Erdogan: "Wir könnten plötzlich eines Nachts kommen"

Der türkische Präsident Erdogan bei seiner Rede vor dem Parlament. Bild: Türkisches Präsidentenamt

"Sicherheitszone" in Nordsyrien: Der türkische Präsident droht erneut mit einem militärischen Alleingang und präsentiert dem Parlament den großen Umsiedlungsplan für die syrischen Flüchtlinge

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Der türkische Präsident lässt nicht locker, er will die "Sicherheitszone" in Nordsyrien. Erneut droht Erdogan mit einem Einmarsch in Syrien. In einer Rede vor dem Parlament beklagte er, dass die Türkei ihre Ziele, "besonders östlich des Euphrat", nicht erreicht habe und das Land "keinen Tag mehr in der Sache zu verlieren hat." An diesem Punkt gebe es "keine Alternative, außer den eigenen Weg weiterzuverfolgen."

Gegenüber Journalisten, die mit denen er nach seiner Rede sprach, konkretisierte er: "Wir könnten plötzlich eines Nachts kommen." Man habe alles Mögliche mit größter Geduld versucht, um das Problem mit den Verbündeten zu lösen.

Auch Verteidigungsminister Hulusi Akar machte gegenüber Medienvertretern klar, dass die Geduld erschöpft sei. Man habe keine Zeit zu verlieren, die "Sicherheitszone" in Nordsyrien solle so schnell wie möglich eingerichtet werden. Die Armee sei bereit. "Das ist kein Scherz", sagte er. "Das sollte jeder wissen und verstehen." Wenn die Gespräche mit den USA keinen Erfolg bringen, dann, so deutet die englischsprachige Hurriyet Daily seine Worte, wird es zu einer militärischen Aktion kommen. Eine Frist dafür wollte er nicht nennen.

Frustrationen

Es heißt, dass Erdogan mehrmals versucht habe, ein direktes Gespräch mit US-Präsident Trump zu führen, was ihm aber auch auf dem kürzlichen Treffen zur UN-Vollversammlung in New York nicht gelungen sei. Dort hat der türkische Präsident, wie an dieser Stelle berichtet, seine Vorstellungen zur "Sicherheitszone" präsentiert und die internationale Öffentlichkeit mit Plänen überrascht, die bis nach Deir ez-Zor reichen.

Stand der Dinge in den komplizierten Verhandlungen zwischen der Türkei und den USA, die zwischen der Türkei und den kurdisch geführten SDF vermittelt, ist die Einrichtung eines "Sicherheitsmechanismus" für eine 5 Kilometer breite Zone an der türkisch-syrischen Grenze, wobei hier bislang nicht klar ist oder noch verhandelt wird, mit welcher Längenausdehnung sie realisiert wird. Erste Berichte über die Umsetzung zeigten einen begrenzten Aktionsraum türkischer Militärs.

So gab es vor gut drei Wochen erste gemeinsame Patrouillen zwischen US-Truppen und türkischem Militär östlich von Tal Abjad (kurdisch: Gire Sipi), in der Nähe der türkischen Grenzstadt Akçakale, die Erdogan aber nicht zufriedenstellen - zumal es dazu auch Bilder einer US-Patrouille mit Mitgliedern des Militärrats der Grenzstadt Ras al-Ain (kurdisch: Serekaniye) gab, auf denen Fahrzeuge mit SDF-Beflaggung zu sehen waren.

"Zwei Millionen Syrer umsiedeln"

Auf gleicher Berichterstattungshöhe mit den "Terroristen" - das ist für den türkischen Präsidenten völlig unakzeptabel. Seine öffentliche Reaktion bestand seither darin, auf die ursprünglichen Pläne - und nicht den Kompromiss mit den US-Vertretern - zu verweisen und darauf zu insistieren.

So auch am gestrigen Dienstag vor dem türkischen Parlament. Dort sprach er erneut von seinem Plan, "zwei Millionen Menschen entlang einer 30 Kilometer tiefen Sicherheitszone rückzusiedeln, die im Gebiet zwischen dem Euphrat und der Grenze zum Irak geschaffen werden soll. Auch die Stadt Manbidsch soll dazu gehören".

Eine Million Menschen werden in neu geschaffenen Siedlungen untergebracht, während die andere Million in bereits bestehenden Arealen untergebracht werden. Wir werden eine Million Menschen in 50 Städten mit einer Einwohnerzahl von jeweils 30.000 und in 140 Dörfern mit einer Einwohnerzahl von jeweils 5.000 ansiedeln. Diese Städte und Dörfer werden mit internationaler Unterstützung gebaut. Wir haben die Vorbereitungsarbeit dazu vervollständigt und auch die Kosten kalkuliert.

Recep Tayyip Erdogan

Wie viel Geld das kosten würde, erwähnte Erdogan in seiner Parlamentsrede nicht. Es geht auch erstmal um ganz andere Kosten. Dass ein Einmarsch türkischer Truppen ein schwer kalkulierbares Risiko darstellt, dürfte auch in der türkischen Führung, in der Regierungspartei und in der türkischen Öffentlichkeit nicht als "Scherz" eingestuft werden. Die interne Opposition gegen Erdogan wird zunehmen, wenn sich die Operation anders entwickelt als auf dem Reißbrett der politischen und militärischen Planer.

Aus dem Kommando der SDF kam bereits vor Wochen die Ankündigung, dass die Reaktion auf einen Einmarsch dieses Mal anders ausfallen würde als bei der Militäroperation "Ölzweig", die zur Besatzung Afrins führte. Gewarnt wurde vor einem nächsten Krieg in Syrien.

Die Art und Weise, wie die Türkei und die mit ihr verbündeten islamistischen syrischen Milizen in Afrin vorgehen (siehe etwa aktuell die Meldungen über Plünderungen der Miliz Sultan Murad), wird den Widerstand gegen eine türkische Militäroperation noch bestärken. Zwar ist der internationalen Öffentlichkeit nicht bekannt, wie sehr Afrin zu einem türkischen Protektorat ausgebaut wurde, aber die Menschenrechtsverletzungen dort haben sich herumgesprochen. Mit Unterstützung einer größeren internationalen Öffentlichkeit kann Erdogan nicht rechnen, eher mit dem Gegenteil.

Macron wird beschimpft

Auch die Umsiedlungspläne Erdogans stoßen nicht nur unter arabischen Stämmen auf Widerstand. Nach seiner Rede vor der UN wurde sehr bald herausgestellt, dass hinter den vorgebrachten humanitären Absichten politische Ziele des türkischen Machtpolitikers stecken, die auf die Vertreibung von Kurden hinauslaufen. Die Strategie Erdogans, die Flüchtlinge für seine politischen und territorialen Absichten in Syrien zu instrumentalisieren (Flüchtlinge aus Syrien: Erdogan droht der EU, sorgt für Ärger.

Erdogans französischer Amtskollege Macron kritisierte dies und obendrein äußerte er sich zum Stand der Meinungsfreiheit und der Menschenrechte in der Türkei. Die Antwort aus Ankara war gereizt und grenzwertig. Außenminister Mevlüt Cavusoglu hielt Macron vor, dass er seine Grenzen überschreite und Terroristen von der YPG/PKK in seinem Amtssitz empfange und sich alles in allem verhalte wie ein krähender Hahn, dessen Füße in Sch… stecken.

Es wird nicht der letzte Ärger dieser Art sein.