Erfordernisse der Neuen Medien
Delphi-Studie über "Zukünftige Entwicklung von Lehr- und Lernmedien"
Die Neuen Medien haben es im Bildungsmarkt besonders schwer. Aus diesem Grund hat die Cornelsen-Stiftung eine Delphi-Studie Zukünftige Entwicklung von Lehr- und Lernmedien in Auftrag gegeben, um zu ergründen, welche Lerninhalte Schülern mit welchen Medien und welchen Organisationsformen vermittelt werden. Erste - zum Teil pessimistische - Ergebnisse liegen nun vor und wurden in einem Symposium in der Universität Bielefeld ausgiebig diskutiert. Im Zentrum der Diskussion stand neben der Prognose zur Entwicklung der Neuen Medien auch damit verbundene künftige Projekte und Forschungsthemen, die gegebenenfalls durch die Cornelsen Stiftung Lehren und Lernen gefördert werden sollten.
100 Experten aus dem Bildungsbereich bevölkerten die Räumlichkeiten der Universität Bielefeld, um einen Tag lang die ersten vorliegenden Ergebnisse der Delphi-Studie "Zukünftige Entwicklung von Lehr- und Lernmedien" zu diskutieren. Die komplette Zusammenfassung der Ergebnisse und der Abschlussbericht werden im Verlauf des Jahres vorgelegt.
Eine Studie nach der Delphi-Methode eignet sich immer dann, wenn es um Einschätzungen von Sachverhalten geht. In der Regel handelt es sich um wiederholende Expertenbefragungen mit standardisierten Fragebögen. Durch die Rückkopplung mit den Experten kann eine Prognose für eine zukünftige Entwicklung gegeben werden. Für die Delphi-Studie wurden drei Fragerunden veranstaltet, an denen Lehrer, Verlagsfachleute, Schul- und Mediendidaktiker sowie Forschungsinstitute beteiligt waren. Die Befragungen fanden von 1999 bis Ende 2001 statt.
80 Prozent Schrott
Für das Symposium wurden erste Ergebnisse thesenhaft ausgewählt, um eine Diskussion anzuregen. Dabei zeigte sich der Trend zwischen vorsichtigem Optimismus und pessimistischen Befürchtungen. Anscheinend waren eher die Vertreter der Medienskeptiker als Experten zum Symposium eingeladen worden, als Menschen, die sich einer visionären Medienzukunft nähern wollen.
Die Haltung schwankte zwischen Anerkennung von nur wenigen Softwareprodukten bis hin zur deutlichen Ablehnung des Einsatzes von Computersoftware im Unterricht. Natürlich machen es sich die Experten zu einfach, wenn sie nur vorhandene Software kritisieren, statt sich aktiv am Prozess der Herstellung zu beteiligen. Dennoch bleibt die Aussage festzuhalten, dass ca. "80 Prozent der Software Schrott" seien.
Nach den ersten vorliegenden Ergebnissen erwarten Menschen, die ohnehin mit dem Computer zu tun haben, am ehesten deutliche Veränderungen.
"Das sind nach Meinung der Experten vor allem die Lernsoftware, das WWW, das schulinterne Intranet, PC-gestützte Projektionen, CD-ROM/DVD-ROM, das Intranet für alle Schulen eines Bundeslandes und E-Mail, deren zunehmende Nutzung von fast allen Befragten erwartet wird."
Die Hälfte der Experten geht von einer weiteren Schulbuchnutzung aus, selbst wenn es nicht mit den neuen Medien (CD-ROM, Internet etc.) verbunden ist. Weiterhin berücksichtigen sie bei der Beantwortung der Fragen die heutige Beschaffungsrealität, denn der Staat wird wohl kaum ausreichende Mittel zur Verfügung stellen. Zwar hoffen viele auf ein ausreichendes Sponsoring, um die staatliche Lücke zu schließen, jedoch bleiben insbesondere studierende Experten besonders skeptisch. Schließlich liegen ihre schulischen Erfahrungen in der Regel noch nicht so lange zurück. Die Theoretiker sind von den Gegebenheiten im schulischen Umfeld zu weit entfernt, um eine realistische Einschätzung geben zu können.
Nutzung der Neuen Medien
Weitaus deutlicher nehmen die Befragten an, dass die Nutzung der Neuen Medien bis zum Jahr 2010 zunehmen wird. Der gute alte Dia-Vortrag hat angesichts der neuen Präsentationsmöglichkeiten ausgedient. Voll im Trend steht der Einsatz der elektronischen Medien. Im Vordergrund steht jedoch nicht das Neue, sondern die Möglichkeit, die Medien ergänzend einsetzen zu können. Die Zukunft birgt Chancen, bringt aber auch Erfordernisse mit sich: größere Selbstständigkeit, individuelle Lernformen, aber auch mehr soziales Lernen und Teamfähigkeit, interaktives Arbeiten, direktes Feedback, veränderte Rollenverteilung Lehrer/Schüler, schnelle Aktualisierung der Inhalte und schneller Zugriff auf Unterrichtsinhalten.
Die Einführung neuer Lehr- und Lernmedien wird allerdings nicht automatisch zu einer Veränderung der Lernkultur führen. Zwar glauben die Experten, dass die Schule nach wie vor Hauptlernort bleiben wird, jedoch erwarten sie auch, dass die außerschulischen Lernorte an Bedeutung zunehmen werden. Eine Vernetzung wird jedoch wohl ausbleiben.
Didaktische Entmündigung durch die Medien?
Die Delphi-Studie offenbart auch eine Trägheit der Lehrenden, die an bewährten Unterrichtskonzepten festhalten wollen und deshalb wohl auch eine Skepsis an den Tag legen, weil sie befürchten, durch die Medien in ihrer didaktischen Kompetenz entmündigt zu werden. "Studierende betonen stärker die pragmatische Nutzung der neuen Medien, die Experten den kritischen Umgang mit ihnen", heißt es in der Studie.
Der Einsatz der neuen Medien kann nach Ansicht der Experten nur durch eine curriculare Verankerung in den Lehrplänen gefördert werden. Dadurch verspricht man sich ein Druckmittel, um den Einsatz voranzutreiben. Zwar glaubt man nicht an die Steuerungsfähigkeit durch solche Lehrpläne, erhofft sich dadurch aber einen höheren Anteil an fortbildungswilligen Lehrkräften.
Wenn in Zukunft der Zugang zu Bildungsinhalten über das Internet für alle Schülerinnen und Schüler möglich und schulischer Alltag ist, muss sicher über den Stellenwert curricularer Vorgaben prinzipiell nachgedacht werden.
Auszug aus den vorläufigen Ergebnissen
Hoffnung setzen die Experten auf die Lehrerausbildung, jedoch zeigen die befragten studentischen Experten, dass sie in ihrer bisherigen Ausbildung nur wenig über Mediendidaktik zu hören bekamen. Ebenso gibt es kaum Angebote über aktuelle Lernsoftware oder Angebote zur Nutzung der Neuen Medien. Kein Vorbild beim Einsatz von Lehr- und Lernmedien bieten dabei auch die an der Lehrerausbildung beteiligten Dozenten. Die Lehrerausbildung wird als konventionell und konservativ eingeschätzt. Lehrer aber auch Schüler müssen ihre Kompetenzen erheblich steigern, um in Zukunft alle Lerngestaltungsmöglichkeiten auszunutzen.
Wie dringend notwendig das ist, zeigt das Beispiel einer anwesenden Lehrerin, die nicht einmal wusste, was eine LAN-Party ist. Wer sich nicht mit der jugendlichen medialen Welt auseinandersetzt, wird diesen Schülern kaum noch Lernalternativen bieten können.
Die beteiligten Experten sind und bleiben Skeptiker gegenüber dem Einsatz von Neuen Medien. Sie kennen nur wenig von der Medienvielfalt und sind bei der Entwicklung von didaktischen Konzepten hilflos. Nur wenn sie das Gefühl haben, durch den Einsatz nicht in ihrem Wirkungskreis beeinträchtigt zu werden, werden sie in Zukunft eher auf neue Medien setzen. Ohne die erforderlichen Ressourcen in den Schulen wird sich am Einsatz nichts ändern. Mit dieser Einstellung kann man alles verhindern, jedoch muss allen Beteiligten klar sein, dass es in erster Linie auf eine Veränderung der Lernkultur ankommen muss. Es bedarf schneller Veränderungen der Lehrer- und der Schülerrolle, um den Lernort Schule zu stärken.
Ein Schlusswort
Lehrer wissen immer alles besser. Sie haben inzwischen die Computer in den Schulen und wissen eigentlich immer noch nicht, was sie mit ihnen anstellen können. Lehrer befürworten nur dann Schulbücher oder Schulsoftware, wenn sie vorab kostenlose Prüfexemplare erhalten. Unabhängigen Prüfgremien wird wenig Vertrauen geschenkt. Sie wollen oft individuelle Lösungen, um ihre didaktischen Vorstellungen umsetzen zu können. Auf neue Konzepte reagieren sie eher allergisch.
Schüler werden künftig eher am Nachmittag auf den häuslichen Computern mit Lernsoftware in Berührung kommen. Die Schulbuchverlage werden sich darauf konzentrieren, nur noch ausschließlich schulbuchunterstützende Software für die Schulen anzubieten. Parallel dazu werden die Onlineportale der Verlage ausgebaut werden, um Arbeitsblätter oder Onlinekurse anzubieten. Kreative Angebote für die Schüler finden sich in Zukunft nur noch im freien Handel. In Zukunft wird es weniger aufwändig gestaltete Multimediaangebote geben, weil die Verlage die immensen Entwicklungskosten nicht durch den Verkauf ausgleichen können. Lehrer müssen erkennen, dass sie zum Lernpartner der Schüler werden sollten. Der Computer beißt immer noch nicht, könnte allerdings einen eigenen erweiterten Lerneinsatz erfordern. Die Diskussion um den Einsatz der Medien und über veränderte Lehr- und Lernkonzepte muss konstruktiv weiter geführt werden.