Entgleiste Subventionen
Die Privatisierung der Bahn bringt statt einer Haushaltsentlastung Mehrkosten
Der Bund tritt bei der Privatisierung der Bahn freiwillig sämtliche Mitspracherechte ab, verpflichtet sich zu Subventionen und darf dafür das Schienennetz nach 15 Jahren zu einem noch unbekannten Preis "zurückkaufen". Damit droht die Aktion für die öffentliche Hand und die Verbraucher zu einem ähnlichen Verlustgeschäft zu werden wie in Großbritannien.
Laut einer Studie der Commerzbank brächte dem Bund der Verkauf von 49,9 Prozent der Anteile an der Bahn AG lediglich 3,1 Milliarden Euro, während der "reale" Vermögenswert der Bahn nach Angaben von Winfried Wolf im letzten Juni vom SPD-Abgeordneten Peter Danckert im Verkehrsausschuss auf 150 bis 250 Milliarden Euro geschätzt wurde. Ein ziemlich schlechtes Geschäft also. Aber das Geschäft wird noch wesentlich schlechter, wenn man sich das Privatisierungsgesetz und dessen Folgen für die öffentliche Hand genauer ansieht.
Privatisierungsgesetz
Im Februar 2006 wurde dem deutschen Bundestag ein Gutachten über fünf Privatisierungsvarianten der Bahn präsentiert. Ein Gutachten zur Optimierung der Bahnleistung beim möglichen Verbleib in öffentlicher Hand wurde nicht in Auftrag gegeben. Ende 2006 beschloss dann das Parlament ein Bahnprivatisierungsgesetz zu erarbeiten, dessen Entwurf im Januar diesen Jahres öffentlich bekannt wurde. Dieser Plan stieß auf vehemente Kritik des an die Börse drängenden Bahn AG-Vorstands Hartmut Mehdorn, so dass er noch einmal umgearbeitet wurde. Mit dem Ergebnis, dass es in dem von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) autorisierten Entwurf um die Rolle des Bundes bei der privatisierten Bahn noch einmal weit ungünstiger bestellt ist als vorher.
Folgendes ist nun vorgesehen: Die Bahn AG soll die Teile Nah-, Fern-, Schienengüterverkehr und Logistik in ihre Verfügungsgewalt bekommen, während Netz, Stromversorgung und Bahnhöfe auch künftig in den Infrastrukturgesellschaften des Bundes bleiben. Damit wird die Bahn "teilprivatisiert" - der Form nach. Denn tatsächlich überlasst der Bund die reale Verfügungsgewalt über sein Eigentum an der Infrastruktur der Bahn AG für 15 Jahre.
Das bedeutet, pro forma bleibt der Bund Eigentümer, während die Bahn einen Freibrief über die wirtschaftliche Verfügung bekommt. Der Bund wird sich die Teilprivatisierung der DB AG für diesen Zeitraum jährlich ungefähr 15 Milliarden Euro kosten lassen müssen - er soll nämlich 2,5 Milliarden Euro pro Jahr für den Netzunterhalt zahlen und darüber hinaus die Kosten für Neubauten und den Regionalverkehr tragen.
Dafür verliert er an Möglichkeiten, um über die Verwendung seiner Gelder bestimmen zu können. Diese müssen dann nicht in den Erhalt der Bahn gesteckt werden, sondern können an die privaten Anleger fließen. Vorgesehen ist weiter, dass nach dieser Zeit die von der Bahn verwalteten Besitztümer endgültig an die Bahn AG übergehen. Sollte sich hierzu der Bund nicht bereit erklären, kann er diese für einen bis heute unbekannten Betrag "wiedererwerben".
Leere Kassen als Vorwand
Das "Eigentumssicherungsgesetz" stellt sich also bei näherer Betrachtung genau als das Gegenteil davon heraus, wovon der Name kündet: Die DB AG kann bis zum Jahr 2022 die komplette Infrastruktur benutzen, ohne aber die Verpflichtung, die Gewinne (allein bis 2010 geht die Bahn von Gewinnen zwischen 8 bis 10 Milliarden aus), wieder in diese reinvestieren zu müssen. Dafür besitzt sie die Möglichkeit, diese z. B. zur Expansion ins Ausland verwenden zu können. Die Bahn bekommt zudem das Recht, "nicht bahnnotwendiges Gelände" zu veräußern.
Ob dieser finanziellen Folgen scheint es, dass die leeren Kassen des Staates nur als Vorwand dienen, öffentliches Eigentum zu einem Bruchteil seines realen Wertes zu verscherbeln, die Verfügungsgewalt des Staates über die Infrastruktur abzukappen und dafür den Betreibern die Befreiung von externen Kosten zuzusichern. Die staatlichen Subventionierungen werden damit keineswegs zurückgefahren, sondern wahrscheinlich sogar weiter ausgedehnt. Sie dienen aber nicht mehr der Instandhaltung der Infrastruktur, sondern werden an die privaten Anleger ausgeschüttet. Es entsteht die groteske Situation, dass sich der Staat mit der Begründung, seinen Haushalt zu sanieren, finanziell weiter aushöhlt, seine Handlungsfähigkeit aufgibt, diese Entwicklung politisch überhaupt erst ermöglicht und dann auch noch selbst finanziert.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Wenig verwunderlich also, dass es gegen das Projekt auch verfassungsrechtliche Bedenken gibt. Auf Kritik stößt unter anderem der Umstand, dass sich mit diesem Gesetz "der Bund jenseits jedes unmittelbaren Einflusses auf das operative Geschäft der Infrastrukturgesellschaft" begibt - womit gegen das Infrastrukturgebot des Grundgesetzes verstoßen würde. Laut dem Sprecher der Initiative "Bürgerbahn statt Börsenbahn", Winfried Wolf, greift diese Kritik aus dem Innenministerium sogar noch zu kurz, weil es in Artikel 87e Absatz 4 des Grundgesetzes wörtlich heißt:
"Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird."
Damit verbietet der Verfassungsartikel laut Wolf eine Privatisierung des Bahnbetriebs - denn private Betreiber werden sich selbstverständlich am Aktienkurs und nicht an den Verkehrsbedürfnissen oder am Wohl der Allgemeinheit orientieren. Für sie, so Wolf "zählt allein die maximale Rendite."
1994 wurden die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn in die "Deutsche Bahn AG" mit den Vorgaben umgewandelt, sich möglichst frei von staatlichen Subventionen zu machen und den Auto- und Flugverkehr auf die Schienen zu bringen. Tatsächlich schien Mehdorn mit seinen jüngsten Erfolgsmeldungen zumindest den ersten Punkt erfüllt zu haben. Doch nach den Berechnungen von "Bürgerbahn statt Börsenbahn" kamen die von Mehdorn präsentierten Erfolgsmeldungen nur durch systematische Bilanzierungstricks zustande. Auch das zweite Ziel, der Ausbau des Schieneverkehrs wurde nicht nur verfehlt, sondern durch die reale Entwicklung konterkariert. Dafür wurden unter Fixierung auf betriebswirtschaftliche Kriterien 5700 Kilometer Bahnstrecke stillgelegt, 500 Bahnhöfe dicht gemacht, 180.000 Mitarbeiter abgebaut und Sicherheitsstandards vernachlässigt, was die katastrophalen Unfälle in Eschede und Brühl zur Folge hatte.
Britische Zustände
Kritiker wie Ingo Hansen befürchten deshalb, dass mit dem Börsengang der Bahn alles, was nicht der unmittelbaren Verwertungslogik gehorcht, weiter outgesourct oder abgebaut wird:
"Die Kosten der Privatisierung von Verkehrwegen einschließlich der Transaktionskosten sind wegen der hohen Refinanzierungskosten von Privatkapital zweifellos deutlich höher als der Verbleib der Verkehrswege in staatlicher Eigenregie und könnten theoretisch nur durch erhebliche Effizienzsteigerung der Privatunternehmen kompensiert werden."
Laut Hansen ist zu befürchten, dass weitere 5000 Schienenkilometer gestrichen, 60.000 bis 80.000 Mitarbeiter entlassen und 1800 Bahnhofsgelände verkauft werden. Wartung und Instandhaltung würden weiter reduziert und somit Unfälle und Verspätungen zunehmen, Städte und Regionen würden vom Schienennetz abgekoppelt, während man wenige, aber das Image fördernde Mammutprojekte mit Höchstgeschwindigkeitszügen für Geschäftsreisende wie die ICE-Trasse in Erfurt weiter vorantreibt.
Dabei gibt es in Europa anhand des Geschicks der British Railway ein Beispiel, wie sich eine Privatisierung des Bahnverkehrs auswirken könnte. In England herrscht seit der Privatisierung der Eisenbahn eine Pünktlichkeit und ein Service wie in der Dritten Welt - aber zu Preisen wie auf dem Mond. Hinzu kommen inkompatible Fahrkartensysteme, nicht aufeinander abgestimmte Fahrpläne und katastrophale Unfälle. Im Moment wird das privatisierte Verkehrsmittel dort mit 3,5 Milliarden Pfund subventioniert - doppelt so viel wie die Unterstützung zu Zeiten von British Rail. Am 3. Mai startet in den deutschen Kinos der Dokumentarfilm "Bahn unterm Hammer", der am Beispiel der Privatisierung von British Rail zeigt, was auch in Deutschland blüht.