Entwendete Akten von Helmut Kohl bleiben Privateigentum
Berliner Verwaltungsgericht gegen Informationsfreiheit
Am Dienstag verhandelte das Berliner Verwaltungsgericht über meine Klage gegen das Kanzleramt (BKAmt) wegen des Zugangs zu den Akten von Altbundeskanzler Helmut Kohl, die seine Witwe Maike in ihrem Keller in Oggersheim bunkert und nur ausgewählten Publizisten zeigt.
Die Vorgeschichte: Ich hatte gegen das Bundesarchiv wegen Untätigkeit geklagt, weil es die Unsitte - man kann auch sagen: das Aushebeln des Informationsfreiheitsgesetzes - duldete, dass amtliche Dokumente, vor allem aus dem Bundeskanzleramt, in den Parteistiftungen landen, wo sie nur ausgewählten Journalisten gezeigt werden.
Diese Erfahrung hatte ich in der Konrad-Adenauer-Stiftung gemacht, wo die Globke-Akten gehütet werden. Hans Globke war hoher Ministerialbeamter im Reichsinnenministerium und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze. Nach 1945 wurde er allmächtiger Staatssekretär Adenauers und Herrscher über den BND. Das Verfahren gegen das Bundesarchiv zog sich über Jahre hinweg, Verwaltungsgericht Koblenz, OVG, Bundesverwaltungsgericht Leipzig und landete in Karlsruhe.
In dem richtungsweisenden Beschluss des Verfassungsgerichtes wird klargestellt, dass diese Akten weiterhin Eigentum des Bundes bleiben, auch wenn sie einst mit oder ohne Einverständnis des aus dem Amt scheidenden Kanzlers in der privaten Parteistiftung gelandet sind. Klargestellt wurde auch, dass es der Gleichheitssatz verbietet, den einen Journalisten den Zugang zu gewähren und anderen nicht. Zitat: "Der Bund ist durch Art. 3 GG gebunden." Das waren wichtige Klarstellungen - auch wenn meine Verfassungsklage verworfen wurde, weil ich - so die Karlsruher Richter - den Falschen verklagt hatte, nämlich das Bundesarchiv und nicht den Eigentümer der Akten: das Kanzleramt.
Das holte ich nach und beantragte Akteneinsicht beim Amt Merkel, sowohl den grundsätzlichen Zugang zu dem kompletten Material, den Findmitteln und einigen speziellen Themen wie den deutsch-chilenischen Beziehungen, Paraguay etc. Nach Monaten erhielt ich ein paar Blätter: Grußwort des Kanzlers vor der Deutschen Schule in Puebla, Glückwunschtelegramm an den argentinischen Präsidenten Carlos Menem und eine Petition der Koalition gegen die Straflosigkeit. Banalitäten also.
Rechtsanwalt Raphael Thomas erhob Klage. Das Kanzleramt führt drei Argumente ins Feld.
- Eine Recherche zu meinen Themen sei mit einem "unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand" verbunden. Mein Einwand, dass ich nach Einsicht in die Findmittel präzise die Akten benennen könne, die ich einsehen will, galt ebenso wenig wie meine Aufforderung, die Akten an das Bundesarchiv zu überstellen. Dort sei man sowohl personell als auch materiell in der Lage, Aktenberge zu bearbeiten und bereitzustellen.
- Ich hätte meine Themen genauer benennen sollen, um die Suche zu vereinfachen. Aber wie soll ich den Namen einer Akte benennen, wenn ich keinen Zugang zu den Findmitteln habe?
- Frau Kohl-Richter habe versichert, keine amtlichen Akten zu besitzen. Den Brief wollte das Amt aber nicht vorlegen.
Unwidersprochen ist aber, dass der Ghostwriter Heribert Schwan mit diesen Akten, die die Adenauer-Stiftung geschickt hatte, im Keller in Oggersheim gearbeitet hatte, die KAS hatte das öffentlich bestätigt. Sogar der Bundesrechnungshof hatte sich über das Aktenverstecken empört, und das Bundesarchiv, das "Gedächtnis der Nation", wird nicht müde, diese Akten nach Koblenz zu holen.
Ich erstattete parallel Strafanzeige gegen Maike Kohl-Richter wegen Verwahrungsbruch, aber die Staatsanwaltschaft und das OLG Zweibrücken lehnten die Aufnahme von Ermittlungen ab. Ich hatte gehofft, dass ein Gerichtsvollzieher oder Polizist im Keller bei Maike vorbeischaut und sich die Kartons anschaut. Vergeblich. Die Sache habe ich ebenfalls zum Bundesverfassungsgericht getragen, wo sie anhängig ist.
Der Kommentator des Bundesarchivgesetzes, Christoph Partsch, der die Bild-Zeitung vertritt, schrieb dazu: "Die Scheu, einen Altkanzler und seine Familie wegen unterschlagener Unterlagen strafrechtlich zu verfolgen, ist befremdlich. Dieses Verhalten ist eines Rechtsstaates nicht würdig. Strafrechtliche Sanktionen wären ein angemessenes Mittel, um rechtswidrige Praxis einzudämmen." Er zitiert die FAZ: "Die bürokratischen Nachfahren der alten Bundesrepublik bewachen das Schrifttum ihrer Zeit wie ein Sprengstoffdepot."
Historiker, Journalisten verschiedener Couleur und Bürgerrechtsgruppen sowie der Bundesrechnungshof und das Bundesarchiv sind sich einig: Diese Akten sind Gemeinschaftseigentum und wichtig für die wahrheitsgemäße Berichterstattung, also unabkömmliches Instrument gegen Fake-News und Verschwörungstheorien.
Leider stärkte das Berliner Verwaltungsgericht den Blockierern des Kanzleramts den Rücken. Richterin Erna Xalter ärgerte sich zwar im Prozess, dass das Amt nur eine unvorbereitete junge Frau geschickt hatte, die nicht einmal die Frage - über die wir seit drei Jahren streiten - beantworten konnte, ob das Kanzleramt jemals die entwendeten Akten zurückgefordert habe. Erst ein Anruf bei der Rechtsabteilung ergab, dass das Kanzleramt grundsätzlich und niemals diese Akten zurückfordert, und im Übrigen wisse man gar nicht, ob wirklich Akten in Oggersheim liegen.
Dass es sich bei den Akten um Eigentum des Amtes handelt? Achselzucken. Dass das Bundesverfassungsgericht den Gleichheitsgrundsatz fordert? Achselzucken. Warum das Bundeskanzleramt durch Unterlassung der Witwe ein Recht auf Akteneinsicht einräume, aber nicht den übrigen Bürgern und Forschern? Man wisse doch gar nicht, ob wirklich amtliche Akten dort liegen, meinte das Mädchen vom Amt.
Die Richterin nahm es hin und verwarf die Klage. Sie folgte in allen Punkten dem Bundeskanzleramt und erlaubte ihm weiterhin, in Kellern und privaten Stiftungen Akten auszulagern und damit dem Zugriff der Öffentlichkeit zu entziehen. Aus dem Gesetz sei keine Pflicht der Behörde zur Abgabe der Akten an das Bundesarchiv zu ersehen, sondern nur die Möglichkeit.
Zur Zeit lagern im Kanzleramt Akten aus der Kanzlerschaft Kohls in der VS-Registratur, 9200 Akten, die aus bis zu 100 Bänden bestehen. Dazu kommt das Material der Hauptregistratur. Auf den Findmitteln bestünde kein Rechtsanspruch. Dass somit jedem Forscher die Möglichkeit genommen wird, bei der Behörde die Offenlegung einer noch geheimen Akte zu beantragen oder das Bundesverwaltungsgericht anzurufen? So wird der Rechtsweg von vorneherein ausgeschlossen. Für Richterin Xalter kein Problem. Der Gesetzgeber sei Schuld, begründete sie, da das Gesetz das Amt nicht zum Zurückholen zwinge.
Das ist nicht falsch, der Mangel ist der Mauschelei der Parteien zu verdanken und hat wenig mit dem Grundgesetz gemein. Nach dem Karlsruher Urteil wurde das Bundesarchivgesetz novelliert und zur Anhörung im Bundestag wurde ein Sachverständiger geladen: der Archivar der Konrad-Adenauer-Stiftung. Und der stellte klar, dass er für ALLE Parteien spreche, auch die Linke, die Grünen und die FDP hätten ihm ein Mandat übertragen. So steht es im Protokoll und ist dokumentiert in meinem Film "Die parallele Verwaltung".
Der Archivar wollte natürlich seine Akten behalten und meinte, man solle die Unterlagen der Partei nicht von den amtlichen Akten trennen, sondern weiterhin in privaten Archiven lagern. Und so hat dann der Gesetzgeber die Wiederbeschaffungspflicht nicht, wie eigentlich vorgesehen, in das neue BArchG geschrieben. Mit anderen Worten: ALLE Parteien sind sich einig, wenn es um die Beschränkung der Informationsfreiheit und der Transparenz der Historiker, Journalisten und Bürger geht.
Ich hatte mich an das Gericht gewandt, um einen illegalen Zustand - die Privatisierung amtlicher Akten - zu beenden. Das Gericht hat diesen illegalen Zustand zementiert.
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