Erich Honeckers Erbe: Warum Chipfabriken in Ostdeutschland entstehen
Intel und TSMC zieht es ebenso wie zuvor AMD in den Raum Dresden/Magdeburg. Dort hat Mikroelektronik Tradition. Wie eine Region heute noch vom Megabit-Chips U61000 profitiert.
Wenn heute wieder von Technologiesanktionen, diesmal gegen die Volksrepublik China, die Rede ist, darf man sich auch an die Sanktionen des Westens gegen die damalige DDR erinnern. Sie hatten letztlich die Entscheidung der DDR-Regierung beflügelt, einen eigenen Speicherchip zu entwickeln und zu produzieren.
Der Startschuss für die Entwicklung des U61000, fiel mit dem Beschluss der SED-Führung vom 11. Februar 1986 zur weiteren Entwicklung der Mikroelektronik in der DDR. Das Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) erhielt den Auftrag, innerhalb von drei Jahren einen 1-Mbit-Speicherbaustein zu entwickeln und 1990 in Serie zu gehen.
Der erste U61000, der kompatibel zu den damaligen Chips TC511000 von Toshiba und HYB511000 der Siemens Semiconductors Group, aus der Infineon hervorging, sein sollte, wurde am 12. September 1988 dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker übergeben.
Der Speicherchip war nur ein Teil der Technologieoffensive der DDR. Am 14. August 1989 traf sich Honecker mit Arbeitern des VEB Kombinats Mikroelektronik "Karl Marx" Erfurt, wo ihm das erste funktionsfähige Muster eines 32-Bit-Mikroprozessors aus DDR-Produktion überreicht wurde. Thüringen verfügte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg über ein umfangreiches Portfolio an elektrotechnischen Unternehmen, das auch nach der sogenannten Wende fortgeführt werden konnte.
Der Speicherchip U61000 trug anfangs noch den Firmennamen des Thüringer Unternehmens "Carl Zeiss Jena". Spätere Modelle wurden unter dem Firmennamen ZMD verkauft. Der Speicherchip soll jedoch bereits bei Auslieferung des ersten Modells veraltet gewesen sein.
ZMD wurde nach der Wiedervereinigung aus dem Carl-Zeiss-Umfeld herausgelöst, umstrukturiert und verkauft und ist seit 2015 eine Tochter der kalifornischen Integrated Device Technology (IDT), die sich vom Namen ZMD trennte und ihrerseits 2019 von der japanischen Renesas Electronics Corporation übernommen wurde.
Die DDR hat die Entwicklung des digitalen Internets letztlich nur um Haaresbreite verpasst. Timothy John Berners-Lee veröffentlichte ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer seine Idee eines flexiblen Hypertext-Systems, das den Wissensaustausch zwischen Forschern verbessern sollte. Seine Schrift gilt heute als Startschuss für das World Wide Web.
So manche Überwachungsphantasie aus Ost-Berlin scheint sich in privatisierter Form bis heute weiterentwickelt zu haben. Auf der anderen Seite muss man anerkennen, dass die Entscheidung der DDR-Führung kurz vor dem Ende ihres Staates zukunftsweisend war, wie die bis heute nachwirkenden Folgen für den Chip-Cluster im Südosten der Republik zeigen.
Das Erbe Erich Honeckers wirkt bis heute
Weithin sichtbarer Leuchtturm des sozialistischen Erbes ist "Silicon Saxony" mit heute fast 500 Mitgliedern aus den Bereichen Mikroelektronik, Smart Systems und Software.
Das Netzwerk, das auf der in der DDR begonnenen Entwicklung aufbaut, ist heute das wohl bedeutendste seiner Art in Deutschland mit deutlichem Vorsprung, weil hier über Jahrzehnte aufgebautes Wissen mit Anwendungen in vielen IT-nahen Bereichen verknüpft wird. Auch wenn die öffentliche Hand hier noch mit viel Geld nachhelfen muss, könnte die Ausgangslage kaum besser sein.
Warum die neuen Chipfabriken im Osten angesiedelt werden, lässt sich also mit der Tradition aus den Entscheidungen der DDR-Regierung erklären. Die Diplomarbeit von Silvio Püschel aus dem Jahr 2004 mit dem Titel "Entstehung und Entwicklung des Dresdner Mikroelektronik-Clusters" bietet hier einen recht umfassenden Überblick über den Neuanfang nach der Wende. Dass die naturwissenschaftliche Ausbildung in der DDR und dann nach der Wende in den östlichen Bundesländern auf eine beachtliche Tradition zurückgreifen konnte und kann, ist bis heute ein weiterer entscheidender Standortvorteil.
Das erste große Projekt nach der Wende war die 1996 gegründete AMD Saxony, die im März 2009 an GlobalFoundries und Investoren aus Abu Dhabi veräußert wurde. Der US-Konzern AMD wurde offensichtlich von der technologischen Entwicklung eingeholt und wollte die Produktion an andere Foundries wie TSMC in Taiwan auslagern.
Ein Teil der ehemaligen AMD-Mitarbeiter fand sich später bei der Amazon-Cloud-Tochter AWS in der Entwicklung spezieller Betriebssystemelemente wieder. Inzwischen ist AMD durch die Übernahme des kalifornischen Elektronikunternehmens "Xilinx" auch wieder nach Dresden zurückgekehrt.
GlobalFoundries hat nach der Trennung von AMD den Weg in die schwarzen Zahlen gefunden und später als reine Fab die Chipfertigung für rund 150 Fabless Companies übernommen. Vor dem Hintergrund der über Jahrzehnte gewachsenen Fachkräftebasis ist es heute nicht verwunderlich, dass sich die Idee einer verstärkten Ansiedlung von Chipherstellern heute vorrangig im Osten der Republik kristallisiert.
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