Erich Apel: Selbstmord eines Wirtschaftsreformers

Glasmosaik mit sozialistischen Motiven

Glasmosaik der 1960er Jahre im Gebäude des Zentralkomitees der SED

(Bild: Werner Spremberg/Shutterstock.com)

Erich Apel war der wichtigste Wirtschaftsreformer der DDR. Vor 59 Jahren tötete er sich selbst. Was ihn am 3. Dezember 1965 zum Griff zur Waffe trieb, bewegte die DDR.

Ein politischer Selbstmord: Am 3. Dezember 1965 wurde Erich Apel, Vorsitzender der Staatlichen Planungskommission der DDR, in seinem Dienstzimmer tot aufgefunden.

Voran gegangen waren Auseinandersetzungen zwischen Apel und der Sowjetunion um den Abschluss eines Wirtschaftsabkommens einerseits, Konflikte innerhalb des Zentralkomitees der SED über den wirtschaftspolitischen Kurs der DDR andererseits.

Letztgenannte sollten eigentlich auf dem 11. Plenum des ZK der SED am 15. bis 18. Dezember besprochen werden. Nun kam alles anders.

Apel: Vom Raketenbauer zum Wirtschaftsreformer

Apels Weg an die Spitze der ostdeutschen Wirtschaftsplanung war ein ungewöhnlicher. Der gelernte Werkzeugmacher und studierte Maschinenbauingenieur arbeitete im Zweiten Weltkrieg für Wernher von Braun, den Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde.

Dort wurde unter Einsatz von Zwangsarbeit die V2-Rakete entwickelt, die im späteren Kriegsverlauf tausende Menschen das Leben kosten sollte. Apel selbst war vor allem für die Hydraulik der Raketentriebwerke zuständig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Apel zunächst als Berufsschullehrer in seiner Heimatstadt, dem thüringischen Judenbach. Im Januar 1946 wurde er Mitglied der SPD.

Von Oktober 1946 bis Juni 1952 wurde er von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zur Arbeit an Raketentests in der Sowjetunion verpflichtet. Seinen ehemaligen Chef Wernher von Braun hatte mittlerweile die US Army zur Arbeit an Raketen in die USA gebracht.

Als Apel 1952 aus der Sowjetunion zurückkehrte, war die DDR bereits gegründet und die SED de facto die führende Staatspartei. Er wurde erst 1954 Kandidat, 1957 Mitglied. Zunächst arbeitete er im Ministerium für Maschinenbau, später als Leiter der Wirtschaftskommission beim Politbüro des ZK der SED. 1958 wurde er Kandidat, 1960 Mitglied des formell höchsten Gremiums der Partei.

Als er 1961 als Kandidat in das Politbüro, die Machtzentrale der SED, aufrückte, hatte er in kurzer Zeit einen hohen Aufstieg zurückgelegt. Vom Raketenbauer für die Nazis zum stellvertretenden, ab 1963 zum Vorsitzenden der staatlichen Planungskommission – der Emporkömmling mit fraglicher Vergangenheit war vor allem den Politbüromitgliedern mit Widerstandsvergangenheit suspekt.

Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung: Ein Reformversuch

Wie kein anderer war Apel Protagonist der Wirtschaftsreformen, die in den 1960er Jahren in der DDR versucht wurden. Unter dem Namen "Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung" – kurz: NÖSPL – bemühte sich die DDR 1963 bis 1970 um eine Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz.

Mit der Bewältigung der Kriegsschäden in den 1950ern, einer allmählichen Erschöpfung extensiver Bewirtschaftung und den Krisen der DDR – insbesondere der Abwanderung von Fachkräften in die BRD, der die SED 1961 mit der Berliner Mauer begegnete – erschienen der SED-Führung Reformen der grobschlächtigen Zentralplanwirtschaft notwendig. Dies ergaben die Wirtschaftskonferenz, eine ZK-Tagung sowie ein Parteitagsbeschluss im Jahre 1963.

Die Planvorgaben für die Betriebe sollten verringert, die eigenständige wirtschaftliche Tätigkeit der Betriebe sollte gesteigert werden. Anstelle detaillierter Mengenvorgaben sollten sie nach der Maxime des Gewinns – sprich: Steigerung des Outputs bei Einsparung des verwendeten Inputs – agieren.

Nicht mehr alle Mittel sollten zu Jahresbeginn von der Zentrale an die Betriebe ausgeschüttet und zu Jahresende wieder eingesammelt werden, sondern eigene Produktions-, Prämien- und Entwicklungsfonds sollten den wirtschaftlichen Einheiten eine (teil-) selbstständige Planung ihrer Produktion, Lohnpolitik und Innovation ermöglichen.

Am 1. Januar 1964 wurden die Vereinigungen der Volkseigenen Betriebe auf wirtschaftliche Rechnungsführung umgestellt. Sie sollten nach festen Regeln Finanzmittel ansammeln und anhand reduzierter Kennziffern ihren geplanten Output initial vorschlagen. Zuvor waren Planvorgaben von der Zentralen Planungskommission (ZPK) an die Betriebe nach unten gereicht und nur mit kleinen Korrekturen wieder nach oben gereicht worden. Apel wollte "Raum zum Denken lassen".

Die Wirtschaftsreform wurde flankiert von kulturpolitischen Auflockerungen, beispielsweise dem Jugendkommuniqué der SED von 1963. Das Verhältnis der Jugend solle frei sein von "Gängelei, Zeigefingerheben und Administrieren", wie die Staatspartei verkündete. Beatgruppen, Liedermacher und Schriftsteller erhielten mehr Spielraum und Aufmerksamkeit.

1966 erschien der DEFA-Film "Spur der Steine", wurde jedoch nach der Uraufführung als zu kritisch befunden und direkt wieder aus dem Programm genommen. Der Wind hatte sich inzwischen gedreht.

Lieferschwierigkeiten der UdSSR, Krise der Reform

Die Reformen und der angestrebte technologische Strukturwanden bedurften höherer Rohstoff-lieferungen aus der UdSSR. Diese geriet jedoch 1965 selbst in ökonomische Bedrängnis, als ihr eigenes Reformprogramm "Obnowlenie" zur Verunsicherung der Wirtschaft führte.

Der neue Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, war Wirtschaftsreformen durchaus zugeneigt und stützte von 1965-1970 die Kossygin-Reformen in der UdSSR, die den DDR-Reformen ähnelten.

Allerdings war er nicht bereit, gestiegenen Stahl- und Erdölforderungen nachzukommen, da sich die Sowjetunion von einer Missernte erholte. Apel forderte Schadensersatz, worauf die Sowjets scharf reagierten. SED-Generalsekretär Walther Ulbricht vermittelte Zugeständnisse, doch genügten diese nicht für die ambitionierten Wachstumsziele der DDR.

Apel geriet in Bedrängnis, schraubte die vom SED-Parteitag geforderten Wachstumsraten heimlich herunter und hoffte, dass "die Genossen des Politbüros ohnehin nur die ersten 25 Seiten lesen". Der Versuch flog auf, Apel wurde heftig gerügt.

Inzwischen war der Wirtschaftsreformer Apel an der SED-Spitze stark isoliert. Er galt als Sündenbock für Fehlentwicklungen, ehemalige Verbündete wie Ulbricht und Günther Mittag schlossen sich seinen Kritikern an. Das 11. ZK-Plenum im Dezember 1965, geplant als wirtschafts-politisches Plenum, deutete sich als eine Abrechnung mit ihm an. Dem kam Apel zuvor.

Anfang vom Ende der Reformen

Apels Suizid warf die Planung des 11. ZK-Plenums über den Haufen. In dieser Situation ergriffen die Hardliner des Politbüros die Initiative und sanktionierten Kulturschaffende wie Stefan Heym, Wolf Biermann und Christa Wolf wegen "ideologischer Abweichungen". Vor allem Erich Honecker tat sich hier hervor, während Ulbricht dem eher hinterherlief, um das Gesicht zu wahren.

Doch auch wirtschaftlich wurde der Spielraum kleiner. Unter den Schlagworten Strukturwandel und wissenschaftlich-technische Revolution wurden zentralstaatliche Großprojekte in Angriff genommen, dezentral wirtschaftende Einheiten hingegen stiefmütterlich behandelt.

Für Ministerien und Betriebe war es in den Folgejahren lohnenswert, sich an Großprojekte zu hängen, während selbstständiges Handeln weniger lohnend und riskanter wurde. Die Wirtschaftskrise 1970 wurde zum Anlass genommen, die letzten Rudimente der betrieblichen Selbstständigkeit zu kassieren.

Erich Apel begann und beendete seine Karriere mit militärischen Geschossen. Er stand für einen ökonomischen, technokratischen und weniger ideologischen Weg in der Wirtschaftspolitik. Mehr Mitbestimmung interessierte ihn unter dem Aspekt höherer wirtschaftlicher Effizienz.

Ein entschlossener Fürkämpfer eines demokratischeren Sozialismus war er nicht. Keime dessen erstickten nach kurzer Aufbruchstimmung seit 1963 mit dem Kahlschlagplenum zwei Jahre später.