Erdgas holt auf
Was einst nur als Abfallprodukt abgefackelt wurde, gilt heute als wertvoller Treibstoff
1859 wurde in Pennsylvania Öl entdeckt. Damals suchte man Kerosin als Ersatz für das teuere Walfett. Leider kann bei der Raffinierung von Erdöl nur rund 10% zu Kerosin gemacht werden. Fast die Hälfte wird zu Benzin, rund ein Viertel zu Diesel/Heizöl. Was macht man damit? Diesel konnte Pflanzenöle in Maschinen ersetzen; auch der erste "Dieselmotor" von Rolf Diesel (1892) lief ursprünglich auf Erdnussöl - erst später wurde der nach ihm genannte Treibstoff in seinem Motor verwendet. Doch bis der Ottomotor 1876 erfunden wurde, gab es für so viel Benzin keinen Bedarf. Gleiches gilt für das Erdgas, das jahrzehntelang auf den Ölfeldern als Abfallprodukt einfach abgefackelt wurde, um die Explosionsgefahr zu reduzieren. Selbst die Stadtbeleuchtung Anfang des 20. Jahrhunderts wurde nicht mit Erdgas befeuert, sondern mit "Stadtgas", einem synthetisch aus Kohle gewonnenen Gas. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sah man ein, dass Erdgas genauso wertvoll wie Benzin, Diesel und Kerosin ist - aber das erst, als das Öl begann, knapp zu werden.
Es hat sich seitdem viel geändert, und doch gibt es immer noch viel zu verbessern. 2002 erklärte Peter Woicke von der Weltbank beim Weltgipfel in Johannesburg, dass das in Afrika abgefackelte Erdgas heute die Hälfte des afrikanischen Energieverbrauchs decken könnte. Stattdessen wird es zur Klimaerwärmung verheizt - jedes Jahr rund 108 Milliarden Kubikmeter weltweit, so Woicke. Das entspricht in etwa der Menge Erdgas, die jedes Jahr in Deutschland verbraucht wird.. In entsprechenden Mengen von Erdöl ausgedrückt: mehr als 2% des weltweiten Konsums. Dabei trägt alleine das abgefackelte Erdgas einen Prozentpunkt zu den weltweiten CO2-Emissionen bei.
Alleine deshalb wäre es umweltfreundlicher, das Erdgas sinnvoll anzuwenden, wenn es sowieso verbrannt wird - z.B. als Treibstoff in Autos, zum Heizen, zum Kochen oder zur Stromerzeugung. Aber selbst im Vergleich zu Kohle und Öl schneidet das Erdgas relativ umweltfreundlich ab. Das Wuppertal Institut ruft deutsche Autofahrer dazu auf, auf Erdgas-Autos umzusteigen; der deutsche Umweltminister Trittin spricht sogar vom "umweltfreundlichen Erdgas".
Ein Grüner ist für fossile Energie?
Tritten bezog sich dabei auf die neuen Erdgas-betriebenen Kraftwerke: Gas- und Dampfturbinen (GuD-Turbinen). Diese haben einen Wirkungsgrad von bis zu 70%, da sie auch als Kraft-Wärmekopplungsanlagen (KWK-Anlage) betrieben werden, d.h. die Abwärme wird in Fernwärmenetzen oder als Prozesswärme in der Industrie verwendet, anstatt nutzlos in die Luft oder in Flüsse zu entweichen, wie dies bei Atom- und Kohlekraftwerken der Fall ist. Und solche Erdgas-Turbinen sind gut skalierbar: von riesigen Kraftwerken mit mehr als 1.000 MW Leistung (so groß wie ein großes Atom- oder Kohlekraftwerk) bis hin zu den neuen "Mikroturbinen" mit bis zu 25 kW Leistung. Gerade diese Mikroturbinen sind als Lösung für das Abfackeln interessant, denn sie können direkt auf Ölplattformen auf hoher See verwendet werden, d.h. das Gas wird nicht abgefackelt, sondern zur Stromversorgung der netzfernen Plattform verwendet.
Solche GuD-Turbinen können nicht nur auf den lokalen Bedarf dimensioniert werden, sondern auch viel schneller als Atom- und Kohlekraftwerke herauf- und heruntergefahren werden, ohne nennenswerte Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Anlage. Die Technik hinter diesen "KWK-GuD-Turbinen" ist der Flugzeugturbine abgeschaut. Deshalb eignen sie sich im Gegensatz zu letzteren besonders gut zur Deckung der Mittellast, d.h. Großkraftwerke laufen immer auf Volllast zur Deckung der Grundlast, und GuD-Turbinen werden dann hochgefahren, wenn der Bedarf steigt. Auch deshalb sind sie unter umweltbewussten Verbrauchern beliebt, denn sie ergänzen die Fluktuationen im Angebot der Erneuerbaren Energien (vor allem Windkraft) bestens.
Hinzu kommt, dass die CO2-Emissionen bei der Erdgas-Verfeuerung nur 40% so hoch sind wie bei Kohle und 50% weniger als bei Öl. Wenn man den Wirkungsgrad solcher Kraftwerke vergleicht - 60-70% bei Erdgas-Turbinen gegen 30-40% bei Kohle- und Ölkraftwerken - ist die relative Umweltfreundlichkeit von Erdgas eindeutig.
Trotzdem: endliche Ressourcen
Es sind aber vor allem wirtschaftliche Gründe, die für den Erfolg von Erdgas seit 1990 verantwortlich sind. In den USA wurden in den letzten 15 Jahren fast nur GuD-Turbinen ans Netz angeschlossen - bis zu 90% der neu installierten Kapazität. Das sollte auch bis 2010 so weiter gehen, aber die ersten Engpässe in der Versorgung machen sich seit ein paar Jahren bemerkbar. Schließlich ist Erdgas eine endliche Ressource und die USA haben nicht mehr allzu viel davon - im Gegensatz etwa zu Russland, das die größten Reserven weltweit hat und Verträge mit Deutschland (unter anderem) für die kommenden 20 Jahre geschlossen hat. In Russland liegt rund ein Drittel der Erdgasvorkommen der Welt.
In Ländern auf der ganzen Welt boomt das Geschäft mit Erdgas. Zweistellige Wachstumsraten verzeichnet die Branche in Ländern wie Spanien und Südkorea, das mehr Flüssiggas importiert als jedes andere Land außer den USA. In der ganzen EU wird laut der im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführten Studie World energy, technology and climate policy outlook das Erdgas bis 2010 27% der Stromversorgung decken; 1990 waren es lediglich 12%.
Im Augenblick wird geschätzt, dass die heutigen Erdgas-Reserven noch gut 60 Jahre halten werden - immerhin rund 20 Jahre länger als die heutigen Erdölreserven (Esso verkündet das "Öldorado 2003"). Allerdings sind die Reserven schlecht verteilt, wie man am besten am Beispiel der USA sieht. 2003 haben sowohl US-Notenbankchef Alan Greenspan als auch George W. Bush vor Engpässen in der Versorgung gewarnt. In den letzten Jahren sind die Preise für Erdgas hochgeschossen, weshalb GuD-Turbinen zunehmend zugunsten von Kohlekraftwerken in der Planung neuer Kraftwerke in den USA aufgegeben werden, denn die USA haben zwar kaum Erdgas, sind aber das Saudi-Arabien der Kohle.
Ungünstige Verteilung
Außerdem sind viele Erdgas-Lagerstätten unwirtschaftlich weit entfernt, so dass der Transport das größte Problem darstellt. Erdgas hat nämlich eine vergleichsweise geringe Energiedichte, d.h. die gleiche Masse von Erdgas enthält nur rund 25% soviel Energie wie Öl. Deshalb werden Wege gesucht, um das Erdgas für den Transport profitabler zu machen. Bis vor wenigen Jahrzehnten galten viele Erdgas-Ressourcen als "gestrandet"; die Kosten des Transports hätten die Gewinnung unwirtschaftlich gemacht. Immerhin kostet eine Pipeline rund 1 Million Euro pro 150 Kilometer. Dabei enthält ein Liter Öl mehr Energie als ein Kubikmeter Erdgas, d.h. es fließt weniger Energie durch eine Erdgas-Pipeline.
Eine alte Lösung für dieses Problem besteht darin, das Erdgas gleich vor Ort in synthetische, flüssige Treibstoffe umzuwandeln. Erdgas besteht zu rund 90% aus Methan, was sich z.B. zu Diesel machen lässt, der leicht und verlustfrei zu transportieren ist, wenn auch die Kosten für synthetischen Diesel noch nicht ganz wettbewerbsfähig sind. Ansonsten macht sich das "gestrandete" Erdgas bezahlt, wenn man alle höherwertigen Bestandteile kommerzialisiert, also Propan und Butan als Treibstoffe, Äthan für die Herstellung von Plastik und Gummi.
Eine neue Methode, die sich im großen Stile durchsetzt, besteht darin, das Erdgas auf -164° C abzukühlen. Dann wird das Gas flüssig (LNG = liquified natural gas). LNG hat immerhin eine 3 mal höhere Energiedichte als Erdgas, aber selbst das LNG enthält nur 75% soviel Energie wie Benzin.
Wollen wir also mit Flüssigerdgas oder gar mit Erdgas Auto fahren, müssen wir kürzere Strecken wählen und öfter tanken. Deshalb werden erdgas-betriebene Fahrzeuge in Europa vor allem in Flotten verwendet (z.B. in Bussen und Taxis). Es gibt bundesweit nur rund 420 Erdgas-Tankstellen. In Argentinien dagegen haben sich Erdgasautos in den letzten Jahren aufgrund der Wirtschaftskrise zunehmend durchgesetzt, denn das Land hat die zweitgrößten Erdgasvorkommen Südamerikas (nach Venezuela). Die Kostenvorteile sind aber auch in Europa spürbar: Die Treibstoffkosten für eine Fahrt mit Erdgas sind in Deutschland weniger als halb so hoch wie mit Benzin.
Ein Problem bleibt aber beim LNG: Die für die Verflüssigung benötigte Energie entspricht bis zu 25% der im LNG enthaltenen Energie. Anders gesagt: die Transportverluste liegen gleich bei 25%, wenn man Erdgas auf -164° C für den Transport abkühlt. Trotzdem sind diese Verluste nach einer Studie des Wuppertal Instituts vom September 2003 niedriger als die Verluste bei der Herstellung von synthetischem Diesel. In vielen Fällen (z.B. in Tankern) bleiben beide Methoden wirtschaftlich sinnvoll, denn das Volumen des flüssigen Erdgases beträgt 1/600 des Gas-Volumens. Dass solche Transporte auch große Gefahren in sich bergen, hat man im April 2004 beim Zugunglück in Nordkorea gesehen.
Methanhydrate
Alles in allem bleibt Erdgas eine fossile Energie, die zur Klimaerwärmung beiträgt (wenn auch weniger als Öl und Kohle) und die Umwelt verpestet (wenn auch weniger). Und da Erdgas zu 90% aus Methan besteht, trägt seine Nutzung oder Abfackelung stark zur Klimaerwärmung bei, denn Methan heizt die Atmosphäre 21 mal stärker als CO2 auf.
Dabei gibt es neben den großen Erdgas-Vorkommen vor allem Unmengen an Methan in Form von Hydraten: Das Methan ist in gefrorenem Wasser gespeichert. Diese Hydrate findet man oft am Ozeanboden. Sie bleiben gefroren bis etwa 18°C. Ab 18°C entweicht das Methan. Noch als Eisblöcke kann man die Hydrate anzünden, weshalb sie auch "brennendes Eis" genannt werden.
Als Energiequelle übersteigen diese Methanhydrate alles, was es sonst an fossilen Energien gibt: schätzungsweise das Zweifache dessen, was es an Öl, Kohle und Gas insgesamt jemals gegeben hat. Vorausgesetzt, man kann die Hydrate fördern, ohne dass sie schmelzen, könnte man sie wohl in der bestehenden Erdgasinfrastruktur verwenden. Allerdings würde dabei viel Methan freigesetzt.
Hier ist auch nicht klar, ob man die Hydrate deshalb lieber gleich in der Erde lassen sollte, denn man weiß nicht, ob sie nicht langsam von alleine schmelzen würden, wenn die Erde wärmer wird. Es könnte sogar zu einer explosionsartigen Welle kommen, wenn die erste große Welle der Methanhydrate schmilzt. Dann würde sich die Erderwärmung schlagartig beschleunigen - was schon mal vor 55 Millionen Jahren passierte. Das Resultat: ein Massensterben. Just im April 2004 hat der Chefwissenschaftler der von Tony Blair einberufenen Climate Group vor der Möglichkeit gewarnt, dass sich dies bis 2100 wiederholen könnte. Die Erde wäre dann 7 Grad wärmer und eisfrei. Dann dürfte die Antarktis der geeignetste Lebensraum auf der Erde für die Menschen sein.
Erdgas als Brücke
Letztlich wird die ungleiche Verteilung des Erdgases den großen Nachteil zur Folge haben, der allen fossilen Energien - im Gegensatz zu den Erneuerbaren Energien, die überall ausreichend vorhanden sind - gemeinsam ist: Bei der Gewinnung von Erdgas kommt es zu politischen Konflikten. Auch wenn die Welt kaum hingeschaut hat, gab es 2004 einen Aufstand in Bolivien gegen den Bau einer Erdgas-Pipeline der US-Firma Sempra, die auch zwei der größten, modernsten, Erdgas-befeuerten Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerke der Welt gebaut hat. Die armen Menschen wollen eben nicht immer tatenlos zusehen, wie die reichen Länder ihre Ressourcen an ihnen vorbei abbauen.
Erneuerbare Energien sind sauberer und gleicher verteilt als Erdgas. Und doch gibt es neben dem Argument, man müsse das Erdgas sinnvoll nutzen, bevor es einfach abgefackelt wird, einen weiteren Grund für die Nutzung vom Erdgas: Es wird als Brücke zur neuen Energie dienen.
Einerseits sollen sich die Menschen auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft daran gewöhnen, mit einem Gas statt mit Flüssigkeiten und festen Brennstoffen umzugehen: Man wird eben anders tanken, andere Reichweiten haben, andere Behältnisse verwenden und anderen Gefahren ausgesetzt sein. Andererseits könnte das Erdgas selbst verändert werden, um den Wasserstoff für Brennstoffzellen bereitzustellen, bis eine Infrastruktur für Wasserstoff aufgebaut ist - und die dürfte selbst auf der Infrastruktur für Erdgas basieren (Wo kommt der Wasserstoff her?).
Auch das Methan, das beim Abbau von Kohle freigesetzt wird (das sogenannte Grubengas), dürfte bei der Entwicklung von Brennstoffzellen eine Rolle spielen. Bei der Entwässerung von Minen kommt es zu einem Druckabfall und das in der Kohle enthaltene Methan entweicht, teilweise explosionsartig. Lange hat man das Grubengas einfach entweichen lassen, um den Abbau der Kohle sicherer zu machen. Zur Zeit werden Brennstoffzellen entwickelt, um diese Methangase zur Stromerzeugung zu verwenden.
Und die Wasserstoffwirtschaft ist für viele ökologisch Gesinnte die ideale Lösung für das große, noch ungelöste Problem der Erneuerbaren Energien: Wie speichert man überschüssige Energie, wenn irgendwann mehr Strom aus Photovoltaik, Windenergie, usw. produziert, als gleichzeitig verbraucht wird. Insofern könnte das Erdgas indirekt dazu beitragen, dass wir herausbekommen, ob der Wasserstoff ein geeignetes Speichermedium in großem Stil sein kann.
Craig Morris ist Fachübersetzer für www.petiteplanete.org aus den USA und arbeitet in den Bereichen Finanzen, Energie und Technologien.