassen darauf schließen, dass Goebbels den "Wolhynienfilm" im Dezember 1939 persönlich anordnete (was nicht heißt, dass er das Projekt nicht gestoppt hätte, wenn er mit Tourjanskys Feinde rundum zufrieden gewesen wäre). Den Auftrag gab er an die Wien-Film, weil er glaubte, dass man in der "heim ins Reich" geholten "Ostmark" für den Stoff besonders sensibilisiert sei. Es lag nahe, das bewährte Duo Gustav Ucicky und Gerhard Menzel mit der Realisierung zu betrauen. Ucicky hatte Kassenschlager wie Der zerbrochene Krug (1937) und Der Postmeister (1939/40) inszeniert und gehörte mit einer Gage von 80.000 Reichsmark pro Film zur ersten Liga der Regisseure, zusammen mit Veit Harlan und Wolfgang Liebeneiner. Gerhard Menzel, Schriftsteller und Träger des Kleist-Preises, war einer der Top-Drehbuchautoren und wurde in der Presse als "Filmdichter" gepriesen. Ucicky und Menzel hatten 1932 mit Morgenrot einen von den Nazis sehr goutierten Film über den U-Boot-Krieg gemacht und 1933 mit Flüchtlinge den Prototyp aller NS-Propagandastreifen über von Barbaren drangsalierte und von einer Führerfigur nach Hause geleitete Auslandsdeutsche folgen lassen (in Flüchtlinge bringt Hans Albers die von Russen und Chinesen terrorisierten Wolgadeutschen heim).
Goebbels wirkte offenbar an der Entwicklung mit oder achtete zumindest darauf, dass sich Ucicky und Menzel an die von ihm vorgegebenen Richtlinien hielten (siehe seine Tagebucheintragungen vom 4.2., 16.2. und 2.3.1940). Offiziell angekündigt wurde der "Großfilm" im September 1940. Um keinen Zweifel daran zu lassen, dass Heimkehr ein Prestigeprojekt mit kulturellem Anspruch war, wurden gefeierte Bühnenstars wie das Ehepaar Paula Wessely und Attila Hörbiger engagiert, beide Ensemblemitglieder am Theater in der Josefstadt (später am Burgtheater) und durch ihre Filmarbeit auch dem deutschsprachigen Kinopublikum bekannt. Die erste Klappe fiel am 2. Januar 1941 (zwei Monate nach der Uraufführung von Feinde am 7. November 1940). Gedreht wurde in Wien, im ostpreußischen Ortelsburg und in Chorzele, einem Städtchen im besetzten Polen (nördlich von Warschau). Im März 1941 luden die Wien-Film und die Ufa (Verleih) Pressevertreter zu einem Besuch der Außenaufnahmen ein. Das war Teil der Propaganda. Die so entstehenden Berichte sollten das Publikum auf den Film einstimmen und dazu beitragen, dass die gewünschte Wirkung erzielt wurde. Ein Journalist der Filmwelt (7.3.1941) tat so, als sei das, was er gesehen hatte, eine typisch polnische Stadt. Eigentlich müsste ihm aufgefallen sein, dass die Ausstattungsabteilung ganze Arbeit geleistet hatte:
Chorzele ist eine "Stadt". Die Polen nannten das Nest jedenfalls so, weil hier ein Bürgermeister residierte und weil die Bauern der Umgebung auf dem morastigen Marktplatz ihre Produkte absetzten. Wer hiervon den Profit hatte, das tun die Ladenschilder rings um den Marktplatz kund: auf etwa neun unverkennbar jüdische Namen kommt der Name eines polnischen Händlers. Wen wird es da wundern, daß von den 3000 Seelen Chorzeles rund 2000 zum mosaischen Gott für ein gutes Gelingen ihrer Geschäfte beteten. Im übrigen präsentierte sich uns die "Stadt" in unglaublich verfallenen und schmutzverkommenen Holzhütten, es gab weder Wasserleitung noch ein anderes Zeugnis einer halbwegs modernen Zivilisation […].
Auffallend ist, dass mit jeder neuen Drehbuchfassung das russisch-ukrainische Element ein Stück mehr verschwand. Im fertigen Film ist nur übrig geblieben, dass polnisches Militär zur Grenze unterwegs ist und die Gegend früher zum russischen Hoheitsgebiet gehörte (bis 1921). Alles konzentriert sich auf den Antagonismus zwischen Deutschen und Polen, und es gibt eine von Version zu Version deutlicher werdende antisemitische Tendenz. Über den Antisemitismus wundert man sich, wenn man vorher versucht hat, sich aus den üblichen, leicht zugänglichen Quellen zu informieren. "Heimkehr ist ein deutscher anti-polnischer Propagandafilm von Gustav Ucicky aus dem Jahr 1941", steht aktuell bei Wikipedia. "Die Schilderung angeblicher polnischer Übergriffe auf ‚Volksdeutsche’ in Polen sollte nachträglich den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 rechtfertigen", kommentiert das Filmportal, und bei film.at geht es auch nur um die deutsche Minderheit und um die Polen. Was, bitte, ist aus den Juden geworden?
Meine Vermutung: Mit Heimkehr verhält es sich so wie mit den meisten anderen "Vorbehaltsfilmen" auch. Weil sie nicht öffentlich gezeigt werden dürfen, hat sie kaum jemand gesehen, und wer trotzdem über sie schreibt, konsultiert gern mal die alten Filmprogramme. Das ist höchst problematisch, weil diese Programmhefte in einer gleichgeschalteten Presselandschaft Teil der Propaganda waren. Offenbar gab es eine Arbeitsteilung. In Vorberichten und Kritiken zu Heimkehr wurde auf die Juden hingewiesen. In der Inhaltsangabe des Illustrierten Film-Kuriers, dem Programmheft zum Sammeln, werden sie mit keinem Wort erwähnt. Warum? Ich würde sagen: Weil das die beabsichtigte Wirkung intensivierte. Ein Zuschauer, der für sich selber "entdeckt" (mit etwas Lenkung durch Drehbuch, Kamera, Montage und Regie, andere Veröffentlichungen und die Referenten bei den vielen Sondervorführungen), dass die Juden die Wurzel allen Übels sind, wird es überzeugender finden und besser behalten als einer, dem man es zu deutlich vor die Nase hält. Das ist elementare Wirkungspsychologie.
Das Verbot von derzeit etwa vierzig Filmen des NS-Kinos wird, wenn überhaupt, damit begründet, dass sie "gefährlich" sind. Theoretisch ist es wie mit der Büchse der Pandora. Wenn man sie öffnet, kommt in diesem Fall die Nazikrankheit heraus und man wird infiziert. In der Praxis ist es so, dass man sich Heimkehr aus dem Ausland schicken lassen kann. Der Preis liegt zwischen 5 britischen Pfund + Porto (dafür gibt es einen zweiten Vorbehaltsfilm mit dazu) und 40 Euro. Wenn man ein Alt- oder Neonazi ist und andere Alt- oder Neonazis kennt, kriegt man ihn bestimmt auch mal umsonst. Und wenn man keiner ist, kann man Heimkehr bei archive.org herunterladen. Eine gut kommentierte DVD würde ich in dieser Situation vorziehen. Statt sich auf unbewiesene Pandora-Theorien zu verlassen, sollte man wissen, was die Neonazis (und solche, die es werden könnten) ohnehin sehen können, wenn sie es wollen, weil sich nur so eine vernünftige Gegenstrategie entwickeln lässt. Die Deutschen mussten länger in autoritären Gesellschaftssystemen leben als viele ihrer westlichen Nachbarn. So leicht wird man das nicht los. Die Problemlösung per Verbot ist uns lieb und teuer. Wenn aber der Antisemitismus durch das so geschaffene Wahrnehmungsmuster rutscht, sollte man die Verbieterei dringend überdenken.
Bücherverbrennung in Wolhynien
Gerald Trimmel hat ein gutes Buch über Heimkehr geschrieben (Kurzfassung bei Donau-Universität Krems) und interessantes statistisches Material gefunden. Laut einer Volkszählung von 1931 waren in Wolhynien auch die Polen mit einem Bevölkerungsanteil von 16,6 Prozent eine Minderheit. Die Ukrainer brachten es auf 68 Prozent, Juden auf knapp 10 Prozent, die Deutschen auf 2,3 Prozent. Mit den Wolhyniendeutschen, fürchte ich, war insgesamt nicht viel Staat zu machen. Sie waren weniger gebildet als die deutschen Volksgruppen in den anderen Woiwodschaften - nicht, weil sie besonders schlimm unterdrückt wurden, oder weil sie besonders dumm waren, sondern weil Wolhynien besonders rückständig war (den verfügbaren Zahlen nach waren in den frühen 1920ern fast 70 Prozent der über Zehnjährigen Analphabeten, und die Deutschen trugen nicht nennenswert zur Verbesserung des Durchschnitts bei). Mehr über die Wolhynier kann man vermutlich bei einem Besuch des "Umsiedlermuseums" im mecklenburgischen Dorf Linstow erfahren, dessen Internetauftritt noch ausbaufähig ist.
Heimkehr beginnt in Emilienthal, einem Dorf in der Nähe der Stadt Luzk. Die Gegend ist mit Bedacht gewählt. Im echten Luzk gab es seit den 1920ern den "Volksrat der Deutschen in Wolhynien", 1938 umbenannt in "Deutsche Volksvertretung in Wolhynien". Im Gasthof von Emilienthal, dem "Deutschen Haus", muss Dr. Thomas dem Wirt Ludwig Launhardt (Attila Hörbiger) den Blinddarm entfernen. Man fragt sich, warum das nicht im Krankenhaus geschieht - und erfährt später, dass das Hospital keine Deutschen aufnimmt. Marie, die Tochter von Dr. Thomas, ist Lehrerin und die Verlobte von Dr. Fritz Mutius. Am Ende wird sich Launhardt nicht trauen, ihr einen Antrag zu machen, weil er nur ein einfacher Gastwirt ist und nicht studiert hat. So wird suggeriert, dass die höhere Bildung bei den Wolhyniendeutschen die Norm ist. Meinen Informationen nach gehörte das Lesen und das Schreiben eher nicht zu ihren Stärken. (Gern lasse ich mich eines Besseren belehren.)
Für deutsche Kinder gab es die kirchlichen "Kantonatsschulen". 1932 trat in Polen ein Gesetz für Privatschulen in Kraft. Dreißig von den achtzig noch existierenden Kantonatsschulen der deutschen Minderheit konnten so umgewandelt werden, dass sie den neuen Bestimmungen entsprachen und der Schließung entgingen. 1938 waren noch dreiundzwanzig davon in Betrieb. In Heimkehr ist von neuen Regelungen für Privatschulen nicht die Rede. Die Handlung setzt am 27. März 1939 ein. Die polnischen Behörden brauchen ein Gebäude für die Gendarmerie und requirieren das deutsche Schulhaus, als wollten sie bei dieser Gelegenheit den hohen, vom Film erfundenen Bildungsstandard der neidisch beäugten Minderheit rückgängig machen. Deutsche Schulkinder sehen entsetzt dabei zu, wie Tische, Stühle, Bücher, eine Schultafel und ein Globus von den Polen aus den Fenstern geschleudert, auf einen Haufen geworfen und von einem jüdischen Jungen angezündet werden. Ein paar alte Juden mit Kaftan und langem Bart stehen lachend dabei und freuen sich.
Marie Thomas, die Lehrerin, ist einstweilen beim polnischen Bürgermeister und fordert die Rechte ihrer Volksgruppe ein: "Auch in Polen gibt es Gesetze. Gesetze zum Schutz der Minderheiten, auch der deutschen Minderheiten." Das seien gefährliche, aus Deutschland importierte Ideen, erwidert der Bürgermeister, vor denen er nur warnen könne. Nazi-Deutschland als Hort der Minderheitenrechte: Wenn der Film nicht so widerlich wäre, könnte man fast lachen. "Wir dulden", fährt der Bürgermeister fort, "keine staatsgefährlichen Doktrinen von sogenanntem Volkstum." Die Wolhyniendeutschen seien Polen. Und: "Wir wissen genau, woran wir sind … nach den Vorgängen in der Tschechoslowakei." Gemeint ist der Einmarsch im Sudetenland im März 1939, den Hitler mit angeblichen Gräueltaten gegen die deutsche Minderheit begründete (wie den Überfall auf Polen im September 1939).
Plötzlich dringen junge Männer zum Amtszimmer des Bürgermeisters vor, um ihrer Empörung darüber Luft zu machen, dass man ihnen das Schulhaus weggenommen hat. Der Bürgermeister hält für solche Fälle ein Gewehr bereit und wirkt enttäuscht, als es Marie gelingt, die Männer zum Gehen zu bewegen. "Druck erzeugt Gegendruck", sagt er höhnisch. Die Botschaft des Films: Die Polen provozieren in der Hoffnung, dass ihnen die zurecht empörten Deutschen einen Vorwand für weitere Repressalien liefern. Ucicky und Menzel ist auch der Hinweis auf das Sudetenland sehr wichtig. Deshalb wird das einige Minuten später noch einmal aufgenommen. "Die Sache mit der Tschechoslowakei hat die Leute ein bisschen wild gemacht", sagt Dr. Thomas. "Wie alle Menschen, die ein schlechtes Gewissen haben." Soll heißen: Die Deutschen in der Tschechoslowakei wurden terrorisiert, bis Hitler eingriff und dem ein Ende machte. Jetzt fürchten die Polen, dass auch sie für die an den Deutschen begangenen Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden. Der Rest des Films wird demonstrieren, was das für Gräueltaten sind, warum die Wehrmacht einmarschieren muss und wer da zu ermorden ist.
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