Erstmals mit Rajoy spanischer Regierungschef gestürzt
Der Chef der Volkspartei (PP) wollte trotz Korruptionsskandalen nicht zurücktreten und wurde über ein Misstrauensvotum abgewählt
"Ja, wir können es", hallte es erfreut am Freitag durch das spanische Parlament in Madrid, als das Abstimmungsergebnis bekannt wurde. Nun ist Mariano Rajoy als Regierungschef Geschichte. Erstmals seit dem Tod des Diktators Franco ist nun ein Regierungschef über einen konstruktiven Misstrauensantrag der Sozialdemokraten (PSOE) gestürzt worden. 180 Parlamentarier stimmen für den Antrag, 169 dagegen, womit der PSOE-Chef Pedro Sánchez nun doch noch Regierungschef wurde, nachdem er sich beim ersten Versuch 2016 mit rechten Partnern gescheitert ist.
Sánchez ist schon am heutigen Samstag ins Amt eingeführt worden und stellt nun eilig sein Kabinett zusammen. Die Linkspartei Podemos (Wir können es) hofft nun, dass eine Linksregierung - unter Beteiligung von Podemos versteht sich - die fatale politische und soziale Lage verändern kann. Podemos wollte Rajoy schon vor einem Jahr stürzen, da er in zwei Wahlgängen auch mit der rechten Partei Ciudadanos (Bürger/Cs) keine Mehrheit erreichte. Allerdings unterstützte die zerstrittene PSOE damals den Antrag nicht und stellte auch bisher keinen eigenen.
Einen überraschenden Rücktritt gab es dann doch nicht mehr, wie er in der Gerüchteküche gekocht worden war. Damit hätte Rajoy noch etwas länger geschäftsführend im Amt hätte bleiben können. Der Preis wäre für seine Volkspartei (PP) aber hoch gewesen. Sie hätte die Parlamentspräsidentschaft verloren, über die sie der neuen Regierung Probleme machen kann. Nur für Rajoy und seine PP kam die Abwahl überraschend. Er hatte versucht, wie in den fast sieben Jahren zuvor, auch den Korruptionsskandal auszusitzen. Das ging schief, weil er in der Katalonienfrage seine Versprechen an die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) gebrochen hat.
Für deren Zustimmung zum Haushalt sollte schon vor gut einer Woche die spanische Zwangsverwaltung fallen, unter der Katalonien seit Oktober steht. Die Amtseinführung der katalanischen Minister, mit der sie automatisch fällt, wurde aber von Rajoy bisher über Tricks blockiert. Erst am Freitag, kurz vor der Abwahl, veröffentlichte die Regierung Rajoy dann doch noch die Liste der katalanischen Minister in der Hoffnung, die PNV doch noch umzustimmen. Zu spät aber, denn die Entscheidung der PNV war am Vortag schon gefallen, eine Umkehr war unmöglich. Ohnehin war es nach dem Urteil vom vergangenen Freitag, dass Rajoy einer Partei vorsteht, die ein "effizientes System institutioneller Korruption" unterhielt, für die PNV kaum noch möglich, sich weiter hinter die PP zu stellen.
Zudem hatte auch Sánchez der PNV die Hand entgegengestreckt. Er versicherte ihr, den Haushalt beizubehalten, den sie mit der PP vereinbart hatte, um Investitionen im Baskenland zu sichern. Zudem hatte er im Parlament einen Dialog mit dem neuen katalanischen Regierungschef Quim Torra, zum Entsetzen von PP und Cs, angekündigt. Genau das hatte die PNV - die in Katalonien wegen der Verabschiedung des Haushalts in der Kreide stand - dazu gebracht, ihm dann offen Unterstützung auszusprechen. Genau damit hatte Rajoy nicht gerechnet, der wieder einmal gezeigt hat, nicht zu verstehen, wie Basken und Katalanen funktionieren. Dass er völlig überrascht war, dass die PNV ihn fallenlässt, zeigte sich deutlich. Er verließ am Donnerstag fluchtartig das Plenum, als die Entscheidung bekannt wurde, um sich mit Vertrauten zu beraten. Er kehrte dann erst am Freitag kurz vor der Abstimmung ins Parlament zur Verabschiedung zurück.
Vorbild Linksregierung Portugal
Die Frage ist nun, wie Sánchez eigentlich mit nur 85 Parlamentariern regieren will oder ob er eine Koalition mit Podemos eingeht. In der Partei hat man sich schon Hoffnungen auf gut bezahlte Ministersessel gemacht, schließlich hat sich der Parteichef Pablo Iglesias gerade erst mit der Parteisprecherin Irene Montero für eine Villa außerhalb Madrids hoch verschuldet. Podemos drängt die PSOE zur Zusammenarbeit und zu einer Koalition um die Basis der Regierung deutlich zu verbreitern. Doch die Hoffnungen von Podemos dürften enttäuscht werden.
Als Vorbild dient Sánchez die erfolgreiche Linksregierung Portugals, die seit zwei Jahren das Land aus der Krise geführt hat. Dort sind ebenfalls der Linksblock und die Kommunisten nicht in der Regierung. Der Unterschied ist, dass sie das nicht wollten. Die beiden linksradikalen Parteien tolerieren die Sozialisten nur. Und anders als in Spanien hat die portugiesische Regierung mit den beiden linksradikalen Parteien eine stabile Mehrheit. Sánchez hat sie mit Podemos nicht und er wird aller Wahrscheinlichkeit keine Podemitas in sein Kabinett heben.
Das hat zwei Gründe. Er hat bisher mit der starken Parteirechten nicht aufgeräumt, die ihn zwischenzeitlich putschmäßig sogar abgesetzt hatte. Die muss er - in seiner Logik - ruhig stellen, da er sich zu einer Konfrontation nicht traut, auch mit Posten. Denn dem starken rechten Flügel gefallen die Podemos-Unterstützer nicht. Deshalb regiert die "Sozialistin" Susana Díaz in Andalusien lieber mit den ultranationalistischen rechten Cs als mit der linken Podemos. Für die starke Gegnerin von Sánchez ist Podemos ein rotes Tuch. Genau deshalb Sánchez eine Minderheitsregierung und versuchen, um mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Dass er den bisherigen Haushalt übernommen hat, zeigte das auch schon an. Das war nicht nur eine Geste an die PNV. Damit umgeht er bis 2019 die schwierige Aufgabe, einen eigenen Haushalt durchbringen zu müssen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse könnte er daran schon wieder scheitern.
Die Regionalfürsten müssen beruhigt werden, denen noch weniger gefällt, dass Sánchez zum Sturz von Rajoy auf die Stimmen der baskischen und katalanischen Regionalparteien angewiesen war. Da dies auch in Zukunft immer wieder der Fall sein wird, wirft ihm die spanische Rechte schon "Verrat an Spanien" vor und vermuten, seine "Frankenstein-Regierung" habe Katalanen und Basken schon Gegenleistungen versprochen. Die PP und Cs nehmen damit die Worte auf, die der frühere PSOE-Chef Alfredo Pérez Rubalcaba zu den Versuchen von Sánchez geäußert hatte, an die Macht zu kommen.
Katalanen können von der PSOE nicht viel erwarten
Sánchez hatte sich im Parlament damit verteidigt, dass auch seine PSOE die Zwangsverwaltung über den Artikel 155 unterstützt hat. Die müsse nun fallen, erklärte er entsetzten Ciudadanos, die gegen alle Abkommen und mit allen Mitteln die Zwangsverwaltung in Katalonien über einen stillen Staatsstreich aufrechterhalten wollen. Sánchez erinnert, dass im vergangenen Herbst vereinbart wurde, dass dies mit der Regierungsbildung automatisch geschieht. Da nun am heutigen Samstag die katalanischen Minister ins Amt eingeführt werden, ist nicht nur Rajoy weg, sondern auch die Zwangsverwaltung in Liquidation.
Allerdings darf man sich kaum Hoffnungen in der katalanischen Frage machen. Sánchez ist ein spanischer Nationalist, deshalb hat er den 155 unterstützt und die Repression gegen Katalonien, Inhaftierung von Regierungsmitgliedern. Er stand auch, über die von der PSOE ernannten Richter am Verfassungsgericht, hinter allen Maßnahmen, Rechtsbeugung, Rechtsumgehung… mit denen verhindert wurde, dass drei Kandidaten zum Präsidenten gewählt werden konnten. Dass ihre politischen Rechte massiv verletzt wurden, hat er nicht kritisiert, obwohl das UN-Menschenrechtskomitee gefordert hatte.
Ein Höhepunkt der Absurdität war sein Vorschlag im Wettstreit mit der PP und den Cs darüber, wer noch nationalistischer und radikaler mit den Katalanen umgeht, indem der Rebellionsartikel so angepasst werden sollte, dass er in Zukunft tatsächlich auf friedliche Proteste in Katalonien angewendet werden kann. Dass ein angeblicher Republikaner fordert, dass zukünftig die Kandidaten in Katalonien auch auf die Monarchie eingeschworen werden sollen, übertraf das sogar noch. Es macht deutlich, dass man es mit einem nationalistischen Monarchisten zu tun hat oder dass er wenigstens so tun muss, weil seine "Sozialisten" so gespult sind, wie sie sich selbst nennen.
In Bezug auf die Rebellion kann man natürlich positiv interpretieren, dass sich auch der neue Regierungschef darüber bewusst ist, dass die bisherigen Anklagen gegen Carles Puigdemont, Oriol Junqueras und die übrigen Aktivisten und Regierungsmitglieder jeder Basis entbehren, wie auch das Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein im Fall Puigdemont schon festgestellt hat. Er könnte die fehlende Gewaltenteilung im Land nun also dazu nutzen, dass sie fallen und den bisherigen Regierungsrichter Pablo Llarena in die Wüste schicken.
Klar ist aber, dass er den Katalanen nur einen Dialog im Verfassungsrahmen anbietet, also der Verfassung von Gnaden des Diktator Francos und der Monarchie, die der restauriert hatte. Die bietet bisher keine realen Möglichkeiten, um vernünftig mit dem Konflikt umzugehen, den Spanien in Katalonien geschaffen hat. Er kommt Podemos weder in den Forderungen entgegen, die Monarchie zu schleifen und eine Republik zu schaffen, in der sich Nationen wie Katalonien und Baskenland wiederfinden könnten, noch ein Referendum über die Unabhängigkeit nach schottischem Vorbild durchzuführen. Das steht sicher auch nicht im Programm des sehr schwachen Regierungschefs.