"Entsäkularisierte Islamisierung der Integrationsdebatte"

Der Islamwissenschaftler Rainer Brunner über die Einführung der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seit Jahren wurde über eine Einführung des Islamischen Religionsunterrichts und eine Islamische Theologie an deutschen Universitäten diskutiert, ohne wirkliche Fortschritte zu machen. Doch in den letzten Monaten ist ein auffälliger Aktionismus seitens des Staates zu erkennen. Binnen kürzester Zeit sollen an verschiedenen Standorten Professuren für Islamische Theologie entstehen, die zukünftige Theologen und Religionslehrer ausbilden sollen. Der Islamwissenschaftler Rainer Brunner, der an der Universität Freiburg arbeitet und am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris forscht, wirft im Gespräch mit Eren Güvercin einen kritischen Blick auf diese Entwicklung.

Nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates an deutschen Hochschulen Zentren für islamisch-theologische Forschung zu etablieren, wird nun von staatlicher Seite in atemberaubendem Tempo verschiedene Standorte mit beträchtlichen Geldern ausgestattet, um die Islamische Theologie einzuführen. Wie bewerten Sie als Islamwissenschaftler diese Entwicklung?

Rainer Brunner: Die gesamte Debatte scheint mir überhaupt erst einmal den politischen Umständen geschuldet zu sein. Mit dem Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes, das den bekenntnisgebundenen Religionsunterricht vorschreibt, wird die Notwendigkeit für gewisse Voraussetzungen wie etwa Lehrerausbildung und letzten Endes natürlich auch Theologenausbildung geschaffen.

Die Gründung der islamischen Theologie scheint mir politisch gewollt zu sein. Das hat in Verbindung mit verschiedenen anders gelagerten politischen Debatten der letzten zehn Jahre - etwa über die Sicherheitspolitik - eine, wie ich finde, geradezu groteske Überforderung und auch Erwartungshaltung der Politik zur Folge. Man will hier sozusagen einen aufgeklärten Islam europäischen Zuschnitts etablieren, ohne dass es dafür im Augenblick sichtbar irgendwelche strukturellen und personellen Voraussetzungen gibt. Auf der anderen Seite aber will man auch so etwas wie Sozialarbeiter ausbilden, Integrationslotsen im weiteren Sinne.

Man betreibt so, wie ich meine, eine ziemlich weitgehend entsäkularisierte Islamisierung der Integrationsdebatte. Über viele Jahre hinweg hat man gesagt, Integrationsprobleme seien vielfältiger Natur, also sozialer, wirtschaftlicher und bildungspolitischer Natur. Das halte ich auch für richtig. Umso alarmierender finde ich, wenn es doch irgendwie alles eingeschränkt wird auf den Islam. Die Imam-Ausbildung, die hier angestrebt wird, soll ja zu nichts anderem führen als zu einem muslimischen Sozialarbeiter, was dann letzten Endes zu einer Islamisierung der Muslime führt.

Christian Walter, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster, sprach im Zusammenhang mit der Einrichtung islamisch-theologischer Zentren auch von einem "legitimem Zähmungsinteresse" des Staates.

Rainer Brunner: Diese Äußerung von einem "legitimen Zähmungsinteresse" läuft natürlich darauf hinaus, dass man sagt, man möchte dem Fundamentalismus entgegenwirken. Das ist im Prinzip durchaus ehrenwert. Ich halte es allerdings aus zwei Gründen für ein bisschen problematisch. Die Durchsetzung eines aufgeklärten Islams, der nach Frau Schavan vor Aberglaube oder Irrglaube schützen soll, ist nicht Aufgabe des Staates. Es gehört nicht zu den Aufgaben eines Staates zu beurteilen, was Aberglaube oder Irrglaube ist. Was in dieser islamischen Theologie, wenn sie einmal eines Tages kommen sollte, dann irgendwann gelehrt wird, das ist Sache der Muslime selbst.

Was das "Zähmungsinteresse" betrifft, so halte ich es da eher mit dem französischen Islamwissenschaftler Olivier Roy, der die These vertritt, die Entkoppelung der Religion - er spricht dabei nicht nur von einer Religion, sondern von Religion allgemein - von der umgebenden Kultur sei ein Hauptmotiv oder ein Hauptgrund für die Radikalisierung von Religionen. Wenn man dieser These folgt, der ich einiges abgewinnen kann, dann scheint mir jedenfalls der Versuch, über eine staatlich protegierte Theologie eine Religion zähmen zu wollen, dem Versuch ähnlich zu sein, wieder den Senf in die Tube zurück zu drücken.

In diesem rasanten Tempo, mit dem die Etablierung einer Islamischen Theologie von statten geht, ist auffällig, dass die Basis, also die muslimischen Gemeinschaften, die ja schließlich die Abnehmer der zukünftigen Theologen sein werden, kaum in diesen Prozess eingebunden sind.

Rainer Brunner: Ich wüsste nicht, wie die Basis tatsächlich konsultiert werden könnte. Letzten Endes geht es hier natürlich um Repräsentationskämpfe. Wer spricht für die Muslime?

Nach allem, was man weiß, vertreten die muslimischen Dachverbände ohnehin nur 20 bis 25 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime, treten aber mit dem Anspruch auf, für die Muslime zu sprechen. Deswegen scheint es mir auch völlig klar zu sein, wenn dann von Verbandsseite, sprich von den Beiräten, die für die Berufungsverhandlungen eingerichtet werden sollen, Einsprüche kommen. Dann wird es mit der Akzeptanz schwierig. Das Beiratsmodell stößt ja allenthalben auf große Kritik, weil auch überhaupt nicht klar ist, aufgrund welcher Autorität und welcher Grundlage überhaupt gegenbenenfalls Einspruch erhoben werden soll oder kann.

Auf diese Grenzziehung, die zweifellos eines Tages stattfinden wird, bin ich sehr gespannt, wenn es dann nämlich heißt, die wissenschaftliche Entscheidung, die wissenschaftliche Qualifikation sei natürlich ausschließlich Sache der Universität. Die Beiräte hätten nur ein Mitspracherecht in Sachen der religiösen Lebensführung. Ich kann mir nicht so wirklich vorstellen, wo da eines Tages eine Grenze gezogen werden soll. Ich bin da mal sehr gespannt darauf.

Mehr von Eren Güvercin auf seinem Blog.